Seit letzter Woche ist er also technisch möglich: der menschliche Klon aus einer entkernten Ei-Hülle und den implantierten Erbinformationen eines Erwachsenen. Amerikanischen Wissenschaftlern gelang der Durchbruch mit dem seit dem Klon-Schaf Dolly bekannten Verfahren: Die in der Ei-Hülle enthaltenen Substanzen programmieren den erwachsenen Zellkern wieder in ein frühes Stadium zurück. Damit erhält der „alte“ Kern die Möglichkeit, sich zu teilen und zu einem „neuen“ Embryo heranzuwachsen.
Ziel der Forschung ist nicht die Erschaffung menschlicher Klone, sondern die Gewinnung neuer Stammzellen-Linien, aus denen potenziell jede Art menschlichen Gewebes entstehen kann: Ersatz für die kaputte Leber, neue Herzmuskelzellen, vielleicht gar ein wenig frisches Hirn, wo es nachweislich fehlt?? Stammzellen stehen im Verdacht, der lang gesuchte Jungbrunnen zu sein, nach dem sich Menschen immer schon sehnen, bisher allerdings erfolglos: Trotz forcierter Anti-Aging-Anstrengungen wird ärgerlicherweise immer noch gealtert und gestorben. Frische Ersatzteile wären immerhin ein Fortschritt, zumindest für diejenigen, die in den Genuss solcher High-Tech-Medizin kommen können.
Der Klon, das letzte Tabu
Mit dem ersten menschlichen Zellhaufen, der nun tatsächlich entstanden war, gingen sofort weltweite Distanzierungen einher: Nie und nimmer wolle man menschliche Klone erzeugen, die über das Zellhaufen-Stadium hinaus wachsen. Kein Labor auf der ganzen Welt beschäftige sich mit einer solchen Perspektive. Deutsche Politiker möchten auch das therapeutische Klonen einschließlich der Forschung weltweit verbieten, eine Debatte über das reproduktive Klonen findet gar nicht erst statt: alle sind sich geradezu unheimlich einig, dass das nie und nimmer sein dürfe, dass es DIE MEGA-SÜNDE schlechthin wäre und alles getan werden muss, damit nicht irgendwann irgendwo irgendwer auf Ethik pfeift und tut, was nicht getan werden darf – sei es aus reinem Ehrgeiz oder weil es ein Auftraggeber unwiderstehlich gut bezahlt.
Gegen die Natur?
In einer Wissenschaftssendung, in die ich zufällig reinzappte, fragte der Moderator den zugeschalteten Experten (Leiter einer an erlaubten Stammzellen forschenden Einrichtung), was denn eigentlich so schlimm sei am menschlichen Klon? Ich war dankbar für die einfache Frage und erwartete, nun die wesentlichen ethischen Argumente zu hören. Aber nichts da, der Forscher war sichtlich überfordert, ihm fiel tatsächlich nichts ein außer dass das „total unnatürlich“ sei und deshalb völlig ausgeschlossen.
Tja, ist denn das, was der Mann da täglich forscht, total natürlich?? Wieviel von unserer Umwelt, unseren Produktionsweisen, unserer Ernährung, unserer Art, zu arbeiten, zu reisen, Krankheiten zu bekämpfen und Kinder zu gebären ist denn noch „total natürlich“? Das allein kann ja wohl nicht das schlagende Argument gegen den menschlichen Klon sein.
Ich denke über diese Frage nach, weil es mich seltsam anmutet, wenn auf ein Ereignis so heftige und einhellige Reaktionen folgen, wenn alle, die meinen, etwas zu sagen zu haben, dasselbe sagen, noch dazu ohne Begründung.
Was ist die Ursache der kollektiven Beschwörung eines Tabus in Zeiten, in denen Tabus weitgehend abgeschafft sind? Die Freiheit des Individuums, sein „Wertekostüm“ selbst zu wählen, solange es sich das leisten kann, wird ja sonst kaum in Frage gestellt: das Primat des Ökonomischen, der Markt der Möglichkeiten, der Konsumismus als einzig übrig gebliebene „gemeinsame Religion“ beherrscht unseren Alltag. Was ist denn das extrem Erschreckende am menschlichen Klon, dass er partout kein Teil dieser „schönen neuen Welt“ sein soll ?
Läge der unerträgliche Verstoß „gegen alles, was recht ist“ vielleicht darin, dass er eben gerade KEIN INDIVIDUUM wäre? Für manche scheint der Klon eine Art Monster zu sein, kein ganz normaler Mensch mit den üblichen Rechten, eben weil er nicht durch die einzigartige Mischung zweier Erbsubstanzen entstünde, sondern eine genetisch identische Kopie seines Erzeugers wäre. Ein unsinniges Argument, denn auch eineiige Zwillinge sind genetisch identisch und dennoch einzigartige Individuen. Menschen haben niemals dieselbe persönliche Geschichte, werden von anderen Erlebnissen, Einflüssen und Umweltbedingungen geprägt. Genetische Identität ergibt keine Serien-Modelle wie wir sie vom technischen Gerät kennen, das nach demselben Bauplan mit denselben Materialien hergestellt wird.
Da der Klon also ein ganz normaler Mensch wäre, hätte er selbstverständlich alle bürgerlichen Rechte und könnte sich auch locker aus der wissenschaftlichen Überwachung verabschieden. Jegliche Ideen, sich einen Klon zu zeugen, um ihn dann als Ersatzteillager irgendwo gefangen zu halten und bei Bedarf auszuweiden, sind komplett absurd und eher aus Horror-Filmen geboren als aus realistischen Überlegungen.
WER will den Klon?
Vielleicht sind die schlagenden Argumenten ja leichter zu finden, wenn man sich fragt: Gäbe es denn einen Bedarf? WER würde ein Klon-Kind wollen und warum? In bundesdeutschen Großstädten leben ca. 50% der Bewohner in Single-Haushalten, Tendenz steigend. Könnte es sein, dass eine nicht ganz kleine Zahl von Menschen dem Gedanken, sich ohne Partner fortzupflanzen, recht aufgeschlossen gegenüber stünde, wenn das eine wählbare Möglichkeit wäre? Ein Mann bräuchte noch eine Ei-Hüllen-Spende und eine Leih-Mutter, eine Frau könnte es sogar ganz alleine tun. Vielleicht ist es ja DIESER Aspekt, der u.a. die Idee so schrecklich macht? Männer sind, wenn man es genau nimmt, seit letzter Woche fortpflanzungstechnisch überflüssig, denn „Jungfernzeugung“ ist jetzt machbar, Frau Nachbar.
Nun, das sind ähnlich absurde Gedanken wie etwa der, dass durch das reproduktive Klonen der Genpool der Menschheit vermindert würde und wir letztlich durch den Verlust der Anpassungsfähigkeit, der durch die geschlechtliche Fortpflanzung gegeben ist, untergehen würden. Denn: wie viele würden sich tatsächlich wünschen, ein Kind ALLEINE zu bekommen? Und wie viele könnten sich das leisten? Es wäre vermutlich eine kleine, reiche Minderheit in Gesellschaften, die insgesamt eher schrumpfen als wachsen. Glaubt jemand im Ernst, diese Möglichkeit würde jetzt oder später zur Standardpraxis aller sechs Milliarden Menschen auf diesem Planeten?
Das Gefühl der Sünde
Viele Menschen haben eine spontane Abneigung gegen vieles, was auf einmal technisch möglich ist, aber von der Natur so nicht vorgesehen war. Als die erste Eisenbahn fuhr, ergriffen Bauern die Flucht, als sie das neue Ungetüm zu Gesicht bekamen, Städter glaubten, die Geschwindigkeit verwirre das Gehirn. Die Einführung der Anästhesie bei Operationen rief Gegner auf den Plan, die das Gott gewollte Leiden an den Schmerzen der Eingriffe als Läuterung verteidigten. Und heute wollen wir alle keine Gen-Tomaten, haben aber deutlich weniger gegen medizinische Gentechnik, wenn sie denn hilft.
Seit die Entschlüsselung des Genoms im öffentlichen Bewusstsein ist, wird immer wieder argumentiert, der Mensch dürfe sich an den Grundbausteinen des Lebens nicht vergreifen. Dieses Zurückschrecken hat auch seinen guten Sinn als Bremse, denn schließlich garantieren ein paar Millionen Jahre Evolution doch ein gewisses Funktionieren des so Entstandenen. Wogegen das forscherische Trial & Error jede Menge Risiken birgt – Risiken, die viele Menschen dann aber doch bereit sind, einzugehen, wenn der Nutzen, den man sich davon verspricht, groß genug ist. AIDS, Krebs, seltene Krankheiten – wer würde nicht wollen, dass dagegen ein „geschicktes Mittel“ gefunden wird?
Nutzlosigkeit
So spricht gegen den menschlichen Klon vielleicht vor allem seine Nutzlosigkeit: All der wissenschaftliche Aufwand und die vielen Opfer auf dem Weg dahin würden durch keinen dringlichen Bedarf gerechtfertigt. Er wäre nicht Heilung für ein allgemein unerwünschtes Leiden, sondern lediglich eine weitere Möglichkeit der Selbstverwirklichung Einzelner, die es als ganz angenehm erachten, SICH SELBST ganz unvermischt ein neues Mal ins Spiel des Lebens zu werfen. Die Kinder, die so entstünden, hätten eine große Last zu tragen, denn von ihnen würde erwartet, das „Original“ zumindest zu erreichen, wenn nicht zu übertreffen: die Last des großen Irrtums ihrer Erzeuger, die in ihrer egozentrischen Verblendung meinen könnten, „genetisch gleich“ sei auch im Leben verlässlich dasselbe.
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24 Kommentare zu „Vom menschlichen Klon – was ist so schlimm an ihm?“.