„Wenn wir dann alt sind und unsere Tage knapp – und das wird sowieso passieren – dann erst werden wir kapieren, wir hatten nie was zu verlieren“ – ein berührender Aufruf gegen den allzu vorsichtigen täglichen Trott. Julia Engelmann auf dem 5.Bielefelder Hörsaal Slam:
Mich macht das richtig traurig, denn Julias Rede lässt viele Rückschlüsse zu auf das Leben heutiger junger Menschen zwischen Smartphone und endlosen ToDo-Listen, zwischen Selbstveränderungsvorsätzen und regelmäßigem Scheitern.
Im Nachhinein kann ich nur unendlich dankbar sein, meine Jugend in den wilden 70gern und 80gern verbracht zu haben. Da war der Zeitgeist noch richtig jung und alles andere als vorsichtig. Man musste nicht wirklich zur Außenseiterin werden, um ein ANDERES Leben zu führen, abseits des Karrierestrebens in der 9-to-5-Gesellschaft, in der „richtig leben“ nur im Urlaub Platz hatte. Kein Mensch glorifizierte „Leistungsträger“ mit 80-Stunden-Woche, nur die ALTEN beschwerten sich über mangelnde Sekundärtugenden, das Wort „Sozialschmarotzer“ war noch nicht mal erfunden!
Anstatt fast obligatorischer Auslandssemester oder Praktika, war der phasenweise „Ausstieg“ angesagt, bzw. ausschweifende Suchbewegungen nach den wirklich wichtigen, beglückenden Dingen im Leben. Viele wagten es, einfach mal „um die Welt zu trampen“ – eine Welt, in der das noch möglich war ohne als Rucksacktourist in irgend einer Pampa für Lösegeld entführt oder in die Auseinandersetzungen örtlicher Kampfgruppen verstrickt zu werden. Oder man probte zuhause das andere Leben: anders wohnen, anders lieben, anders arbeiten und konsumieren, anders Politik machen.
„Eines Tages, Baby, werden wir alt sein und an all die Geschichten denken, die wir hätten erzählen können…“
Ich könnte viele Geschichten erzählen und müsste ich jetzt sterben, würde mir nichts einfallen, was ich in diesem Leben entgegen eigener Träume ausgelassen hätte. Eine bloß individuelle „Leistung“ ist das freilich nicht, das ist mir sonnenklar! Und deshalb tun mir die Jungen leid, die in der Phase des auch hierzulande Raum gewinnenden „Raubtierkapitalismus“ sehen müssen, wo sie bleiben – anstatt in aller Freiheit auf die Suche gehen zu können. Auf die Suche nach der großen Antwort auf Fragen wie
Wer bin ich?
Was soll ich hier machen?
Was ist der Sinn von allem?
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64 Kommentare zu „Jugend im Wartezimmer: Julia Engelmann gegen traurige Konjunktive“.