Der SPIEGEL versucht seit ca. einer Woche, eine breitere Debatte über die Zukunft der Zeitung anzustoßen. Dazu sind durchaus interessante Beiträge erschienen. Der Journalist Richard Gutjahr schreibt nun in seinem Blogposting „Killergurke, anyone?“:
Die Debatte um die Zukunft der Zeitung will nicht so recht zünden. Vielleicht liegt es daran, dass wir der eigentlichen Frage aus dem Weg gehen – der Frage nach den Inhalten.
Mein Kommentar dazu ist lang geraten, deshalb halte ich ihn hier auch mal fest.
Inhalte? Oh ja, da hätte ich durchaus Bedarf, da bin ich lange schon wandelnde unbefriedigte Nachfrage! Und nicht nur ich…
Die Krux des real existierenden Journalismus ist es, immer über AKTUELLES schreiben zu müssen. Klar es gibt gute längere Artikel, die auch mal Hintergründe, vergangene Entwicklungen und beteiligte Interessen beschreiben. Auch mal „pro“ und „kontra“ oder gar einen „Schwerpunkt“ mit Beiträgen mehrerer zu einem Thema.
ABER: all das ist jeweils am Aktuellen aufgehangen und verschwindet mit diesem in der Versenkung – sowohl gedruckt als auch online. Sowohl in Zeitungen als auch in Blogs!
Was fehlt, sind bleibende, aktuell gehaltene Gesamtdarstellungen eines Themenkomplexes, verständlich und gern auch multmedial aufbereitet. So als Basis, um sich zu informieren, als Schaffung von Transparenz, die Voraussetzung für Teilhabe ist.
Beispiel: FREIHANDEL
In den letzten Wochen gab es hier und da ein paar versprengte Artikel zu den anstehenden Verhandlungen über das Freihandelsabkommen USA/EU. Aufgehangen am Aktuellen, da diese demnächst starten sollen. Befürchtungen gibt es dazu jede Menge, die kamen in den Artikeln auch durchaus vor. Und dann war wieder Schluss mit dem Thema.
Statt dessen bzw. zusätzlich wünsche ich mir ein Medium, das es mir ermöglicht, mich über das Ganze zu informieren. Also über
- Geschichte und aktuellen Status des Freihandels in der EU bzw. gegenüber anderen Ländern
- welche Verträge zwischen wem regeln was?
- Wer sind die Akteure, Lobbies, Institutionen und Interessen?
- Welche Fördergelder fließen in diesem Zusammenhang an wen?
- Mit welchen Ländern gibt es welche Streitigkeiten?
- Welche Auswirkungen haben Freihandelsabkommen bisher in diversen Ländern?
- Gibt es NGOs und Bürgerinitiativen, die sich hierzulande oder in den Partnerländern mit diesen Themen befassen?
- und dann auch aktuelle Artikel über den Stand der jeweiligen Verhandlungen, die beteiligten Personen, den Kampf der Interessen…
- alles natürlich mit Links zu Quellentexten, Personen und Institutionen – so dass man sich einmischen kann, wenn man will.
Zu sperrig? Interessiert niemanden?
Glaube ich nicht! Die Bürger sind oft weit informierter und interessierter als sich das mancher Verlagsmensch und Journalist denkt. Bloß weil „Lady Gaga nackt“ öfter angeklickt wird, heißt das nicht, dass die genannten Befürchtungen keine Rolle spielten und da kein Info-Interesse wäre. Man denke nur an die Ablehnung von GenFood, den Kampf ums Wasser und vieles mehr.
Mit einer „Themenseite“, die dann auch nur die einzelnen (und bald nicht mehr aktuellen) Artikel des je eigenen Mediums dazu versammelt, ist es aber nicht getan.
Anderes Beispiel: GELD.
In Nischenpublikationen und „alternativen“ Blogs streitet man sich lange schon, ob nun das (Falsch-)Geldsystem („Fiat-Money“) oder die Verzinsung das Grundübel ist, das kommende Mega-Crashs des Finanzsystems unausweichlich mache. Irgendwelche Vertreter herrschender Ökonomie nehmen an diesen Diskussionen in aller Regel nicht teil – und sie werden auch nicht von Qualitätsjournalisten dazu aufgefordert. Geschweige denn, dass mal ein Medium das Thema ganz groß und nachhaltig aufnimmt und aufbereitet – und so als 4.Gewalt den meinungsbildenden Dienst leistet, alle Seiten zu Wort kommen zu lassen, bzw. zu Stellungnahmen zu „motivieren“.
Evtl. lassen sich solche Großthemen auch per Crowdsourcing finanzieren – einen Versuch wäre es jedenfalls wert. Ein Blog kann sowas jedenfalls nicht „mal eben so“ leisten, bzw. wird in der Regel nur die persönliche Meinung und einen dazu passenden Ausschnitt des Ganzen bringen – keine halbwegs neutrale Übersicht.
Ich denke, das Menschenbild der Verlagsleute und vieler Journalisten ist durch den Blick auf die Klickraten „spannender“ News ziemlich mies geworden. Sie halten das Volk für blöd und nur am „Kick“ interessiert – vergessen dabei aber, dass auf Reize (Katastrophen, Gefahren, Promis, Witze, Sex & Crime) zwar reagiert wird, aber DAFÜR ZAHLEN wird heute kaum noch jemand wollen. „Aufreger“ finden nämlich unter allen Umständen ins Netz, eher zu viele als zu wenige!
Anstatt nun in Richtung nachhaltiger und vertiefter Information zu gehen, zu der immer auch ein Bereich mit aggregierten aktuellen Artikeln VIELER MEDIEN gehören müsste, stellten sich „die Verlage“ in all ihrer Ignoranz auch noch selbst ein Bein: das herbei lobbiierte Leistungsschutzrecht verhindert nun die unaufwändige und kostenlos „suchmaschinen-ähnliche“ Aufbereitung aller erdenklichen Quellen zu einem Thema – auch für Verlage.
Allein für diesen Coup, der die ungemein nötige und weltweit übliche Aggregation in DE faktisch verunmöglicht (abgesehen von Google, das „to big to ignore“ ist) verdienen sie den Untergang!
Da hoffe ich schon mehr auf kreative Journalisten, die beweglicher und motivierter sind – und evtl. so auch näher an den Interessen der Leser.
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Sascha Lobo: Zeitungskrise? »Die Lösung bin ich!« – der Text ist als kommentierte Linkliste zu allen erschienenen Beiträgen nutzbar!
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6 Kommentare zu „Zur Zeitungsdebatte: Die Frage nach den Inhalten“.