Antje Schrupp hat wieder einmal einen bemerkenswerten Artikel verfasst: In „Wie ich zu einer unfreundlichen Person wurde“ schildert sie eine erotische Situation aus ganz jungen Jahren. Sie war 14 und nach einigem Küssen und Streicheln wollte sie dann doch nicht MEHR, was den etwas älteren Jungen ärgerlich reagieren ließ. „Erst aufgeilen und dann doch nicht zum Ende kommen“, das könne sie doch nicht machen!
Antje berichtet, wie sie das empfunden hat:
„Ich erinnere mich noch daran, dass mich das damals sehr schockierte, weil ich bis dahin ganz selbstverständlich (in einer vom Patriarchat offenbar noch ungestörten Naivität) davon ausgegangen war, dass Sex zu wirklich jedem Zeitpunkt des Verfahrens von allen Beteiligten einseitig beendet werden kann.
Ich lernte an diesem Tag, dass das ein voreiliger Schluss war. Ich lernte, dass ich damit rechnen muss, dass mein Entgegenkommen, mein Mich Öffnen, meine Freundlichkeit, von Männern (sicher nicht von allen, aber eben doch von welchen, ohne dass ich vorher wissen könnte, ob dieser konkrete Mann, mit dem ich es gerade zu tun habe, dazu gehört) quasi als Versprechen auf “Mehr” interpretiert werden kann. Sogar als Verpflichtung. Dass Männer auf irgend eine mir damals noch unverständliche Weise die Idee entwickeln können, sie hätten irgendwelche “Ansprüche” mir gegenüber.
Dieser Freund, der älter war als ich, verstand sein Verhalten damals nicht als Sexismus, sondern eher als Warnung. Und möglicherweise war es das auch. Er meinte es gut. Nicht jeder Mann, so warnte er mich, würde in einer entsprechenden Situation ohne weiteres von mir “ablassen”.“
Solche Situationen sind mir aus der eigenen wilden Jugendzeit wohl bekannt. Vermutlich gibt es kaum ein Mädchen, das derlei NICHT erlebt. Je nachdem, wie ärgerlich, verständnisvoll oder brutal übergriffig sich die jeweiligen Jungs verhalten, entwickelt sich so erstmal ein heftiges PROBLEM mit dem männlichen Begehren und mit Sex überhaupt.
Ein bisschen erotische Autobiografie: Revolutionärer Sex
In meiner Teeny-Zeit – „damals 68“ und in den wilden 70gern – kam hinzu, dass der Zeitgeist frühen und „lockeren“ Sex als revolutionär und befreiend feierte. Eine Bewertung, die ich fraglos teilte, richtete sie sich doch gegen das verklemmte und Sex-feindliche Klima, das die Eltern- und Großeltern-Generation gerne tradiert hätte. Nicht mit uns! :-)
In Folge dessen empfand ich mein Unvermögen, beim von aufklärerisch engagierten Medien detailliert „vorgeschriebenen“ Akt (Vorspiel, GV, Nachspiel) auch die entsprechende Lust zu empfinden, zunächst als persönliches Defizit, das es abzubauen gelte. Etliche Jahre lang spielte ich mehr oder weniger vor, Lust zu empfinden und bemühte mich, zumindest technisch eine „gute Liebhaberin“ zu sein. Erst mit 18 ´machte „es“ mir zum ersten Mal richtig Spass – aber nicht etwa, weil ich zum Lustempfinden nicht fähig gewesen wäre: mit mir alleine gab es kein Problem. Masturbation kannte und praktizierte ich seit der frühen Kindheit (was mir auch Ärger einbrachte, doch das ist eine andere Geschichte). Nur zu zweit klappte es einfach nicht, wie ich es erwartete – noch nicht, was zwischen 14 und 18 aus heutiger Sicht ja nicht wirklich wundert.
Befreiender Feminismus und Beziehungsdramen
Mit dem Vordringen der Frauenbewegung ins allgemeine Bewusstsein änderte sich meine Bewertung der eigenen Lust-Defizite beim „Verkehr“. In den 20gern erlebte ich diese nun auch anders, nämlich als Sex-Stress in längeren Beziehungen: Anfänglich war alles toll, romantisch, ja richtig geil – doch kaum hatte ER mich sicher, verlor sich das Aufregende nach wenigen Flitter-Monaten. Jetzt sollte Sex alltäglich stattfinden, ohne viel „Drumrum“, einfach so, weil es „dazu gehört“ und ER es offenbar brauchte wie Essen und Trinken. Mir ging das nicht so, also empfand ich das fortwährende direkt oder auch „vorsichtig indirekt“ vorgetragene Begehren als lästige, definitiv abturnende Forderung und bedrückende Beziehungskatastrophe. Wenn ich SOLL, komme ich gar nicht erst zum WOLLEN!
Anstatt dass mein Begehren wuchs, entwickelte sich eine (sehr schmerzlich empfundene!) Verachtung für IHN, der offenbar „das Eine“ so sehr brauchte, dass es zu unserem Dauerproblem wurde. FREMDE Männer konnte ich begehren, da sie keine „Ansprüche“ auf mich hatten und ich ihnen gegenüber wirklich FREI war. Mit dem „Eigenen“ gab es Endlosdiskussionen, durchwachte Nächte, viele Tränen und gegenseitige Verletzungen – ein elendes Drama!
Der feministische Blick auf das männliche Begehren ermöglichte es mir einerseits, mein „Versagen“ nicht mehr individuell, sondern als gesellschaftlich-patriarchalisch bedingt zu verstehen. Andrerseits liebte ich diese Männer meiner Jugend ja wirklich. Und ich sah ja, wie ER litt, wie seine Selbstachtung litt… gruslig!
Die Lust in die eigene Hand nehmen
Entspannt hat sich die Situation erst mit zunehmendem Alter. Ein wesentlicher Wendepunkt war dabei das Erkennen, dass ich auch physisch die Verantwortung für die eigene Lust übernehmen kann, anstatt zu erwarten, dass ER genau zum rechten Zeitpunkt das Richtige tut. Nicht unbedingt verbal, sondern durchaus auch durch eigenes Hand anlegen bzw. MIR gefallende „Nutzungen“ unserer beider Körper. Ein sprichwörtliches „in der Woche zwier“ hab‘ ich mir dennoch niemals angewöhnt, doch hatte ich nun genug Selbstbewusstsein und Beziehungskompetenz, dies nicht zum Drama werden zu lassen, bzw. mir eben die entsprechenden Männer auszusuchen.
Drama, Streit und Tragik
Zurück zu Antjes Artikel, dessen Kommentargespräch ich allen empfehle! Darin wird nämlich die ganze Tragik des Geschlechterkampfs auf den Punkt gebracht: Sowohl inmitten sexueller Handlungen ALS AUCH in Situationen gewöhnlicher weiblicher Freundlichkeit im Alltag verstehen viele Männer dies als Versprechen eines MEHR. Dem Küssen und Schmusen soll wie selbstverständlich der Akt folgen – und wer freundlich ist und lächelt, flirtet ja offensichtlich, darf also „angebaggert“ werden. Weist die Frau den Mann zurück, ist er schon mal sauer, was sich je nach Situation und Charakter unterschiedlich äußert. Woraufhin die Frau entsprechend genervt ist und vielleicht sogar – wie Antje – zu einem Männern gegenüber präventiv „unfreundlichen Menschen“ wird. Nicht weil sie glaubt, ALLE würden übergriffig (nur dann wäre der „ist ja wie Rassismus-Vorwurf“ berechtigt), sondern weil sie vermeiden will, von jenen belästigt zu werden, die bloße Freundlichkeit gleich missverstehen.
Im Lauf der Diskussion entwickelte sich ein Konsens im Blick auf die Gefühle: Enttäuschung, ja sogar Ärger lassen sich nicht „verbieten“ – wohl aber kommt es darauf an, wie mit Zurückweisungen umgegangen wird. Es gibt keinen Anspruch auf ein MEHR, also ist der Mehr-Begehrende in der Pflicht, gegenüber den eigenen Gefühlen ausreichend Distanz zu gewinnnen, um das Gegenüber nicht zu verletzen.
Das TRAGISCHE an alledem: Es sind in der Regel immer noch die Männer, von denen erwartet wird, den ersten expliziten (!) Schritt zum „Mehr“ zu machen: sich zu trauen, nach der Telefonnummer zu fragen, bzw. vom Plaudern zum Küssen fortzuschreiten. ER muss das Missverständnis wagen, das ihn als Trottel da stehen lassen könnte, bzw. die Zurückweisung riskieren, die gewiss schmerzen wird. Und je jünger die Frau, desto eher wird es auch beim Sex der meist etwas ältere Mann sein, der die Dinge voran treibt – immer mit der Gefahr eines katastrophalen Scheiterns.
Der viele Ärger rund um diese männlichen Forcierungen (beim Sex, beim Flirten, bei bloßer Freundlichkeit) entsteht aus Fehlschlägen, die für beide unangenehm sind. Fehlschläge, die nicht in jedem Fall von vorne herein auf einem FEHLVERHALTEN basieren. Denn die vielen gelingenden Beispiele werden in den Diskussionen komplett vergessen, bzw. gar nicht weiter bedacht. Männer sind faktisch in der Situation, das Risiko, Frauen zu nerven, gar nicht mit letzter Sicherheit vermeiden zu können – es sei denn, sie geben es ganz auf, irgendwie aktiv zu werden.
Das aber gefällt den meisten Frauen auch nicht. Tragisch!
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129 Kommentare zu „Wenn SIE nicht MEHR will: zur Tragik im Geschlechterkampf“.