Kleine autobiografische Geschichten – lies zuerst Teil 1.
Raus aufs Land, der nächste Anlauf (45)
Kann man „im Internet leben?“ Lange reichte mir das. Die Stadt da draußen, das „Kiez“, in dem ich einst so aktiv gewesen war, nahm ich kaum mehr wahr. Fast wunderte es mich, dass mich erneut die Sehnsucht packte: nach Grün, nach Erde, nach dem GANZ ANDEREN. Und plötzlich schien es auch möglich: Als Webworkerin konnte ich doch eigentlich von überall aus arbeiten! Ich schaute in die Inserate und siehe da: bei Belzig suchte eine Frau Mieter für ihr in Renovierung befindliches Haus in einem 100-Seelen-Dorf. Ein riesiger Garten, nach hinten hinaus nichts als Landschaft, eine bezahlbare Wohnung – ein Traum! Zwar wollte mein Liebster nicht mitziehen, aber was sind schon 100 Kilometer? Ich unterschrieb den Mietvertrag, feierte meine Zukunft auf dem Land, und dann begann das Warten. Im Haus musste erst noch eine Heizung eingebaut werden. Die Monate verstrichen, immer wieder wurde ich vertröstet. Der Winter verabschiedete sich, im Frühling zeigte sich die Stadt wieder freundlicher. Der Umzug kam mir mehr und mehr vor wie eine verrückte Idee, ein Märchen, etwas seltsam Irreales, trotz Mietvertrag. Irgendwann wurde mir das Leben zwischen Baum und Borke zu blöd. Ich sagte ab und begrub meinen Traum vom Landleben – für immer, wie ich glaubte.
Mecklenburg, die Gottesgabe (45 – 46)
Der Glaube hielt genau einen Nachmittag. Abends besuchte ich mit dem Liebsten eine Familie, die gerade „auf dem Sprung“ nach draußen war. Sie hatten mit Krediten ein „Schloss“ in Mecklenburg gekauft und dort Mietwohnungen geschaffen. „Es sind noch zwei Wohnungen frei, wollt Ihr nicht mit?“ Das kleine Dorf in der Nähe von Schwerin hieß auch noch „Gottesgabe“! War das nicht Fügung, ein punktgenaues Geschenk? Wir mieteten eine riesige Maisonette-Wohnung und verließen Berlin. Er wohnte im Erdgeschoss, ich im ersten Stock, jeder mit eigenem Bad, Parkettböden – noch nie hatte ich so „edel“ gewohnt! Draußen die große Schlosswiese, umgeben von einem Wäldchen. Ein Hühnerstall, ein großer, unbearbeiteter Garten. „Ihr könnt hier alles machen!“, sagten unsere Freunde. Und wieder einmal wähnte ich mich im Paradies, pflanzte Salat und Tomaten, kümmerte mich mit dem Liebsten um die Hühner und genoss den Blick in die unendlichen Weiten Mecklenburgs: Felder bis zum Horizont, die Straße zum nächsten Dorf eine blühende Alle- wie wunderbar.
Land kann auch stinken (46 – 47)
Es ist dem Menschen nicht gegeben, dauerhaft im Paradies zu weilen. Unsere Freunde durften natürlich auch „alles machen“ und probierten vieles aus: z.B. Ponys auf der Schlosswiese. Die Maulwürfe fanden das beängstigend und kamen massenweise im Garten hoch. Die Schnecken vom angrenzenden Sumpf, den wir zuvor nicht wahrgenommen hatten, fraßen alles, was trotzdem noch wuchs. Der frei laufende „Schlosshund“ erlegte immer mal wieder ein Huhn, weil man das mit den Zäunen und „Tor zu“ nicht so ganz ernst nahm. Eines Nachts fiel ich während eines Fests in ein tiefes, nicht abgesichertes Loch, das mal irgendwann als „Erdhaus“ für die Kinder gedacht war. Wackelungsgrad 1 für meine Vorderzähne! Riesige Landmaschinen verstreuten Gülle auf den Feldern, tagelang konnte man dem Gestank nicht entkommen. Und was die Nachbarschaft anging, bemerkten wir bald, dass wir nicht erwünscht waren: das alte Herrenhaus war früher das Dorfzentrum gewesen, das Mehrzweckhaus der LPG, die Kantine. Jetzt war all das vom „Investor aus dem Westen“ übernommen, dem man gerne Steine in den Weg legte, egal was er vorhatte.
Auch die Eintönigkeit dieses „Landlebens“ wurde immer spürbarer. Die Fahrten zum nächsten Supermarkt gerieten zum Highlight des Tages, die langen ereignislosen Abende versüßten wir uns zunehmend mit Wein. Die Leute vom „Getränkestützpunkt“ waren nicht im Stande, einen „trockenen Roten“ heran zu schaffen, bzw. ließen uns spüren, was für ein abseitiges Verlangen das war. Ich besuchte eine Schweriner Sauna und wunderte mich, wie gut es mir tat, einfach so unter fremden Nackten zu sein, die zusammen schwitzten und keine Animositäten pflegten.
Beim ersten Berlin-Besuch während der euphorischen Phase hatte ich noch Kopfweh vom Gestank der Stadt bekommen. Ein Jahr später ging ich dort wie auf Wolken, inspiriert von all den Eindrücken, die schon ein einfacher Gang durch eine belebte Straße vermittelte. Ich merkte: schon allein die Möglichkeiten der Stadt wirken aufs Befinden, auch wenn man sie gar nicht wahrnimmt. In Gottesgabe gab es keine Möglichkeiten mehr, nur die Schwere des Faktischen: stinkende Felder, abweisende Nachbarn, unendliche Langeweile. Ich nahm Abschied von Mecklenburg. 2001 zogen wir zurück, rein in den wilden Osten nach Friedrichshain.
– wird (gelegentlich) fortgesetzt –
Diesem Blog per E-Mail folgen…
Diskussion
Kommentare abonnieren (RSS)
6 Kommentare zu „Die Natur und ich – Teil 2“.