Matrix Reloaded – diesen Film wollte ich nicht auslassen. Egal, was er ansonsten noch bieten oder vermissen lassen würde: der Augenschmaus der neuesten Computeranimationskünste lockte mich, noch dazu in einer Rahmenhandlung, die den Geist vielleicht nicht gerade fordern, aber doch auch nicht allzu sehr beleidigen würde.
Also los. Ein Bezirkskino am Treptower Park garantierte entspannten Filmgenuss – je älter ich werde, desto weniger mag ich es, wenn „die Massen strömen“, man sich in langen Schlangen anstellen muss, beim Sitzen die Ellenbogen der Nachbarn spürt und der Geruch von Popkorn, Schweiß und zig Sorten Deo-Spray oder Haargel in die Nase zieht.
Je älter ich werde, das merk‘ ich auch schon seit Jahren, umso weniger verschwinde ich in den Filmen: das Eintauchen in die Handlung, die Identifizierung mit den Personen und ihren Zielen ist kaum mehr vorhanden. Bei guten Filmen macht das wenig aus, andere Genüsse treten in den Vordergrund und wiegen den Verlust mehr als auf. Auch bei „Matrix Reloaded“?
Ja. Das Spektakel für die Augen ist erwartungsgemäß beeindruckend. Es amüsiert mich insbesondere, zu bemerken, wie die „Ausstattung“, also die Umwelten, in denen die Handlung spielt, nicht so sehr von Story-Schreibern erdacht zu sein scheint, sondern sich von den aktuellen Möglichkeiten des „3-D-Rendering“ ableitet: als Computer als grafische Werkzeuge gerade erst entdeckt waren, erschien die jetzt mögliche Vollkommenheit glatter Formen und Flächen als das Neue, das NonPlusUltra – die „Zukünfte“ erstrahlten in kalter, technoider Eleganz, aseptisch, unorganisch, und niemals erinnerten sie an das lang vergangene Zeitalter der Mechanik. Man drückte auf Knöpfchen oder sprach in einen Kommunikator, die „Maschinen“ walteten im verborgenen, ganz wie in einem modernen Bürogebäude.
Das ist vorbei! Seit es möglich ist, organische Formen und „unregelmäßig“ gemusterte Flächen darzustellen, sind die Welten wieder geradezu mittelalterlich-mechanisch, voller Rost und Abnutzungserscheinungen, Rohre und Zahnräder, zusammen genietete Altmetalle, die Raumschiffe in Schrotthaufen-Optik – toll!
Und der Inhalt? Die Kunst, Weltmythen ins Bild zu setzen, braucht die Askese des Verstands, den Verzicht darauf, allzu klare Bedeutungen vorzugeben, denn das würde die Möglichkeit jedes Einzelnen beschränken, die je eigenen Interpretationen hinein zu legen. Hinzu kommt, dass der Film überdeutlich als Teil einer größeren Verwertungskette auftritt – wer mehr wissen will, soll sich den ersten Teil, den letzten Teil, die DVD und das Video mit den Interpretationen weiterer Filmemacher und Designer zulegen – und natürlich das Computerspiel erwerben, denn „noch nie griffen Movie & Spiel so perfekt ineinander“.
Ja, das tun sie, nicht unbedingt nur zum Vorteil des Films. Aber egal: der „Content“, der geliefert wird, beeindruckt durch seine Ebenen-Gewichtung: die Rede von Morpheus an die Gemeinde von Zion, das Gespräch mit dem Orakel, die Welterklärungen des „Architekten“ – alles, was das mentale Denken anspricht, passt gut in die Länge eines Diary-Beitrags. Der große Rest spricht andere Ebenen an. Und das nicht einfach nur so, ohne Kommentar, nein, es wird auch in der „Handlung“ thematisiert, geradezu gefordert. Ein beispielhaftes Ineinander-Greifen von Form und Inhalt! Immer wieder mutet mich so etwas an, als betätige sich Hollywood ganz bewusst auf der Ebene des kollektiven Unterbewusstseins: hier geht es darum, die Dominanz des „rechnenden Denkens“, des logischen Verstandes, die im 20. Jahrhundert alles andere überwuchert hat, zurück zu schneiden. Andere Seinsaspekte werden in den Fokus der Aufmerksamkeit gestellt, der Kopf vom „Grübeln“, vom endlosen Wägen und Bedenken tragen entlastet. Das erschöpft sich nicht im Kampf gegen die Maschinen, die man als Metapher für das lebensfeindlich ausgewucherte „rechnende Denken“ verstehen kann, es geht auch explizit um die innere Einstellung der Akteure: nicht aus der Analyse eines Problems beziehen sie ihre handlungsleitenden Anstöße, sondern aus dem Glauben, aus dem Herzen, aus der Intuition.
…du hast dich schon entschieden!
Um dies zu vermitteln, wird doch tatsächlich die derzeit spirituell herrschende „letzte Wahrheit“ vieler, die nicht mehr magisch-religiösen Systemen folgen wollen, eingeflochten: „Entscheidung ist nur eine Illusion, entstanden zwischen den Menschen mit und ohne Macht“. Oder auch „Du HAST dich schon entschieden, es geht nur noch darum, deine Entscheidung zu verstehen!“. Die Bezüge zu den Lehren der Satsang-Bewegung ist unübersehbar: Da ist niemand, der entscheidet. Handlungen geschehen – WER handelt? Als dann Neo zu wählen hat zwischen seiner eigentlichen Aufgabe (Zion zu retten) und seiner Freundin, wenn dabei auch die Menschheit untergehen mag, spürt er in sich hinein und „wählt“ Letzteres. Er KANN erst in dem Moment handeln und die entsprechende Tür nehmen, als man ihm sagt: Du HAST dich doch schon entschieden!!!
Jenseits der Frage, wie die Filmemacher dies meinen, wird mir auf einmal klarer, WAS der „Trick“ dieser Weisungen ist: Erst die Aussage „du hast schon entschieden“ entlastet das Individuum vom eingravierten und angelernten „How-To“ in Sachen: „Was tu ich jetzt?“. Erst durch das Beiseite-Lassen der Verstandes-Ebene tritt der Rest der großen Landschaft des „Selbst“ wieder ins Licht des Bewusstseins. Das einzig legitime und gerechtfertigte Herangehen an „Probleme“ ist nämlich immer noch das „informieren, analysieren, abwägen, berechnen, entscheiden und dann handeln“. Das funktioniert ja auch, soweit es darum geht, die Maschinen, Apparate und Programme der technischen Zivilisation zu erschaffen und am Funktionieren zu halten – aber ist das alles, wofür wir leben??? Umgibt uns nicht mittlerweile ein stählernes Gestell aus vorgegebenen Formen und Regeln, Traditionen und Gewohnheiten, Verhaltens- und Erlebensweisen? Alle rational begründet, sehr „verständlich“ und zwingend, wenn man sie hinterfragt? Aber ist das nicht eine Einbahnstraße, in deren Verlauf wir alles und jedes kalkulieren, auch den Wert der einzelnen Leben? In der wir sogar die „Investitionen“ an Gefühl und Aufmerksamkeit in Beziehungen gegen den Nutzwert abwägen, den sie uns bringen? In der wir vergessen, dass wir arbeiten, um zu leben, und nicht umgekehrt?
Schon das Wort „irrational“ ist nur abwertend und diskriminierend in Gebrauch. Der rationale Verstand ist vom Diener zum Herrscher geworden und negiert alles andere, ja, er versucht sich an der vollständigen Vernichtung aller nicht maschinenhaften (nicht operational „begründbaren“) Selbst-Anteile. Alles nicht Rationale soll bis in die eigene Innenschau hinein als zu verdrängende Altlast gesehen werden. Es wird dann tasächlich „vergessen“, gar nicht mehr wahr-genommen, aus der „Wirklichkeit“ aussortiert. Und so leben dann unzählige Menschen ein Schmalspurleben: wollen immer nur „abgesichert“ handeln, nicht anecken, Ansprüchen genügen, Funktionen erfüllen und dafür anerkannt werden. Und können sich keinen Reim darauf machen, warum es ihnen „trotzdem“ beschissen geht; Ängste, Süchte, innere Unsicherheit, überdruß, Selbstverachtung – und Wut und Groll nach außen auf die „übermächtigen Mächte“, die einen vermeintlich zwingen, SO zu sein, so sterbenselend vernünftig.
Anders die Helden in „Matrix“: die innere Gewissheit, aus der heraus Morpheus seine Rede an Zion am Vorabend des erwarteten letzten Angriffs der übermächtigen Maschinen hält, ist durch „Informationen“ nicht zu erschüttern. Es ist kein ganz so simpler Glaube, wie ihn die „biblischen“ Anspielungen nahe legen, das wird im Zuge der Rede deutlich: Nicht, weil das „Volk von Zion“ irgendwo hin will, oder aus seinem „Herkommen“ einen wie immer gearteten Auftrag bezieht, soll dem Angriff mutig entgegen getreten werden. Sondern „weil wir noch da sind“. Dieses Dasein „Hier-Jetzt“ wird im Anschluss an die motivierende Rede dann auch im spontanen Tanz der Menge gefeiert – kein dumpf-agressiver Kriegstanz, trotz Trommeln, sondern ekstatische Lust! Direkt in diese Szenen hinein geschnitten vereinigt sich Neo, der Außerwählte, in unverstellt erotischen Szenen mit seiner Geliebten – und sie sehen sich „dabei“ sogar in die Augen!
Der Verwurzelung des Herzens im Augenblick hält auch dann noch, als die „große Erzählung“, die für die Verstandesebene des Glaubens noch gebraucht wurde, zusammen bricht: die Prophezeiung entpuppt sich als Märchen – ein Schlag für die Helden, aber kein Grund, zu verzweifeln. Die Liebe hält sie in Bewegung, lässt sie den Forderungen des „Jetzt“ mutig entgegen treten. Wie es weiter geht, wird der dritte Teil zeigen.
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