Zum Glück ist „immer“ übertrieben: es gibt sie noch, die konstruktiven Beiträge, die weder die Haare in jeder Suppe finden und aufblasen noch Personen oder ganze Gruppen in die Tonne treten. Leider sind sie deutlich in der Minderheit, fast egal, wo man hinschaut, nicht etwa nur in den Kommentarspalten großer Medien, in denen die Post ganz besonders beschissen abgeht.
Ja, ich weiß: only bad news are good news und aus der Anonymität heraus leben Menschen gerne ihre dunkle Seite aus. Sie nutzen das Schreiben, Posten, Kommentieren als Ventil für ihre Aggressionen und Frustrationen, die ganz andere Wurzeln haben als den Text, unter dem sie sich äußern. Das wird man nicht abgestellt bekommen, will man nicht die Anonymität opfern – und das will ich definitiv nicht.
Gestandene Netzbürger/innen machen sich gegenseitig nieder
Es sind aber nicht nur frustrierte Trolls, deren Hauptspaß das Niedermachen Anderer ist, sondern auch viele gestandene Netzbürger, die nach dem Motto „im Zweifel das Negative sehen“ verfahren. Man bräuchte ein dickes Fell und müsste fähig sein, Mitgefühl und die eigene Identifikation mit einer guten Sache, die man mit den jeweils Betroffenen teilt, beim Lesen einfach abzustellen.
Das aber kann ich nicht und wenn ich die Wahl hätte, wollte ich es auch nicht können. Und so tut es mir halt immer in der Seele weh, wenn sich Menschen streiten und auseinander dividieren, deren Interessen doch – eigentlich! – diesselben sind.
Ich nehme mal Hardys aktuelle Beschimpfung der „Netzgemeinde“ als Beispiel, weil ich von ihm weiß, dass er es gut ab kann, kritisiert zu werden und nicht gleich einschnappt. Zudem gilt: Wer austeilt, muss auch einstecken können – und naja, mein „Austeilen“ ist ja nie besonders schlimm!
So schrieb also Hardy in Reaktion auf Sascha Lobos Rede an die Netzgemeinde:
“ die „netzgemeinde“ ist ein haufen sich selbst überschätzender luschen, es gibt nur eine „bohème“, eine schickeria, „echokammern gleichgesinnter“. „wer hat’s erfunden?“ [=das Internet] nein, nicht die nerds, das waren doch die politiker und geheimdienstler – und nicht die ganzen selbstgefälligen schwätzer da draussen, die eine „netzgemeinde“ brauchen, um sich selbst zu ihren häuptlingen zu stilisieren … und genau das nicht tun: vorangehen und etwas tun, was über das kommentieren und bejammern hinausgeht.“
Erstens ist das eine sehr einseitige Sicht auf die Netzgeschichte. Das wurde nämlich erst massenrelevant, als das WEB erfunden wurde:
„Das Web entstand 1989 als Projekt an der Forschungseinrichtung CERN, in der Nähe von Genf auf schweizerischem und französischem Gebiet liegend, an dem Tim Berners-Lee ein Hypertext-System aufbaute. Die Idee hierzu stellte er erstmals am 12. März 1989 in der Forschungseinrichtung vor.[2] Das Konzept wurde von dem Belgier Robert Cailliau mitentworfen. Das ursprüngliche Ziel des Systems war es, Forschungsergebnisse auf einfache Art und Weise mit Kollegen auszutauschen. Eine Methode dafür war das „Verflechten“ von wissenschaftlichen Artikeln – also das Erstellen eines Webs.“ (Wikipedia)
Die Netzgemeinde, die es nicht gibt
Zweitens tut das Hardysche Bashing der „Netzgemeinde“ tausenden Menschen Unrecht, die sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten engagieren, auch wenn das „nur“ bloggen, mit Freunden und Bekannten diskutieren, Petitionen zeichnen, Kampagnen unterstützen, und einschlägig kommentieren bedeutet. Was tut denn der Kritiker Hardy MEHR – mal zurück gefragt?
Netzgemeinde? Fast jeder, der im Grunde dazu gehört, fügt bei der Nennung an „die es eigentlich nicht gibt“. Zu Recht, denn es handelt sich um sehr unterschiedliche Menschen, Gruppen, Klein-Communities, StartUpler, Bloggende, Medienschaffende, Programmierer/innen, politisch Aktive für verschiedenste Interessen, Marketing-Leute, Journalisten, Hobbyisten, Nerds jeglicher Coleur – sie alle, die das Netz nicht nur zum Konsumieren nutzen und die totale Überwachung ablehnen, das Netz insofern gerne „repariert“ sähen, sind „Netzgemeinde“. Man kann das Wort aus Gründen kritisieren, aber einen besseren Begriff hat offenbar noch niemand gefunden.
Auch die verbitterte Resignation, die aus Hardys Text spricht, teile ich nicht. Gerade hat ein US-Gericht entschieden, dass amerikanische Unternehmen auch dann Kundendaten an NSA & Co. heraus geben müssen, wenn diese Daten in europäischen Datencentern gespeichert sind:
„….neben den vorprogrammierten politischen Auseinandersetzungen werden damit auch die Bestrebungen einiger amerikanischer Anbieter wie Amazon und Google, die derzeit eigene europäische Rechenzentren planen, um die Spionage- und Sicherheitsbedenken der hiesigen Kundschaft nach der Aufregung um die Enthüllungen des NSA-Whistleblowers Edward Snowden auszuräumen, hinfällig“
Wow! Das ist ja wie eine Damenvorgabe beim Schach für europäische Unternehmen! Auch der NSA-Untersuchungsausschuss ist ein Stachel im Fleisch der aktuellen Politik der Ignoranz und wird es noch einige Zeit bleiben, Ströbele sei Dank. Es ist nicht alles gegessen und aussichtslos! Und ich finde jede Initiative, jede Veranstaltung, jede einzelne Aktion, die gegen die schöne neue Überwachungswelt gerichtet ist, unterstützenswert – sei es nun mit einem Blogpost, einem Retweet oder einem Dauerauftrag.
Diesem Blog per E-Mail folgen…
Diskussion
Kommentare abonnieren (RSS)
17 Kommentare zu „Warum immer so feindselig? Aus gegebenem Anlass…“.