Ok, lasst unsweiter über Daten und Überwachung in all ihren neueren Erscheinungsforman anhand des aktuellen Urteils des EuGH sprechen. Dazu hab‘ ich sogar mal eine kantige „abweichende Meinung“ zu bieten. Gibts ja auch nicht alle Tage.. :-)
Ein Spanier hatte auf Entfernung von Links zu Zeitungsartikeln geklagt, die seine Pleite vor 16 Jahren (!) beschreiben. Damals hatte es eine Zwangsversteigerung gegeben, doch mittlerweile sei das alles lange vom Tisch. Gleichwohl behindere es ihn in seiner Geschäftstätigkeit als Freiberufler, wenn bei der Suche nach seinem Namen genau diese Artikel auftauchen und Zweifel an seiner Bonität schüren.
Mit der Klage gegen die Zeitung war er gescheitert, das damit befasste Gericht sah die Pressefreiheit offenbar als höheres Rechtsgut an. Daher die – nun erfolgreiche – Klage gegen Google bis zum EuGH.
Der hat wahrlich Pflöcke ingeschlagen in seinem Urteil:
- Zum einen sei Google Spanien durchaus der richtige Adressat der Klage, obwohl die nationalen Niederlassungen nichts mit der Suche zu tun haben, sondern sich dem Anzeigengeschäft widmen. Eine neue Sicht der Dinge, die sogar der schwer gegen das Urteil wetternde Michael Seeman (mspro) gut findet.
- Zum zweiten stellt das Gericht fest, dass Google „Daten verarbeitet“ und für diese Verarbeitung VERANTWORTLICH ist. Damit unterliegt Google europäischen Datenschutzrichtlinien – auch das eine neue Festsetzung, deren Folgen noch kaum absehbar sind.
- Drittens spricht das Gericht der Tätigkeit der Suchmaschine eine eigene Qualität zu, die über die ursprüngliche Veröffentlichung hinaus geht (=auffindbar machen für alle) und also auch selbst einen unzulässigen Eingriff in die Grundrechte betroffener Personen darstellen kann.
Das Gericht kommt zum Ergebnis, dass natürliche Personen die Löschung gewisser Suchergebnisse von Suchmaschinen verlangen können, wenn sie zum gegenwärtigen Zeitpunkt die Datenschutzrichtilinie verletzen. Dann nämlich, wenn
„sich herausstellt, dass die Informationen in Anbetracht aller Umstände des Einzelfalls den Zwecken der in Rede stehenden Verarbeitung durch den Suchmaschinenbetreiber nicht entsprechen, dafür nicht oder nicht mehr erheblich sind oder darüber hinausgehen, müssen die betreffenden Informationen und Links der Ergebnisliste gelöscht werden.“
Für „öffentliche Personen“ sieht das Gericht immerhin eine besonders sorgfältige Abwägung zwischen den Persönlichkeitsrechten und dem Interesse der Öffentlichkeit auf freie Information vor. Der Wortlaut des langen Urteils lässt jedoch den Schluss zu, dass das Gericht im Normalfall vom Vorrang der Persönlichkeitsrechte ausgeht – und so eine Art „Supergrundrecht auf Vergessen-werden“ etabliert.
Reaktionen, Kritik, Bewertungen
Das Urteil war Top-Nachricht in der Tagesschau und wurde praktisch „überall“ zitiert, als Meilenstein für den Datenschutz gelobt oder als ZENSUR und Untergang der sinnvollen Nutzbarkeit von Suchmaschinen kritisiert. Spontan hatte ich mich selbst positiv dazu geäußert, mittlerweile sehe ich, dass das Urteil eine Menge Rechtsunsicherheiten mit sich bringt: Wer soll wann und wie die vom Gericht vorgesehene Abwägung im Einzelfall vornehmen? Nach welchen Kritierien ist zu beurteilen, ab wann das öffentliche Informationsinteresse überwiegt? Wer alles muss sich künftig an das Urteil gebunden fühlen? Fragen über Fragen…
Womit ich nicht übereinstimme ist die Vorhaltung, man schlage hier „nur den Boten“. Google ist keineswegs nur passiver Auflister der von Bot-Programmen gefundenen Webseiten. Der Alghorithmus, der die Suchergebnisse zusammen stellt, soll ca. 200 Kriterien berücksichtigen, die sich auch ständig ändern. Daneben beschäftigt Google viele menschliche „Quality Rater“, die fortwährend Seiten sichten und nach vorgegebenen Kriterien ab- oder aufwerten, auch mal ganz aus dem Index werfen. „Nur Bote sein“ ist anders!
Die Google-Suche: „XKeyscore light“ für alle?
Während Kritiker den Befürwortern des Urteils „diffuses Unbehagen“ über Google – also irrationale Beweggründe – unterstellen, kommt es mir so vor, als verberge ein Teil jener, die jetzt ZENSUR schreien und zum Schutz der jederzeit bequem zugänglichen WAHRHEIT aufrufen, durchaus eigene weniger lautere Intentionen. „Reputationsmanagment“ ist ja mittlerweile eine Dienstleistung, weil es mit einigem KnowHow und Aufwand durchaus möglich ist, unliebsame Suchergebnisse außer Sichtweite zu bringen. Aber auch ganz ohne jede vielleicht ja völlig daneben liegende Eigennutz-Vermutung: Wir haben uns daran gewöhnt, „Leute zu googeln“, um so möglichst alles über sie zu erfahren, was während der letzten 20 Jahre über sie und von ihnen das Licht des Webs erblickt hat – zumindest potenziell. Wir finden das normal, glauben gar, ein RECHT darauf zu haben – warum eigentlich? Was wir da machen, ist doch im Grunde dasselbe, was die Geheimdienste tun, wenn sie einzelne Personen z.B. mittels XKeyScore checken, um sich ein Bild über deren Aktivitäten zu machen. Dass sie dabei über weit mehr und eben auch nicht-öffentliche Daten verfügen, macht den Unterschied aus – das BEGEHREN, alles über jeden wissen zu wollen, ist dasselbe!
Das Netz als „ewiger Pranger“?
Früher lernte man Menschen kennen und erst nach und nach auch ihre Vergangenheit, ihre Berufe und Hobbys, ihre Krankheiten und Jugendsünden – entsprechend der wachsenden Bekanntheit, womöglich Freundschaft. Für Informationen über Geschäftspartner, Arbeitnehmer oder Arbeitgeber musste man Auskunfteien bemühen, deren Datenspeicherung, Herausgabe und Löschung allerdings genauestens gesetzlich geregelt ist. Die Schufa muss nach einer festgelegten Frist Daten über Schuldner löschen, sogar Punkte in Flensburg verjähren. Und laut Urteilen des Bundesverfassungsgerichts rangiert das Persönlichkeitsrecht VOR einer zeitlich unbeschränkten Befassung der Medien mit der Person verurteilter Straftäter und ihrer Privatsphäre. Insbesondere dann, „wenn durch die Berichterstattung die Resozialisierung gefährdet ist“ oder durch die Berichterstattung „erneute soziale Sanktionen“ drohen.
Und jetzt sagt mir bitte gute Gründe, warum diese zivilisatorischen Errungenschaften nicht auch bzgl. der Google-Suche gelten sollen? Befinden wir uns nicht ganz allgemein auf einem Weg zurück in die Barbarei des Mittelalters, wenn wir darauf bestehen, dass „alles über jeden für immer“ auf einfachste Weise zugänglich bleiben soll? Menschen ändern sich, SOLLTEN sich ändern dürfen, sich auch mal „ganz neu erfinden“ und vieles anders machen als früher. Dies wird aber massiv erschwert, wenn sämtliche neuen Bekannten erstmal mit den „alten Kamellen“ konfrontiert werden. Es erzähle mir bitte keiner, dass Vorverurteilung im Kopf nicht statt findet! Noch handelt es sich ja um Fremde, an denen man noch nicht persönlich hängt, da wiegen „belastende Infos“ durchaus schwer, auch wenn sie in jeder Hinsicht veraltet sind.
Löschen statt sperren?
Gegen solche Argumente wird nun die Forderung nach „Löschen statt sperren“ wieder ausgegraben. Man versucht, die staatlichen schwarzen Listen, die „Zensursula“ einst den Providern vorgeben wollte, um den Zugang zu illegalen Webseiten zu sperren, ohne sie löschen zu müssen, mit den Forderungen einzelner Bürger auf Löschung bestimmter Links in Suchmaschinen gleichzusetzen. Eine wie ich finde unstimmige Analogie, denn zwischen staatlichen Eingriffen und Ansprüchen einzelner Bürgern aufgrund ihrer Persönlichkeitsrechte sehe ich durchaus einen großen Unterschied! Und ich verweise auf das eingangs gesagte: Die Listung in der Suchmaschine gibt der Veröffentlichung eine neue Qualität – eben aufgrund ihrer allgemein üblichen einfachen Nutzung, die alles für alle leicht verfügbar macht. Wogegen die Infos in den Archiven der Medien nicht mit demselben Schadens-Impact schlummern. Die muss man ja erstmal finden – eine Arbeit, die sich kaum jemand bei jedem neuen Bekannten machen wird. An dieser Stelle darf man also gerne der Pressefreiheit den Vorrang geben, wenn ich auch nicht ausschließen will, dass es Einzelfälle geben mag, in denen sich das anders darstellt.
FAZIT: Das Recht hinkt der Technik immer hinterher – das heißt aber nicht, dass es gar nicht nachkommt! Das Urteil des EuGH wirft viele Fragen auf und wird noch unüberschaubare Folgen haben. Immerhin beflügelt es die Debatte und muss ja nicht das letzte Wort zur Sache sein. Europäische und nationale Gesetzgeber und Regierungen können den Datenschutz ändern und konkretisieren (aber auch blockieren), schließlich entscheidet der EuGH ja anhand der von ihnen vorgegebenen Richtlinien – und nicht etwa nach Gusto.
Mehr dazu:
- Recht auf vergessen – Lawblog;
- Sperren statt löschen – Warum das EuGH-Urteil kein „Recht auf Vergessen“ darstellt, sondern ein gefährliches „Recht auf Sperren“ – netnrd;
- Die Sache mit dem EuGH-Urteil und dem Recht auf Vergessen – Lummaland
- EuGH: Google muss doch vergessen – das Supergrundrecht auf Datenschutz und die Bowdlerisierung des Internets – E-Comm
- Europäischer Gerichtshof: Sie haben das Recht, von Google vergessen zu werden – ZEIT ONLINE;
- EuGH-Entscheidung und Google: Die wichtigsten Infos zum Suchmaschinen-Urteil – SPON
- „Sieg für den Datenschutz“ – FR
- Der falsche Jubel über das Google-Urteil – WirtschaftsWoche;
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3 Kommentare zu „Die Google-Suche: „XKeyscore light“ für alle? Zum EuGH-Urteil“.