Seit ein paar Tagen sehe ich wieder aus dem Fenster: Das Gerüst mit der blickdichten Plane ist verschwunden, endlich! Mehr als zwei Monate fühlte ich mich wie der Kanarienvogel im verhangenen Käfig. Milchigweißes Licht, sonst nichts.
Ob es damit zusammen hängt, dass ich keine Lust zum Schreiben hatte? Es war, als ermangele den Sätzen die Klarheit, das Gerinnen zur festen Form in Sätzen und Absätzen wollte einfach nicht stattfinden. Statt dessen ein Gefühl der Vergeblichkeit: Warum soviel reden?
Nun beginnen bald die heiligen Nächte. Ich werde sie weitgehend alleine verbringen, auch ganz ohne Pflicht und Bindung an einen Schreibkurs. In der ersten Dezemberwoche waren es noch immer nicht genug Teilnehmer, ich hatte wohl zuwenig Werbung gemacht, wollte „die Welt entscheiden lassen“, und nicht selbst hinterher sein, mich nicht auf das Ziel „der Kurs muss stattfinden“ fixieren. Kaum hatte ich abgesagt, spürte ich Erleichterung. Etwas in mir sehnt sich nach einer Zeit ohne Bindung, nach Isolation, nach der Haltung des unbeteiligten Zuschauers: während der Weihnachtstage durch die Straßen gehen und nirgends dazu gehören, nichts tun, nichts sagen, nichts sollen, nichts müssen, nichts wollen. Lockende Leere!
ToDo
Die letzten Wochen erlebte ich mit schlechtem Gewissen: Ich schaffe zu wenig, lange nicht alles, was nötig wäre, damit es flutscht. Meine ToDo-Listen geraten mir zum täglichen Horror, zwei angefangene Auftragswebseiten müssen dringlich fertig werden, die Teilnehmer aus dem Kurs „Erotisch schreiben“ warten auf das Erscheinen des geplanten Webzines, dem immer noch der Name fehlt. Die Verwaltungsarbeit, die sich bedrohlich aufstaut, muss letztlich doch gemacht werden, und gerade bearbeite ich „auf die Schnelle“ die Website eines Verbandes: unkreative Code-Modernisierung (CSS statt Tabellendesign), aber fair bezahlt. Daneben wartet ein guter Freund auf meine grafische Zuarbeit, das persönliche Schreibcoaching fordert Aufmerksamkeit und Sorgfalt, Schreibimpulse.de bräuchte ein Update, die Webwork-Seite ist seit Jahren nur eine Linkliste und sollte mal ein bisschen aufgepeppt werden – würde ich diese unvollständige Aufzählung weiter führen, hätte ich schon jetzt, samstagmorgens um zehn, zu gar nichts mehr Lust!
Wie schaffen es Andere, soviel zu schaffen? Das frage ich mich öfter, denn ich kenne Menschen, die ein Vielfaches von dem leisten, was ich zustande bringe, wenn es gut läuft. Neben ihren oft vielfältigen Berufsarbeiten betreiben sie auch noch hochkarätige, Zeit- und Energie fressende Hobbys, treiben intensiv Sport, sind ständig unterwegs, reisen auch noch viel herum und haben volle Terminkalender. (Ganz zu schweigen von den Familienvätern und Müttern, deren Leben so etwas wie „unverplante Zeit“ meist gar nicht mehr kennt.).
Der TV-Flop
Meine Versuche, wenigstens ansatzweise zur TV-Konsumentin zu werden, um auch mal vom vor-dem-Monitor-Hocken ins Couch-Potato-Dasein wechseln zu können, sind ein einziges fortgesetztes Scheitern! Der „terrestrische digitale Empfang“ ist in meiner Wohnung ein Flop: mal gibt’s eine Stunde was zu sehen, dann knackt es nur noch, das Bild friert fortwährend ein oder zeigt die Meldung „kein Empfang“. Und das mitten in Berlin, zentrumsnah, in einem Haus, das nach vorne und hinten freien Blick in die Weite gestattet, also nicht von anderen Gebäuden umstellt ist, die vielleicht den Empfang behindern könnten. Schon die zweite Zimmerantenne ist im Einsatz, seltsamerweise empfängt sie gar nichts, wenn ich den Regler so aufdrehe, dass der Verstärker aktiv ist (rotes Lämpchen). Bei der Vorherigen, die auch nicht viel anders aussah, war das genau umgekehrt. Was soll ich daraus schließen? Ich bin ratlos! So etwas wie deutlich stärkere Antennen, auf dem Balkon zu montieren, hab ich noch nirgends gesehen, weiß auch nicht, ob es helfen würde. Den Umstieg auf eine „Schüssel“ würde mein Vermieter nicht akzeptieren, schließlich liegt Kabel im Haus. Das will ich allerdings nicht in Betrieb nehmen, um meine Festkosten nicht noch weiter zu erhöhen, zudem wäre dann die teure Set-Top-Box mit digitalem Recorder überflüssig. Es ist der reine Hohn: Ich WOLLTE nie einen Fernseher, guckte allenfalls beim Lebensgefährten mal mit. Jetzt lebe ich allein, hab‘ alles Nötige angeschafft, WILL in die Glotze gucken und es klappt nicht!
Sitzen UND Stehen
In der nächsten Woche werde ich eine Revolution an meinem Arbeitsplatz erleben: Ich bekomme einen Sitz-Steh-Tisch, per Knopfdruck hoch- und runterfahrbar. Seit Jahren sehe ich diese Tische als einzige wirklich effektive Lösung des Sitzproblems an: abwechselnd im Stehen und im Sitzen arbeiten, kein mühsames Kurbeln oder Wechseln an ein Stehpult, das für notorische PC-User sowieso keine echte Lösung ist. Natürlich hatte ich nie Geld „übrig“, um mir meinen Traumtisch zuzulegen – und jetzt bekomme ich ihn geschenkt! Wenn ich daran denke, werde ich wieder optimistischer, was das Arbeiten angeht: Endlich nicht mehr im Schneidersitz auf dem Stuhl kleben, keine eingeschlafenen Beine mehr, kein verspannter Nacken, Bewegung für die Wirbelsäule! Auf einmal ist da die Hoffnung, wieder deutlich effektiver arbeiten zu können, Zeit und Kraft für eigene kreative Dinge zu haben, zu denen ich kaum mehr gekommen bin, weil ich schlicht nicht mehr solange sitzen kann.
Allein
Das zweite Jahr in der neuen Wohnung ist jetzt fast rum. Nach den davor liegenden zehn Jahren „zu zweit“ hatte ich doch leise Befürchtungen, mich gelegentlich einsam zu fühlen oder auf diese oder jene Weise zu verwahrlosen. Das ist nicht eingetreten, im Gegenteil, ich hatte vom ersten Tag an das Gefühl, meine „endgültige“ Lebensweise gefunden zu haben. Es ist der Wahrheit am nächsten und fühlt sich durchweg stimmig an. Ich BIN mit mir selbst allein, auch in Gesellschaft, in liebevoller Umarmung, im Dialog mit einem Freund oder einer Freundin: inwendig bin ich mir ausgeliefert, immer. Alltägliches Zusammensein mit Anderen zieht die Aufmerksamkeit von dieser Tatsache ab, befördert das bewusstlose Interagieren in den Schubladen der Gewohnheiten und Erwartungen. Es erzeugt zudem ein Gefühl der Leere und Bedürftigkeit, wenn dann doch einmal „niemand da“ ist – so hab ich das jedenfalls mit zwanzig und dreißig empfunden, als ich fast nie alleine war, obwohl ich doch eine eigene Wohnung hatte.
Heute empfinde ich das Alleinsein als selbstverständlichen Normalzustand ohne Mangel, der Kontakt zum Anderen ist die Ausnahme, die ich als besonderes Fest zelebrieren kann. Ich bin dabei wacher, präsenter, und nehme das ganze Geschehen viel deutlicher wahr. Gelegentlich kommen mir meine Mitmenschen dann vor wie im Halbschlaf, denn es ist nicht zwangsläufig so, dass das bloße Zusammensein „von Angesicht zu Angesicht“ auch einen wirklichen Kontakt bedeutet. Meist sind sie auch im Miteinander „voll beschäftigt“ mit ihren Angelegenheiten, getrieben von Wünschen und Problemen, gar nicht offen für den Augenblick, für das, was ist, ohne dass man etwas dazu tun müsste. Eine gläserne Wand umgibt sie, die zu durchbrechen nicht mein Job ist. (Würde ich das wollen, wäre ich nicht mehr leer und offen, sondern hätte ein Ziel, das mit den Zielen des Anderen konkurriert).
Manchmal erlebe ich aber auch Sternstunden: Wenn der Andere ebenfalls in der Stille beheimatet ist oder doch einmal zur Ruhe kommt, ohne in Angst vor der Leere zu erstarren. Dann wird nichts mehr gewollt, gemeint, hinterfragt oder angestrebt, sondern etwas ereignet sich, „fällt ein“ – ihm oder mir, irgendwann, ohne Eile, ganz von selber. Oft fällt es uns sogar gleichzeitig ein, zu oft, als dass das Zufall sein könnte. In der Stille, das weiß ich heute, sind wir nicht getrennt. Wenn das „Ich denke/ich will“ mal stoppt, verschwindet sehr viel mehr als die besagte „gläserne Wand“, es wird dann fühlbar, was nicht rational „beweisbar“ ist: Wir sind gar nicht viele, sondern im Innersten eins.
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