[Beachte auch die Linkliste mit Reaktionen auf die Rede unter diesem Artikel!]
Ja, ja, das klingt ein bisschen größenwahnsinnig – aber angesichts des „Meteors“, der seit letztem Sommer ins Internet eingeschlagen ist, ist Rumkriteln an solchem Pipifax schlicht überflüssig.
In seiner Rede am Eröffnungstag der re:publica 2014 fasst Sascha Lobo auf wie immer unterhaltende, aber definitiv nicht lustig gemeinte Art den Ausspitzelungswahnsinn zusammen, der uns zugemutet wird. Gegen den die Politik trotz anfänglicher „Besorgnisse“ nichts zu unternehmen gedenkt, den wir einfach so hinnehmen sollen, genau wie die Zerstückelung und Negierung unserer Grundrechte.
Lobos Format ist der Rant, die Brandrede, so auch dieses Mal: die erste Hälfte gehört der Publikumsbeschimpfung (=Netzgemeinde), in der zweiten Hälfte ist die Regierung dran. Eine tragende Rolle im ersten Abschnitt spielt auch die Bekassine (Gallinago gallinago), laut Wikipedia eine „sehr langschnäbelige, mittelgroße Art aus der Familie der Schnepfenvögel“.
Ab heute zahle ich…
Lobo weist schlüssig nach, dass uns der Erhalt bzw. die „Reparatur“ des Internets weniger wert ist als bayrischen Vogelfreunden die Bekassine! Und ja, er hat mich überzeugt – ab heute zahle ich. Ich melde nicht mehr nur weiter, twittere, plusse und teile, sondern überweise auch. Damit sich Menschen in Vollzeit damit befassen können, die dicken politischen Bretter zu bohren, während „wir“ traurigerweise dazu neigen, nach ein paar Monaten gern wieder andere Themen zu lesen.
„Man mag von Sascha Lobo halten was man will, aber das war ein starkes Statement,“
kommentierte jemand auf Youtube die Rede. Die auch deshalb so stark ist, weil Lobo eben nicht der geborene brilliante Redner ist, sich aber nicht darum schert und es dennoch schafft, die schon fast resignierende Zuhörerschaft aus der netzpolitischen Lethargie zu rütteln. Er bleibt nämlich nicht beim Beschimpfen und Entlarven stehen, sondern hat auch Ideen, schlägt konkrete Strategien und Taktiken vor, wie man dem „massiven Angriff auf die Gesellschaft“ (ja, es geht nicht „nur ums Internet“) entgegen treten könnte. Ein anderer Internet-Optimusmus wird gebraucht – und Lobo skizziert ihn eben mal locker daher – mittels einer zugegeben langen, aber nicht langweiligen Rede.
Wegen der Länge bin ich dann doch lieber rüber aufs Sofa und hab es mir auf dem neuen Smart-TV angesehen, das kürzlich meine 15 Jahre alte Röhre ersetzt hat. Da ich sowieso den ganzen Tag über am PC sitze, tut dieser Wechsel richtig gut – und ich muss nicht auf TV-Sender umsteigen, sondern kann den „Geist der re:publica“ auch hier ins Zimmer wehen lassen!
Und siehe da, es klappt! :-)
***
re:publica – Homepage
Resonanzen zu Lobos Rede:
- Nerdcore zur Rede von Sascha Lobo: „Ich bin kein Lobo-Fanboy und finde längst nicht alles gut, was er so anstellt und ich bin auch sehr oft genervt, wenn man ihn als Blogger bezeichnet, denn er ist keiner. Having said that: Sein Vortrag auf der Republica heute ist ein Must Watch, eine Brandrede und ein Aufruf zum Kampf gegen die kriminelle Überwachung durch die Geheimdienste und die Komplizenschaft durch die Politik. Definitiv der beste Vortrag der Frisur auf einer Republica, ever, und man sollte sich den wirklich ansehen, auch wenn man den Herrn Lobo total doof findet. Vielleicht sogar grade dann.“
- Die Sache mit der Netzgemeinde und der Politik – Lummaland:
„Wir Netzgemeindemitglieder sind dazu aufgerufen, die positiven Möglichkeiten der Digitalisierung besser zu erklären, sie verständlicher in die Politik hereinzutragen, während wir natürlich auch gleichzeitig versuchen müssen, den gröbsten Unfug zu verhindern, den Politiker aus Unwissenheit oder mit voller Absicht durchsetzen wollen. Das ist nicht leicht. Aber wir sind viele. Und wir werden immer mehr, wir müssen uns nur besser organisieren. Dabei hilft Geld, aber auch Engagement.“ - ein gespenst geht um in deutschland – hermetische Garage:
„….die „netzgemeinde“ ist ein haufen sich selbst überschätzender luschen, es gibt nur eine „bohème“, eine schickeria, „echokammern gleichgesinnter“; - Anmerkungen zum Vortrag von Sascha Lobo auf der re:publica – Wieesaussieht:
„Das Engagement zugunsten eines Rechtsstaat-konformen Netzes als unverzichtbare Infrastruktur, das Lobo von der Netzgemeinde als Lobby erwartet, bleibt derweil auf der Strecke. Man trifft sich und wartet auf ein Wunder, das von irgendjemanden das “kaputte Internet” wieder repariert worden ist. Ob angesichts dessen die Netzgemeinde auf der re:publica der richtige Ansprechpartner ist? Wird es dort jenen Mentalitätswandel geben, der für kontinuierliche Lobbyarbeit nötig ist?“ - Internetkonferenz Republica Die Netzgemeinde hat versagt – Stefan Schulz und Florian Zimmer-Amrhein, FAZ.net:
„Ihr habt versagt”, rief Lobo dem Publikum zu. Bezogen auf das politische Engagement lautete das Urteil: „Ihr tut nur so.“ Die Schwierigkeit beginne damit, dass diejenigen, denen ein offenes und freies Netz am Herzen liege, sich nicht einmal selbst als Netzgemeinde verstehen, während der eigentliche Kampf bereits um eine offene und freie Gesellschaft zu führen sei.“
- Rede zur Lage der Internetnation – Stefan Münz: „Meine Vorstellung vom Internet ist jedoch eine andere. Nämlich die, dass dieses Netz Lobbyismus enttarnt, neue demokratische Reflexionsniveaus erschafft, und ein Katalysator für eine Gesellschaft ist, in der Einfluss nicht mehr über Geld funktioniert. Dehalb finde ich deinen Vortrag bei aller Ausgeklügeltheit und Gekonntheit letztlich verfehlt.“
- rp14, Tag 1, Muddi hat da noch was zu sagen – das Nuf: „Wir, die Internetgemeinde, wir kennen uns aber aus mit dem Thema Überwachung und sind bereits wach gerüttelt.“
- Sascha Lobo: Die Standpauke, die die Netzgemeinde ins Mark trifft [#rp14] – tn3: „Dennoch blieb für viele im Saal am Ende von Lobos Rede wohl vor allem ein Gefühl zurück: Betretenheit. Denn mit seinem Vorwurf hat Lobo recht: Wir alle wissen um die Bedeutung des Internets und um die Bedrohungen, denen wir uns als Nutzer ausgesetzt sehen. Es wird Zeit, dieser Herausforderung auch den adäquaten Stellenwert zu geben – sei es, indem wir uns aktiv für ein besseres Netz einsetzen, unsere Politiker aktivieren oder diejenigen unterstützen, die sich schon seit einer ganzen Weile mit Herzblut dafür einsetzen.“
- Die Blut- Schweiß- und Tränen-Rede von der re:publica – Kiezneurotiker: „Aber das braucht es auch, es braucht Leute, die eine Sache verkaufen können. Die Grünen brauchten einen Fischer, um groß zu werden, so wie wir einen Lobo brauchen. Es braucht einen, der eine Sache voran bringt, einen, der sich vorne hinstellt, einen, der Blut- Schweiß- und Tränen-Reden hält, einen, der die träge Masse gelangweilter Konsumenten mitzieht, einen, der vom Gegner ernst genommen wird, einen, der auf einer einflussreichen Onlineplattform Kolumnen schreibt, die von Hunderttausenden Normalbürgern und nicht nur von den üblichen Verdächtigen aus der dreistelligen Filterbubble gelesen werden. „
- Der Zweifrontenkrieg der Generation C: Dann lasst es eben knallen! Andrè Vatter: „Wir können protestieren, aufklären, schreien und toben, doch bis heute hat es niemals einen wirklichen Kampf gegeben, denn der Mitstreiter ist nie aufs Feld gezogen. Er sitzt zuhause auf der Couch und schaut die letzten Reste von “Wetten dass…?”.
- Replik auf Sascha Lobo: Nicht das Internet ist kaputt, sondern der Mensch – Martin Weigert: „Vieles von dem, was Lobo schreibt, trifft den Nagel auf den Kopf. Seiner pointierten, bereits von vielen Medien aufgespießten Aussage zum Zustand des Webs aber widerspreche ich. Wenn etwas kaputt ist, dann der Mensch samt seiner ausufernden Sicherheitsbedürfnisse, die den Geheimdiensten und Politikern erst als Grundlage für ihr Handeln dienen.“
- Ich dachte, ich weiß, was mich auf der re:publica 2014 erwartet. Aber was dann passierte, hat mich umgehauen. WOW! tn3, Florian Blaschke:
„Ich wünsche mir, dass dieses Privileg keine Zukunft hat. Dass gerade die für Einsteiger geeigneten Workshops noch mehr Raum gegenüber den nach wie vor zu oft nur an der Oberfläche kratzenden Vorträgen bekommen. Dass sich die re:publica weiter öffnet und mehr Menschen die grundlegenden Dinge lernen, die es braucht, um für ein freies, gerechtes und sicheres Internet kämpfen zu können, wie Sascha Lobo es gefordert hat.“
Diesem Blog per E-Mail folgen…
Diskussion
Kommentare abonnieren (RSS)
99 Kommentare zu „Motivationsschub re:publica – Lobo spricht zur „Lage der Nation““.