Diesmal ist die Drehschranke ausgefallen und die Frau an der Kasse fordert dazu auf, das Plastikarmband trotzdem ans rote Lämpchen zu halten. Klar, der Saunagast muss ja einloggen ins System, das die Schrankschlösser und eventuell gespeichertes Geld verwaltet. Kleider sind hier nicht erlaubt, aber ohne Chip geht nichts.
Bei meinem ersten Besuch im Blub war gleich das ganze System ausgefallen. Die Leute saßen nackt auf den Bänkchen vor den Spinden und warteten. Mein Begleiter und ich setzten uns in voller Montur dazu, was sollten wir machen? Die Stimmung war erstaunlich gut, niemand ärgerte sich lautstark über die digital verriegelten Schränke, deren rotes Lämpchen nicht mehr zu grün wechseln wollte, Chip-Kontakt hin oder her. Ein Loch in der Zeit hatte sich aufgetan und alle nutzten es, um ein bisschen zu plaudern und miteinander zu scherzen. Sauna ist in manchen Momenten Utopia – echter Friede in Frottee-Handtüchern und Badelatschen.
Nach ca. zehn Minuten erschien ein nervöser junger Mann, der uns verkündete, der Server sei abgestürzt, aber der Admin sei nun gerade dabei, sich einzuloggen. Man werde sehen. Schweißperlen standen ihm auf der Stirn, aber nicht wegen der Raumtemperatur. Ein Fremdkörper in Verteidigungsbereitschaft, der nicht mitbekam, dass gerade kein Angriff drohte.
Nach dem Dampfbad, mit dem ich immer beginne, um der Lunge ein Reinigungserlebnis zu verschaffen, das sie dringend braucht, liege ich im verglasten Halbdunkel unter Palmen. Mein Körper arbeitet auf Hochtouren, um die lange nicht erlebten intensiven Reize zu verarbeiten. Überall angenehmes Prickeln, spürbar intensiver strömt das Blut durch kleinste, ansonsten wohl kaum mehr gekannte Äderchen. Den Atem fühle ich bis hinunter in den großen Zeh und wenn ich mich darauf konzentriere, kann ich überall ein sanftes Pulsieren spüren – ah, wozu noch denken?
Um mit dem Mitmenschen in Kontakt zu bleiben. Mein Begleiter beantwortet die nicht gestellte Frage, indem er das Wort erhebt. Wir sind zwei voneinander getrennte Wesen und können das Pulsieren, das Atmen und Strömen nicht gemeinsam spüren. Wenn ich also mit meiner Aufmerksamkeit in mein Erleben hinein gehe, entferne ich mich von ihm, bin seiner nicht mehr gewahr – und das erscheint als Sünde gegen den Geist des Miteinanders.
Träge fließen meine Gedanken dahin, ich höre zu, nicke, verstehe, merke dann plötzlich, dass mir ein Stück fehlt, muss wohl abgedriftet sein, egal. Atmen ist so schön, es fällt mir schwer, daneben noch etwas zu veranstalten. Vielleicht wär‘ ja ein Leben als Pflanze auch nicht übel.
Bis Mitte dreißig glaubte ich, man könne die Getrenntheit überwinden, indem man sich zusammen aufs Bett legt und fest umarmt. Also ganz oft ausprobiert, mit den unterschiedlichsten Mitmenschen in ebenso verschiedenen Beziehungsformen, mit und ohne Sex. Es klappt aber nicht, man macht sich höchstens etwas vor. Was im glücklichsten Fall stattfindet, ist genau dasselbe wie ohne Berührung: Man driftet ab in die eigenen Bestandteile, wird zur Zelle, zum Blutstropfen, zum Luftstrom in der Nasenhöhle, zur Hautoberfläche, zur sich hebenden und senkenden Brust. Berührung, einmal angenommen, sie sei optimale Resonanz, ohne den Schimmer eines Missklangs, verschmilzt nur einfach mit jenem Orchester sinnlicher Empfindungen, in das hinein ich mich auflöse. Ich verschwinde – egal, ob in Richtung vegetabiler Trance oder in Richtung Orgasmus: je mehr ich die Aufmerksamkeit von der Welt der Bedeutungen abziehe und mich ins Spüren des Daseins vertiefe, desto weniger ist da jemand, der noch jemand anderen treffen könnte. Man mag zusammen KOMMEN, aber man kommt dennoch nicht zusammen.
Irgendwie sind wir jetzt doch zusammen in die Blockhaussauna gekommen, fünf Minuten vor der vollen Stunde, dann beginnt nämlich der Aufguss. Wunderbar, mal wieder all diese vielfältig geformten Nackten zu sehen, echte Menschen, keine Werbeplakate. Gegenüber eine zierliche Asiatin mit so kleinen Brüsten, dass das Wort „Knospen“ mal wirklich passt. Neben ihr die schlanke Endzwanzigerin in vorgebeugter Haltung, auch ihre winzigen Erhebungen betrachte ich mit Staunen. Ich merke, warum ich hinschaue: wer weiß denn, wie lange so etwas noch zu sehen ist?! Mein Blick archiviert das Gesehene bereits für eine Zukunft gleichmäßig aufgeblasener Silikonbrüste, in der es wirklich Mut kostet, sich mit „abweichenden Formen“ überhaupt noch zu zeigen. Dabei werde ich das doch gar nicht mehr erleben – oder doch?
Ich hab‘ mir einen Schneeball aus zusammen gedrückten Eisbröckchen mitgebracht. Inmitten der glühenden Winde, die der Herr des Aufgusses mit einem großen Handtuch entfacht, nachdem er Wasser mit Melissen-Aroma auf die heißen Steine gekippt hat, kühle ich meine Haut mit Gefrorenem. Das ist zwar nicht Sauna-gerecht, denn nur trockene Haut kann richtig schwitzen, aber ich genieße es, will heute gar nicht die reine Lehre, das garantiert Gesunde und Förderliche, will nur spüren und genießen: Eis auf heißer Haut.
Der Mann vor dem Ofen gibt sich Mühe, gießt neu auf, wedelt durch die Luft, doch hält er das Tuch falsch, so dass ihm zwar die Anstrengung ins Gesicht geschrieben steht, aber kaum ein echter „Gluthauch“ entsteht. Ich vermisse Christian, den Meister der Elemente, der so unnachahmlich gelassen das Handtuch schwingt. Der es versteht, durch langsame Steigerung der Intensität die Anwesenden an ihre Grenze zu bringen, bis ein Aufstöhnen durch die Runde geht, wenn er kundig die Luft peitscht. Auf der dritten Etage, wo es sowieso am heißesten ist, glaubt man glatt, nun gleich zu verbrennen. Die Tür ist zu, das Schild „Achtung, Aufguss!“ verwehrt Neuen den Zutritt, und selbstverständlich wagt es niemand, inmitten des Rituals den Raum zu verlassen – ums verrecken nicht, denk ich mir manchmal, während ich mir das Handtuch über den Kopf ziehe, um mich ein wenig gegen das Schlimmste abzuschirmen. Warum tun wir uns das an, frag‘ ich mich, während ich zusammengeduckt den nächsten Gluthauch erwarte und Andere, die noch weit leidensbereiter sind, sogar aufstehen, um der heißen Luft eine größere Fläche zu bieten. Und warum bin ich jetzt mit dem Aufguss des „Ersatzmanns“ nicht zufrieden, wo doch alles so schön im locker erträglichen Wellness-Bereich bleibt?
Mein Eisball ist geschmolzen, den kleinen Rest lasse ich mir auf der Zunge zergehen. Ich genieße die konzentrierte Stille, die Abwesenheit jeglichen Geredes. Es genügt, zu fühlen, zu spüren, zu sehen. Jeder für sich, und doch alle zusammen, niemand will etwas vom Andern, denn das, was ist, reicht völlig aus – na ja fast! Wenn Christian das Handtuch geschwungen hätte….
Diesem Blog per E-Mail folgen…