Gestern hab ich via Zattoo auf ZDFKultur den wundervollen Film „Zwischen uns das Paradies“ gesehen. Selten hat ein Filmtitel so gut gepasst! Bringt er doch das Dilemma auf den Punkt, um das es in der Filmhandlung vornehmlich geht: Ein junges Paar, das gerne ein Kind hätte und bereits dabei ist, eine künstliche Befruchtung zu planen, dividiert sich binnen weniger Wochen auseinander, weil der Mann beginnt, mit Religion Ernst zu machen.
Als weltliche bosnische Muslime sind sie staatlich getraut und führen ein übliches „westliches“ Leben. Nur dass Amar (der Mann) seit dem Krieg, in dem auch ihre Familie teils ermordet, teils vertrieben wurde, keinen neuen Job findet seit er wegen seiner Sauferei gefeuert wurde.
Amars Seele wird gerettet
Gerne nimmt er deshalb das Angebot eines früheren Kampfgenossen an, in einer Art Feriencamp Kindern Computer-Unterricht zu geben. Dass dieser ihn in ungemein giftfreie Gaststätten führt, wo er weder den gewünschten doppelten Schnaps bekommt noch rauchen darf, fällt ihm zwar unangenehm auf, aber was tut man nicht alles für einen guten Job! Andrerseits ist dieser Freund beeindruckend in seiner Zuwendung, seiner Lauterkeit, seiner Ersthaftigkeit – er hat etwas, das Amar schmerzlich vermisst in seiner desolaten Existenz.
Obwohl seine Liebste (Luna) heftig protestiert, taucht Amar ins Leben der „Ernstgläubigen“ ein. „Ich wusste immer, dass da etwas ist“, wird er später sagen, um seine plötzliche Veränderung zu erklären, „und jetzt habe ich es gefunden!“ Die wahabitische Gemeinde lebt nach den Regeln des Propheten, alle Frauen sind bis auf einen Augenschlitz voll verschleiert, Männer und Frauen baden und beten getrennt. Handy-Empfang ist in dem entlegenen, inmitten der Natur gelegenen Camp nicht möglich, wie Luna bei einem Besuch bemerkt.
Mit ihrem städtisch-modernen Outfit wirkt sie dort extrem exotisch und kollidiert hier und da mit den Vorschriften. Als sie auch noch mitbekommt, wie ein junges Mädchen als „Zweitfrau“ islamisch geheiratet wird, tickt sie aus und verlässt wütend Mann und Camp. ER soll nachhause kommen, SIE hat nicht vor, eine „gute muslimische Ehefrau“ zu werden, die ihrem Mann gehorcht und ihren Lebenssinn darin sieht, für ihn und ihre Kinder da zu sein.
Der Sog des gottgefälligen Lebens
Man könnte nun denken, gut und böse seien hier klar verteilt, doch so einfach macht es der Film von Jasmila Zbanic den Zuschauenden nicht. Das Leben der „Weltlichen“ in den Kneipen und Diskos wird in all seiner Rastlosigkeit und Leere gezeigt. Die Szenen in der Moschee lassen ahnen, wie sehr die Lehre vom reinen, gottgefälligen Leben und die Liebe der Gemeinde das Herz berühren und Amars Sinnsuche beantworten kann. Die großartig „gesungene“ Koran-Rezitation erschafft einen spürbaren „Raum des Heiligen“, der auch weltliche Gemüter auf der Gefühlsebene erreicht.
„Es hat sich doch nichts geändert“, sagt Amar zu Luna, als er wieder einmal nachhause kommt. „Ich will doch nur ein besserer Mensch sein!“
Dieser bessere Mensch schläft nun nicht mehr mit seiner Frau, da sie ja (noch?) nicht islamisch getraut sind. Und morgens steht er vor ihr auf und rollt seinen Gebetsteppich aus. Zwischen den beiden liegen mittlerweile Welten, ein Brückenschlag erscheint immer unmöglicher.
Zwischen uns das Paradies
Philosophisch bemerkenswert erschien mir die Jenseits-Orientiertheit der wahabitischen Gemeinde. Im Gegensatz zu ihrer Koran-konformen Lebensweise werden traditionelle muslimische Bosnier gezeigt, die zwar auch das Zuckerfest feiern und Allah anrufen, dabei aber fröhlich geistigen Getränken zusprechen und singen und tanzen. Sie genießen das Glück im Diesseits, während die „wahren Gläubigen“ die Belohnung für ihren vielfältigen Verzicht auf weltliche Freuden im Paradies erwarten dürfen: der Weg zu Gott ist steinig und schmal, wogegen die Straße in die Hölle mit Lust und Vergnügen gepflastert ist, so beschreibt es der Imam.
Damit wird deutlich, wie allzu schlicht die üblichen Diskussionen über „den Islam“ in der Regel gestrickt sind. Der Graben verläuft nicht zwischen „dem Westen“ und dem Islam, sondern zwischen Ernstgläubigen (die es ziemlich ähnlich in jeder Religion gibt) und den Weltlichen bzw. „Gemäßigten“. Die Vorschriften für das gottgefällige Leben sind in pietistischen Gemeinden nicht weniger restriktiv: der Mensch in seiner Sündhaftigkeit soll gezähmt werden mit dem Verweis auf ein Glück im Jenseits, das dann größer sein wird als alles, was diese Welt zu bieten hat.
Dieses „Rezept“ zur Befriedung menschlicher Gier, Ignoranz und Maßlosigkeit nutzen viele religiös motivierte Gruppierungen: islamische, christliche und auch buddistische. Mal ist das Paradies im Jenseits das Reich der Belohnung, mal die bessere Wiedergeburt oder die letztendliche Befreiung aus dem Samsara mit Eintritt ins Nirvana. Damit es gelingt, braucht es zwingend die Gemeinschaft, weil man nur so zusammen in diesem Leben „Ernst machen“, sich gegenseitig unterstützen bzw. auf dem rechten Weg halten kann. Dass „das Böse“ dabei oft nur unter den Teppich gekehrt wird und die jeweiligen Gemeinschaften zu rigiden Verbots- und Wohlverhaltens-Sekten sich gegenseitig überwachender Rechtgläubiger werden, nimmt man in Kauf oder verleugnet einfach, dass dem so sei.
„Gott sieht’s“ wird geupdatet
Mit der Lebensweise moderner, in ganz anderer Weise nach Selbstoptimierung strebender Individuen (fit für den Markt!) sind solche Gemeinschaften tatsächlich nicht kompatibel. Dass „der Westen“ so angestochen auf islamische „Rechtgläubige“ reagiert, verdankt sich der Tatsache, dass „wir“ kein wirklich funktionierendes Alternativkonzept haben. Der Zustand der vom weltlich-westlichen Lebensstil zunehmend dominierten Welt spricht ja Bände. Auch der atheistische Humanismus hat niemals eine vergleichbare Wirkungsmächtigkeit entwickelt, denn er kann keine ensprechende „Belohnung“ für die Selbstbezähmung in Aussicht stellen. Und er verliert in der Welt von Big Data und Reality-Mining genau wie die klassischen „gemäßigten“ Religionen weiter an Boden: Die Innensteuerung des Individuums durch Gewissen und Werte („Gott siehts!“) wird durch die Steuerung von Außen per totaler Überwachung, Berechnung und Vorab-Verhinderung möglichen Fehlverhaltens abgelöst.
Am Ende wird uns „die Maschine“ bzw. das globale Betriebssystem auf dem rechten Weg halten. Leider ohne eine Möglichkeit, noch mitzuentscheiden, was denn „Recht“ und „Unrecht“ ist. Denn dies wird das Geschäft der von irgendwem in Irgendwo zu Zwecken programmierten Algorithmen sein, weit außerhalb der Zugriffsmöglichkeiten unserer derzeit rasant veraltenden repräsentativen Demokratie.
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Tut mir leid, dass das so düster ausgefallen ist – über Widerspruch freue ich mich natürlich!
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10 Kommentare zu „Ich will doch nur ein besserer Mensch sein!“.