Claudia am 30. Dezember 2003 —

Jahresendgedanken

Es gelingt mir im Moment nicht, den langweiligen Kram abzuarbeiten, der in keinem Arbeitsleben ganz vermeidbar ist. Der sich immer wieder zu eindrucksvollen Bergen aufstapelt und dann immer lauter „du solltest jetzt endlich!!!“ in die Seele schreit. Ich höre es, aber es berührt mich nicht. Jedenfalls nicht drastisch genug, um mich aus meiner Jahresendzeitstimmung zu reißen, die nach ganz Anderem verlangt.

Nach Ordnung zum Beispiel: Ballast abwerfen, alles Unnötige, Zerstreuende, Ablenkende aussortieren, mich ganz neu auf das Wesentliche konzentrieren. Was aber ist „das Wesentliche“? Ein für allemal lässt es sich gewiss nicht bestimmen – ja, es lässt sich überhaupt nicht BESTIMMEN! Es funktioniert jedenfalls nicht, die einzelnen Aktivitäten vors geistige Auge zu stellen und sie dann nach „vernünftigen“ Kriterien zu bewerten: Das hier hat keinen sichtbaren Nutzen für irgend jemanden, es bringt auch kein Geld, also wird es gestrichen. Dieses hier hat mir immer mehr Ärger als Freude gebracht, also weg damit! Und jenes sollte eigentlich ein bisschen Welt-retten, ich seh‘ aber keinen Erfolg: hau weg den Scheiß!

Nicht Funktionieren heißt: zwar denke ich so, zwar stelle ich immer wieder solche Überlegungen an, doch in der Praxis hat das wenig Folgen. Ich mag „dies und jenes“ streichen, und das bringt für den Moment auch Entlastung. Doch nur wenig später finde ich mich wieder in neue, ähnliche Aktivitäten verstrickt vor. Offensichtlich gehört es zu meinem „Wesen“, mich derart zu zerstreuen, gelegentlich zu verzetteln, Dinge ohne klar benennbaren Nutzen zu tun. SOLLTE ich das ändern? Könnte ich es, wenn ich wollte? Sollte ich es überhaupt wollen?

Jahresendfragen. Ihnen ihre Zeit geben, ihnen ganz entspannt mal wieder ihren großen Auftritt gönnen, tut gut. Texte ohne klare Botschaft schreiben, was mir immer mal wieder jemand freundlich oder unfreundlich vorwirft, tut auch gut. Wenn ich mir so manche „Kritik“ angucke, die mir gelegentlich ins Forum gerotzt wird, frag ich mich immer: Warum muss der das schreiben? Wozu der Aufwand? Wenn ich etwas blöde, voll daneben, ganz falsch oder schlicht mies finde, mach‘ ich es wie die meisten: Klick und weg! Jede Einlassung, jede Resonanz ist Zuwendung, kostet Zeit und Aufmerksamkeit, auch die schlimmste Beschimpfung. Und ich wende mich nur dem zu, der mir etwas bedeutet, dessen Denken, Fühlen, Handeln mir also nicht egal ist. Zumindest gilt das in den Räumen der Freiheit. In denen der Notwendigkeit, etwa in einem Arbeitsteam, muss ich mich natürlich einlassen, mich „auseinander setzen“. Aber auch dann nur so weit, wie es die gemeinsame Sache fordert, nicht etwa automatenhaft: Der hat was Saublödes oder gar Feindseliges gesagt, da spring ich jetzt drauf an…

Es gibt Freunde, die hätten mich gern ein bisschen militanter, kämpferischer. Sie empfinden „stellvertretend“ eine Betroffenheit, die ich so gar nicht fühle. Wollen mich womöglich verteidigen, manche tun es sogar, was ich dann natürlich lieb finde. Aber nicht nötig, nicht für mich. Um mich mit jemandem auseinander zu setzen, muss ich doch erst mal mit ihm zusammensitzen! Und seit ich drauf achte, neben wen ich mich setze, seit ich nämlich nicht mehr dringlich jemanden brauche, der neben mir sitzt, sondern gern alleine sitze, geht’s mir gut. Ich schaue auf Alles-was-ist und manchmal schreib ich auf, was ich sehe, fühle und denke. Es dann „hinaus zu stellen“, wo nicht nur Freunde und Bekannte, sondern auch beliebige XYZs es genießen, nutzen, ignorieren oder zerreißen können (wenn sie denn wollen…), gehört unverzichtbar dazu. Für mein Selbstgespräch alleine brauch ich keine Texte produzieren, da reichen mir die Gedankenströme im Kopf! Doch darüber hinaus möchte ich teilen, möchte mein Erleben, meine momentane Sicht-der-Dinge mit-teilen, auf dass diejenigen sich etwas davon nehmen, die es brauchen können.

Mit dem „Abschicken“, dem Übertragen der Dateien auf den Server und der anschließenden Endkorrektur ist der Akt dann aber vollzogen, ist zu Ende und in sich tief befriedigend. (Danach ist es z.B. leicht, den Geist von allem gerade „Betexteten“ leer zu machen und sich dem zuzuwenden, was anliegt.) Was dann noch kommt, falls etwas kommt, ist ein ganz anderes Spielfeld: Zu was etwa das nun Veröffentlichte von den Einzelnen gebraucht wird, ist ihr Ding, nicht meins. Selbst wenn ich wollte, könnte ich das nicht beeinflussen. Wie man einen Text versteht, ist nicht von daher bestimmt, wer die Autorin ist und was sie gemeint hat, sondern weitestgehend davon, wer und was man selber gerade ist. (Wer zweifelt, lese mal ein wichtiges Buch fünfzehn Jahre später wieder!). Ich lese sämtliche Reaktionen zuvorderst als Botschaft über den Verfasser, lese sie interessiert und bin manchmal fasziniert von der Vielfalt und Unterschiedlichkeit der Reaktionen. Dem einen ist „mehr als ein sonntäglicher Kirchgang“, was dem anderen „überflüssig“ oder gar bekämpfenswert erscheint. Wieder ein Anderer schätzt den Unterhaltungsfaktor oder das fünfminütige Wegschalten vom eigenen, vielleicht gerade stressigen Kopfkino. Manche sind inspiriert, andere verärgert, was den einen berührt, lässt die andere kalt oder reizt zu fundiertem Widerspruch. Es ist, wie es ist. Kein Problem, kein Wunder.

Wunderbar aber, dass es mit dem Web nun eine Veröffentlichungsplattform gibt, die den Schreibenden von der Art der Resonanz ökonomisch unabhängig weiter schreiben lässt! (Ganz anders als etwa auf dem Buchmarkt, wo es darauf ankommt, wie viele das Buch kaufen, ob sie es gut finden und was die Rezensenten darüber schreiben). Das ist zwar „nur“ eine äußere Freiheit, aber sie ist unverzichtbar, um die innere Freiheit schreibend auszuloten, sie überhaupt wahrzunehmen, immer neu zu ergreifen und womöglich auszudehnen (und wieder zu teilen…).

Immer mehr Menschen scheinen dieses Potenzial des Netzes zu bemerken. Spät, aber doch! „Webtagebuch schreiben“ wird geradezu Mode, wenn das auch für sich genommen nichts heißen muss. Doch ich lerne jetzt deutlich mehr Menschen kennen als früher, die diese Art „freies Schreiben“ für sich nutzen wollen oder schon damit angefangen haben. Nicht mehr das einzelne glitzernde Wortwerk, die tolle Website, das bunte Blog und das ganze „netzige“ Drumrum steht für sie im Vordergrund, sondern das Wesentliche: die „Geste des Schreibens“ zum eigenen Wachstum nutzen.

Das Wesentliche – da ist es wieder! Und jetzt in einer Gestalt, die zu mir spricht, geeignet, mein Jahresendchaos zu ordnen: Weiterschreiben, hier und anderswo, und das, was mir dadurch zugewachsen und geschenkt ist, weiter geben. An die Leser, wie immer schon, und neuerdings in konzentrierter und verdichteter Form an diejenigen, die meine RauslinkSchreibimpulse-Kurse besuchen.

Wegen ihnen hör‘ ich hier jetzt auf. Wenn es dunkelt, ist es Zeit für „Transfer 2004 – wenn die Nacht am tiefsten ist“ (der Kurs für Jahresendzeitmuffel). Selten hat mich eine „Arbeit“ so glücklich gemacht, mich so intensiv und ganz persönlich gefordert. Also werde ich das weiter machen und so gut ich kann ausbauen. Aber nicht bis zum Punkt völliger ökonomischer Abhängigkeit. Ich werde weiter Webseiten bauen, pflegen und updaten, und als Drittes würd‘ ich gern mal etwas verkaufen: Dinge, die mir gefallen, die ich nur bewerben, verpacken und verschicken muss – und nicht immer neue zeitfressende Dienste leisten.

Im Jahr 2005 möge sich das verwirklichen!

*

Euch allen wünsch ich einen guten Rutsch, eine Jahresendstimmung, wie Ihr sie mögt, und für das nächste Jahr Glück und Erfolg! Vergesst die Liebe nicht!

Diesem Blog per E-Mail folgen…