Alle Welt spricht über die „Kaufzurückhaltung“ der Deutschen. Diese Haltung, die langsam aber sicher in den Geruch der Ruck-Feindlichkeit gerät, pflege ich nicht erst seit gestern, sondern schon recht lange, in manchen Bereichen immer schon. Man redet sich dabei gern ein, es geschehe aus Protest gegen irgend etwas, oder aus ökologischen Gründen, zumindest aus einem bewussten Sparwillen heraus – stimmt alles nicht. Es ergibt sich so, entlang an den Konditionierungen aus der Kindheit und entsprechend den Lebensgewohnheiten, die im Lauf der Zeit entstehen und sich verfestigen. Auch Konsumieren will gelernt sein!
Mode zum Beispiel. In der heißen Phase der Pubertät war es in meinen Peergroups rund um ein „fortschrittliches“ hessisches Gymnasium angesagt, in Jeans und T- oder Sweatshirts herum zu rennen. Klar, es musste eine bestimmte Marke, eine gewisse Farbe sein und manchmal kam es drauf an, wie tief die Hose auf der Hüfte hing oder wie breit die Beine in den Wind flatterten – dazu trug man tunlichst „Clarks“, wildlederne flache Treter mit dem Charme der Birkenstock-Zeit, die allerdings erst später kam. Manchmal stylten sich die Mädchen für die Disko, da das aber ein eher seltener Event war, lernte ich es nur in Ansätzen und vergaß es auch bald wieder. Sommers dann manchmal nur ein langes Shirt, das knapp über den Hintern reichte – der Mini-Rock war überall. Das war es dann auch schon.
Mit meinem damaligen Liebsten teilte ich zudem die Meinung: Gehe nirgends hin, wofür du andre Kleider anziehen musst! Und dem entsprechend gestaltete sich mein Berufsleben – eigentlich bis heute.
Als ich später – einfach mal so – etwas anderes anziehen wollte, so ein bisschen meine Optik ändern, vielleicht um einem neuen Mann zu gefallen, klappte das nicht mehr. Den halben Tag durch Kaufhäuser rennen, in stickigen Kabinen seltsame Zelte anprobieren, unfähig, etwas zu finden, was mir steht – der reine Horror! Ich hatte meinen Stil, und der war eigentlich keiner. Mir reichen drei Hosen und drei Sweatshirts, mal eine Hemdbluse zum schwarzen Blazer, den ich später zu Geschäftszwecken über den Jeans trug. Schuhe, die die Zehen unangenehm zusammen drücken oder es verunmöglichen, mal eben loszurennen, kommen nicht in Frage und auch keine Stoffe, in denen man schwitzt oder die irgendwie kratzen. Wer in Baumwolle sozialisiert ist, packt das einfach nicht mehr. Alles in allem war und blieb ich modemäßig eine Versagerin, zum Schaden der Wirtschaft, ich seh es ein.
Hifi ? Foto? Reisen?
An ganzen Konsumgüterfeldern verlor ich nach anfänglichem Engagement das Interesse: ein-, zwei Hifi-Anlagen, dann war schon Schluss. In den besetzten Häusern zu Anfang der 80ger war nichts sicher, die Polizei trat bei Durchsuchungen gerne Lautsprecher ein und suchte da nach Marihuana. Also reichte die alte Anlage vom Flohmarkt, dann kam ein geschenkter Radiorekorder und schließlich verlor ich den Draht zur aktuellen Musik.
Ach ja, die Fotoausrüstung! Ein Jahr mit einem engagierten Fotografen in der Dunkelkammer zugebracht – aber schon bald verkaufte ich die Konika wieder (alles noch echt aus Metall!). Es dauerte mir einfach zu lange, bis ich die Bilder zu Gesicht bekam – und dann gefielen mir davon zu wenige, um die Investition zu rechtfertigen. Seit es Digicams gibt, bin ich wieder dabei, immerhin ein Lichtblick.
Reisen? Ein ganz trauriges Kapitel, unter Konsumaspekten betrachtet! Mit meinen Eltern hatte ich zwischen 9 und 17 immer denselben Sommerurlaub verbracht: vier bis sechs Wochen auf einem Campingplatz nördlich von Rom. Ohne Pinienduft war es für mich dann später kein richtiger Urlaub, und auch Hotels brachten nicht das richtige Feeling von Freiheit und Abenteuer rüber. Mehr noch beschlich mich nach dem dritten Urlaubsversuch in den Zwanzigern das Gefühl: Was soll ich denn da? Da kenn ich doch keinen und habe auch nichts zu tun! Da half auch die Reise in der Kleingruppe nichts, ich langweilte mich: immer rumlaufen und gucken? Von einem Ort zum andern fahren? Ja wohin denn und wozu? Schon bald war es vorbei damit, ich entdeckte die Freuden meines spannenden Arbeitslebens und wollte sowieso nicht mehr weg. Nur ins Toskana-Haus eines lieben Freundes – bella Italia! – Wochen und Monate lang immer an denselben Ort, das ging dann wieder. Und kostete mich fast nichts.
Möbel? Während der 80ger zog ich so oft um, dass es mir zuviel wurde, deshalb immer so einen Aufstand zu machen und so viele Leute zu brauchen. Ich reduzierte meine Habe auf das nötigste und verabschiedete jede Menge Bücher. Es wurde mir klar, dass Bücherwände immer weiter wachsen und immer schwerer umzuziehen sind. Dem gebot ich Einhalt. Etwa 200 dürfen sich seither auf 4 Regalbrettern sammeln, wenn es mehr werden, ist Ausmisten angesagt.
An den Rudolfplatz zog ich mit neun Umzugskisten und den wenigen Möbeln, die man eben braucht: Schreibtisch, Bett, zwei Regale, ein paar Stühle, Waschmaschine und Kühlschrank, ein Tisch – für die Klamotten reichte mir ein Sideboard und die Kleiderstange, immer hatte ich mich geweigert, einen Schrank anzuschaffen. Ich will sehen, was da ist. Es soll nicht in Schränken und Kästen versteckt sein, denn dann wird es leicht immer mehr.
Einkaufen verlernt
Und nun ist gerade die sechste Woche in der neuen Wohnung rum, es ist wunderschön hier, aber es fehlt mir was! Dies und das – ja, ich weiß langsam ganz genau, was mir alles fehlt. Auf einmal gibt es diese „innere Liste“ der Anschaffungen, die ich machen will. Ich bin bereit! Ich WILL einkaufen – und schleiche seit Wochen immer mal durch die Shoppingmalls, Möbelgeschäfte, Trödler und Flohmärkte. Himmel, es geht nicht „einfach so“. Ich habe das Einkaufen richtig verlernt!
Drei Wochen hab ich gebraucht, um einen simplen Staubsauer zu erstehen. Erst die Überlegung: Warum nicht ein Gebrauchter zu 10 Euro vom Trödel?? Lieber nicht, der Gedanke an fremden Dreck war mir dann doch unsymphatisch. Dann die neuen Geräte in den einschlägigen Geschäften: Warum kostet der eine 89,-, der andere 245 Euro? Muss ich jetzt etwa Informationen über Staubsauger sammeln? Um Himmels Willen, ich wendete mich mit Grausen – bis zum nächsten Versuch. Langsam sammelten sich die Staubschwaden unterm Bett, die Sache drängte.. Und wieder stand ich vor einem Sauger meiner Wahl, hob das Teil in der Verpackung kurz an: Zu Fuß nach hause tragen? Unmöglich, da brauch ich ein Auto. Vertagt! Die ganze Sache entwickelte sich zum Slapstick – aber na ja, jetzt hab ich einen AEG Vampir zu 79,- von Saturn, heimgefahren mit dem Taxi, Kurzsstrecke zu 3 Euro. Erfolg!
So langsam hat sich auch ein Bedürfnis nach einem gemütlichen Zimmer eingestellt: Ich möchte meinen Ort verändern können, weg vom Arbeitsplatz, aber nicht gleich aufs Bett liegen. Das ist besonders schwierig, denn mein „gemütliches Zimmer“ war seit 15 Jahren das Zimmer meines Lebensgefährten. Wo immer er wohnt, seine Räume sind wohnlich und angenehm, sprechen die Gefühle positiv an, sind in rot-, ocker- und Brauntönen gehalten, strahlen Wärme aus. Wogegen meine Zimmer eher cool wirken, zweckmäßig, nichts, um so richtig auszuspannen. Ich brauchte das ja nicht, denn abends ging ich zu ihm rüber. Einen Fernseher gab’s da auch – bei mir natürlich nicht. Wenn man Wand an Wand wohnt, dringt der Sound immer durch, das haben wir lieber gelassen.
Mehr Druck, mehr Ruck
Nun sitze ich also da, sehne mich nach dieser wohnlichen Wärme und schreibe auf meine innere Liste: ein großer Teppich, mindestens 2.50 mal 3.50, ein Nepal-Teppich oder Tibeter, gern auch ein naturfarbener dicker (!) Berber. Auf den Holzdielen sähe er super aus, ohne dass ich mich durch ihn schon für eine Farbe entscheiden müsste. Mir fehlt der Mut zur Farbe, stelle ich fest. Ein paar kleinere farbige Teppiche sind da zwar schon, aber ich kann mich nicht entscheiden, ob das ganze Zimmer eher Richtung rot oder blau gehen soll.
So ein teurer Teppich bloß fürs Wohlbefinden? Kostet locker 500 bis 700 Euro – das ist die nächste Hürde! Bevor ich mir den leiste, müsste sich finanziell erst deutlich etwas ändern, klar. Immerhin ist es nicht schlecht, Konsumwünsche zu haben, dann ergibt das etwas mehr Druck, sich in Richtung Geld verdienen mal einen richtigen Ruck zu geben – ach Deutschland, lass rucken, für den Berber ruck ich mit!
Die Medien sind auch so ein Thema. Derzeit sitze ich in der Stille und lese täglich die Zeitung, das ist alles. Kein TV, kein Radio – meine Versuche, einen Radiorecorder mit CD-Player oder eine kleine Anlage anzuschaffen, waren eine Katastrophe. Wer das Musikgerät für Jahrzehnte keines Blickes gewürdigt hat, hat in so einer Abteilung Schwierigkeiten, überhaupt zu erkennen, was da so rumsteht. Sieht deutlich anders aus als früher – mir fehlen sämtliche Kritierien, um auch nur zu entscheiden, was für eine Größe das Teil haben soll (Mikro? Mini? Kompakt?), geschweige denn weiß ich noch was von den „Werten“, die man da üblicherweise vergleicht. Die Boxen sind kleiner geworden, das seh‘ ich. Es gibt ihn also doch, den Fortschritt.
Das Schnäppchen..
Ich werde wohl auf eine Begegnung auf dem Flohmarkt warten müssen – so eine, wie ich sie am Sonntag hatte mit dem Schrank (!) meiner Vorstellungen! Ja, ich bin auf den Schrank gekommen, das Sideboard und die Kleiderstange sollen dafür verschwinden. Aber bitte kein moderner Schrank!. Ich hasse Pressspan, diesen überschweren furnierten Müll, elend zu schleppen und beim zweiten Mal zusammen schrauben bricht alles auseinander. Ein alter Schrank sollte es sein, aus leichtem Holz, gern ganz schlicht, ohne viel Säulchen und Verzierungen. In den Trödelläden sah ich jede Menge: für 450 Euro aufwärts verbreiteten sie Gediegenheit, abgebeizt oder dunkel belassen, mit Säulen und Spiegeln. Na, ich bin kein Antiquitäten-Fan, meine Vorliebe ist ganz unromantisch, rein materialtechnisch begründet. Für Omas Kleiderschrank soviel Geld auszugeben, erschien mir einfach vermessen! Ich dachte nicht mehr ernsthaft an den Schrank, als ich ihn Sonntags auf dem Flohmarkt auf einmal da rumstehen sah. Der Junge, der davor Spielzeug verkaufte, sagte auf meine Frage nach dem Preis: „30 Euro“. Und als ich, etwas perplex, nicht gleich etwas erwiderte, meinte der Vater, der mein Zögern bemerkt hatte: „20 Euro. Ein echtes Schnäppchen“.
Womit er recht hatte. Weitere 20 Euro wurde ich bei einem Plattenhändler los, der sich bereit erklärte, mir den Schrank mit seinem Laster an den Rudolfplatz zu fahren. Wie leicht die Teile sich dann in den dritten Stock tragen ließen! Und wie problemlos das Zusammenstecken funktionierte: ohne jedes Werkzeug!
Na, so geht es also langsam doch voran. Wie lange ich noch bis zur Musik, bis zum Fernseher, dem besonders ersehnten Teppich und vielleicht gar einer großen Couch brauchen werde, weiß der Himmel. Aber ich bin guter Dinge, der Konsumstau löst sich langsam auf! (Ob das für den „Ruck“ reicht, ist eher ungewiss…)
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