Nur noch wenige Tage, dann steige ich in den Flieger und betrete eine komplett andere Ebene des Daseins – zumindest kommt es mir gerade so vor, obwohl die Erinnerung an die letzte Reise nach Kambodscha natürlich da ist. Ich weiß recht genau, was mich am Ziel erwartet, realistisch betrachtet gibt es keinen Grund für irgendwelche Ängste. Und doch…
Nun ja, ich kenne es ja schon: das FLIEGEN ist nicht mein Ding, das Ausgeliefertsein an neuzeitliche Technik, die mich von der Erde, auf der ich sicher stehe, in 10 Kilometer Höhe trägt (gruslig!!!), aktiviert die Grundangst ums Überleben. Ein Drittel der Flugreisenden spürt diese Angst beim Fliegen, wenn man den Umfragen glaubt. Bei mir lebt sich diese Angst hauptsächlich im Vorfeld der Reise aus, denn wenn ich dann einsteige, habe ich es ziemlich gut im Griff, fürchte also nicht direkt „Panikattacken“.
Als ich als Jugendliche mit dem Schach spielen anfing, merkte ich schon bald, wie ich mit den Angriffsmöglichkeiten meines Gegenübers umgehe: ich denke das Schlimmstmögliche voraus, sehe es als das an, was geschehen wird, finde mich damit ab und plane eine Reaktion für diesen „schlimmsten Fall“. Ich spielte schon bald recht engagiert, wurde Vereinsmitglied, spielte erst in der zweiten, dann in der ersten Mannschaft sonntägliche Turniere der „Hessenliga Süd“. Nach zwei, drei intensiven „Schach-Jahren“ war es dann vorbei: ich schaute auf das Brett und fragte mich, warum ich meine Zeit damit verbringe, tote Holzklötze hin und her zu schieben. Die Luft war raus, der Ehrgeiz weg, ich hörte auf mit dem Spiel, das mir so wichtig gewesen war und suchte mir fortan meine Herausforderungen im „richtigen Leben“.
Geblieben ist mir die Gewohnheit, mich beim Auftauchen von Angstgefühlen mit dem Gefürchteten abzufinden, es nicht zu negieren, sondern mich damit „anzufreunden“. Das funktioniert auch wunderbar bei allem, vor dem man so üblicherweise Angst haben kann:
- Mein Liebster könnte mich verlassen: nun ja, ich bin ja immer bei mir und habe auch schon ohne ihn gut gelebt.
- Ich verliere den „wilden Garten“: ja, dann suche ich mir eben einen neuen, bzw. lebe meine Lust auf Natur wieder auf Ausflügen ins Umland aus.
- Meine Einkommenssäulen könnten wegbrechen: na, dann bin ich eben wieder „arm“, lebe mit ALG2 und gehe daran, neue Ideen umzusetzen
- Ich könnte krank und pflegebedürftig werden: Hauptsache, ich habe Netzanschluss…
- Ich verliere auch den Netzanschluss: na gut, dann ist es wohl an der Zeit, ernsthaft in Meditation zu gehen.
Klappt wunderbar, doch bezüglich der „finalen Angst“ vor dem Tod verlangt dieses Vorgehen ein Einverstanden-sein mit dem Sterben: Ja, alles hat ein Ende, warum nicht auch „ich“? Ist es nicht auf Dauer ein wenig öd, dass alles „immer so weiter“ geht? Erlebe ich nicht schon manchmal eine gewisse Sehnsucht nach dem Abtreten, dem Aussteigen aus der Wiederholung des Altbekannten? Immer dieselben menschlichen Bedürfnisse nach Bequemlichkeit, Sicherheit, Anerkennung und lustvollen Erregungszuständen – muss man deren Ende wirklich fürchten?
Die andere Sicht
In einem Fernsehkrimi hat mich mal die Figur eines Gangsterbosses beeindruckt, der neben seinen kriminellen Machenschaften ein Faible für alles „Japanische“ hatte, insbesondere für die Samurai und ihre Traditionen. Als die Kugeln seiner Gegner ihn schließlich trafen, zitierte er noch auf japanisch die Sterbe-Formel:
„Wüsste ich nicht, dass ich immer schon tot bin, würde ich es bedauern, aus diesem Leben zu scheiden“.
Das „immer schon tot sein“ bezieht sich auf die Idee, dass ein „Ich“ ja nicht wirklich existiert. „Mich“ als separate Existenz gibt es gar nicht, es gibt mich nur in Bezug auf Andere: die Claudia für die Diary-Leser, für den Liebsten, für die Kursteilnehmer, für die Webwork-Kunden – jedes „Ich“ ist nichts als ein Knoten im Netz, Teil eines dynamischen Prozesses, der von Anbeginn des Lebens abläuft und immer neue Vernetzungen mit immer neuen „Knoten“ produziert – letztlich substanzlos und leer.
Ohne mich zu entscheiden, welche Sicht der Dinge ich bevorzuge, werd‘ ich jetzt an die Tagesarbeit gehen. Denn wenn ich genau hinschaue, sind es die kleinen Alltags-Ängste vor einer großen Reise, die diese „großen Ängste“ anstoßen: Ich könnte was Wichtiges vergessen, nicht alles schaffen, was ich vor der Abreise noch schaffen will – und so weiter und so fort. Handfeste Arbeit, konkretes Tun, „Holz hacken und Wasser holen“ bringt Gelingen. :-)
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11 Kommentare zu „Angst – nicht nur vorm Fliegen“.