Vor etwa sieben Jahren traf ich einen Mann im „richtigen Leben“, der mir über das gemeinsame Thema „Netzliteratur“ per E-Mail zum Freund geworden war. Zwanglos hatte sich ein Besuch ergeben, er bekochte mich ganz wunderbar, wir plauderten, tranken Wein und gingen auch eine Runde spazieren.
Während ich mit ihm so durch die Stadt wanderte, fiel mir auf, dass er stets darauf achtete, links von mir zu gehen. Das ergab sich nicht „von selber“, denn – das bemerkte ich jetzt erst – ich neigte ganz automatisch dazu, selbst links von ihm gehen zu wollen. Bei jeder Kreuzung, an der wir anhielten, vor jedem Schaufenster, in das wir hinein sahen, beim Überqueren einer Straße – überall, wo ein Seitenwechsel beiläufig möglich war, fand ich mich schnell wieder zu seiner Linken. Was er dann jeweils bei nächster Gelegenheit wieder korrigierte.
Ich wunderte mich und fragte ihn, warum er denn immer links von mir gehen wolle. Es war die reine Höflichkeit, wie sich herausstellte, eine alte Benimm-Regel, für ihn ebenso selbstverständlich wie das Aufhalten der Tür für die Frau an seiner Seite.
Natürlich tat ich ihm den Gefallen, lief rechts von ihm, bemerkte aber zu meinem Erstaunen, dass ich mich dabei nicht so recht wohl fühlte. Dieses Empfinden war so subtil, dass es normalerweise gar nicht ins Bewusstsein tritt. Ich fühlte mich unsicher, irgendwie eingeschränkt, unruhig, und zwar ganz unabhängig davon, auf welcher Seite des Gehsteigs ich „rechts von ihm“ zu laufen hatte. (Die Benimm-Regel, in der das Ganze nach seinem Wissen wurzelte, erlaubt nämlich Variationen: der Mann geht immer auf der „Gefahrenseite“, dann ist auch mal „rechts von der Frau“ in Ordnung.)
Solche Dinge hätten mich nur wenige Jahre zuvor allenfalls belustigt, noch früher hätte ich mich darüber aufgeregt: wie kommt bitte irgend jemand dazu, mir als Frau vorschreiben zu wollen, wo und wie ich durch die Straßen zu laufen habe, bloß weil ein Mann an meiner
Seite geht? Die Idee, ich könne mich nicht selber „vor Gefahren schützen“, nicht mal im Straßenverkehr, den ich seit meiner Kindheit ohne Probleme selbständig meistere, kann frau ja wohl nur als patriarchalisch motivierte Anmaßung begreifen!
Glücklicherweise hatte ich sowohl die reflexhafte Ablehnung tradierter Höflichkeitsformen (70ger Jahre!) als auch die grobschlächtige Feministinnen-Brille schon einige Zeit hinter mir gelassen. Mein Freund hatte mich auf etwas aufmerksam gemacht, das mit einem mir unerklärlichen inneren Empfinden korrespondierte und mit solch schlichten Erklärungen nicht abzuhaken war.
Ich schaute also genauer hin, beobachtete mich, wann immer ich mit einem Mann durch die Straßen lief, spürte den Gefühlen nach, und bemerkte nun auch, dass der Mann, mit dem ich zusammenlebte, seinerseits „automatisch“ auf meine rechte Seite strebte und es gar nicht mochte, wenn ich das mal änderte.
Wie eigenartig! Die Verhaltensweisen, die ich da entdeckt hatte, verlaufen üblicherweise gänzlich unbewusst. Niemand denkt darüber nach, es geschieht einfach, und wenn man fragt, weiß der Andere meist selber nicht, warum er die eine oder andere Seite bevorzugt.
Eine Zeit lang beobachtete ich das weiter, wechselte auch mal bewusst die Seite, probierte aus, ob es bei verschiedenen Männern anders war oder immer gleich. Aber egal, wo und mit wem, ich klebte „links von ihm“ und fühlte mich rechts unwohl. Die erste Beobachtung bestätigte sich in jedem Fall.
Stärke zeigen
Was be-deutet mir das? Natürlich dachte ich darüber nach und bildete mir eine Meinung: Ich bin Rechtshänderin, die Rechte ist meine „starke Seite“. Würde ich mich verteidigen müssen, würde ich den rechten Arm schützend vor mich halten, müsste ich gar zuschlagen, käme das erst recht nur „mit Rechts“ in Betracht. Die „Gefahr“, der ich mich unbewusst „stelle“, so folgerte ich, geht nicht vom Straßenverkehr oder draußen vom Walde aus, sondern vom Mann an meiner Seite. Wobei das Wort „Gefahr“ hier aber NICHT hauptsächlich die Gefahr eines Angriffs meint, sondern alles einschließt, was man als „Gefährdung meiner inneren Ruhe“ verstehen kann, zum Beispiel auch „die Gefahr, ihm nicht zu gefallen“.
Der Mann, mit dem ich plaudernd oder schweigend durch die Straßen laufe, ist in diesem Moment das Wichtigste für mich, wichtiger als die Eindrücke aus der Umgebung und wichtiger als mein eigener innerer Monolog. Also fühle ich mich am Besten, wenn ich meine größte Stärke, meine maximale Kompetenz IHM zuwende – das gilt selbst dann, wenn er auf diese oder jene Weise „schwächer“ ist als ich, z.B. weniger „weltmächtig“. Die „Gefahr“, der ich mich mit der rechten Seite zuwende, ist in diesem Fall nicht die eigene innere Unsicherheit, sondern die „Sorge“ um sein Wohlergehen, manchmal auch eine Mischung aus beidem.
Diese kleine Beobachtung beschäftigte mich eine Zeit lang, dann achtete ich nicht weiter darauf. Ich hatte ja nicht vor, durch äußeres Anders-Verhalten irgend etwas zu ändern, das offensichtlich von innen kommt. Warum hätte ich auch etwas ändern sollen? Ich zeigte IHM (= jedem Mann…) meine Stärke und das war doch gut so!
Rechts von IHM
Dass sich im Lauf der folgenden Jahre mein Mit-einem-Mann-Sein drastisch veränderte, bemerkte ich wiederum erst hinterher. Als ich nämlich neben dem geliebten, begehrten und bewunderten „Mann meiner Träume“ durch die Straßen lief: rechts von ihm! Nicht zufällig, sondern weil ich mich dabei wohler fühlte. „Links gehen“ fühlte sich auf einmal gar nicht mehr gut an. Ich hatte nur Augen für ihn, er war im Zentrum meiner Aufmerksamkeit – und doch musste ich ihm deshalb nicht meine aktionsbereite Rechte zuwenden!
Da mir erst mal JEDER Mann, dem ich je intensiv nahe komme, als „Mann meiner Träume“ begegnet, konnte diese Veränderung nicht etwas sein, das speziell von diesem Geliebten gekommen wäre. Eher hatte ich IHN dafür erwählt, es mit ihm zu erleben.
Was? Eine vollständige Öffnung und Hingabe, das Zusammenfallenlassen sämtlicher Mauern, die gegen „den Anderen“, speziell gegen „den Mann“ in meiner Seele standen. Einige Teile dieser inneren Festung waren immer schon da gewesen, andere hatte ich aufgrund schlechter Erfahrungen selbst erbaut. Ein paar äußerst standfeste Abwehranlagen verdankte ich auch der Auseinandersetzung mit Strömungen meiner Zeit, vor allem dem Feminismus. Alles in allem war es eine ordentliche und starke Burg, die mich erfolgreich gegen Verletzungen und allerlei Missbrauch schützte und mir dadurch den nötigen Freiraum gab, aus mir heraus zu leben: zu tun und zu denken, was ICH für richtig hielt, auch wenn ich dem Wort geliebter Männer immer schon größte Bedeutung beimaß.
Mauern, die nicht mehr benötigt und deshalb nicht mehr ausgebessert werden, beginnen zu bröckeln. Auf einmal stehen da nur noch Ruinen herum, deren Überreste der freien Bewegung im Wege sind, fertig zum Abräumen. Wie wunderbar, wenn dann auf einmal ein Frühlingssturm kommt und alles zu Sand zerfallen lässt!
Jetzt erst war ich wirklich frei: nicht mehr bestimmt von den Lasten der Vergangenheit und vom Manipulieren-Wollen der Zukunft, frei von Ideologien und dem, was „man so tut“, ganz allein mit mir selbst und meinem geliebten Gegenüber.
Seither kann ich das leben, was ich immer schon suchte, ohne es zu erkennen: Mich der Liebe hingeben, dem Verlangen nach Verschmelzung und Vereinigung folgen, indem ich „mich“ beiseite lasse; das nörgelnde, Bedenken-tragende, abrenzungsgeile und kontroll-süchtige „Ich“, das mich vom Anderen (von ALLEM!) trennt, zumindest in der Zweisamkeit mit dem Geliebten in den verdienten Urlaub entlassen – wie wunderbar! SEIN Wohlbefinden ist mir oberster Wert (weil mir MEINS kein Problem mehr ist), und auf einmal ist es ein freudiges Abenteuer, seiner Lust zu dienen. Der Krieg der Geschlechter ist für mich zu Ende, ich erkläre dem Mann den Frieden und erhalte ohne konkretes Wollen weit mehr zurück, als ich je als erfolgreiche Kämpferin bei einem Mann erreichen konnte.
Heute gehe ich „rechts vom Mann“, und zwar nicht nur rechts vom „einen Geliebten“. Denn es wäre ein Irrtum, zu meinen, dass ER, der jeweils Meistgeliebte, derjenige sei, der hier als Märchenprinz ein Dornröschen wachgeküsst hätte und nun weiter wach halten müsste. Mein inneres Sein hängt nicht von ihm ab. In Wahrheit gebe ich mich ja nicht IHM hin, jedenfalls nicht der vordergründigen Persönlichkeit, die er im Leben ist; sondern ich benutze ihn nur als „Stellvertreter des Göttlichen“, mit dessen Hilfe ich mich vergessen und ekstatisch im Alles-Was-Ist auflösen kann. Damit werden ALLE Männer zu solch potenziellen „Stellvertretern“ – ich begegne ihnen mit selbstverständlicher Liebe und Ehrerbietung, selbst wenn sich zwischen unseren Persönlichkeiten „nichts Besonderes“ abspielt. (Das bedeutet NICHT, dass ich „immer lieb“ bin!)
WER ist der Geliebte?
Im Blick auf die Vergangenheit und alle früheren Beziehungen erkenne ich heute, dass ich die ganze Zeit im jeweils gewählten Mann das suchte, was ich mir gleichzeitig selbst verbaute: vordergründig wollte ich, dass mir der Mann zu Füßen liegt, in Wahrheit suchte ich einen, vor dem ich endlich den Kopf neigen, bei dem ich den Verstand abgeben könnte – tat aber alles, um genau das unmöglich zu machen.
Männer beklagen oft, dass Frauen ihre Partner nach Kriterien von Macht und Status auswählen. Mir erschien dies lange nur als die Entsprechung zum männlichen Verlangen nach einer Frau mit Sanduhr-Figur: schmale Taille, große Brüste und ein ausladendes Becken signalisieren Fruchtbarkeit – ein gut gefülltes Bankkonto und weltliche Macht sind die dem entsprechenden „Nestbau-Werte“. (Kein Grund also, sich gegenseitig zu verurteilen!)
Das sehe ich immer noch so, doch hat jedes Verhalten auf mehreren, also auch auf „höheren“ Ebenen Bedeutung. Jenseits rein biologischer Fortpflanzungsbedingungen gibt es immer auch psychische und spirituelle Bedürfnisse, die die Wahl des Geliebten mitbestimmen. Um mich im oben erläuterten Sinne selbst aufgeben zu können, muss ER von vornherein MEHR sein als ich: sicherer, selbstbewusster, souverän, mit sich selbst im Reinen in allen Aspekten, die fürs erotische Miteinander von Bedeutung sind. Jemand, der sich in seinem Verlangen selbst ein Problem ist, dessen Selbstzweifel und Selbsthass ich spüre, dem kann ich mich nicht öffnen und hingeben. Allenfalls kann ich da ein bisschen Mutter Theresa spielen, wenn ich ihn mag. Das aber hab‘ ich persönlich aufgegeben, es macht keine Freude und hilft IHM auch nicht. Genau wie ich es erlebte, muss auch er, muss jeder Mann sich selbst befreien, ganz alleine. Was nicht heißt, dass ich wüsste, was mann dazu tun könnte.
Ich hab‘ ja auch nichts „getan“. Es hat sich einfach ereignet, als ich bereit war, zu allem JA zu sagen, was ich gegenüber dem begehrten Mann empfinde, in meinen Träumen UND in der Wirklichkeit. Seither lebe ich in erotischer Hinsicht im Paradies.
Diesem Blog per E-Mail folgen…