Gestern blieb ich kurz beim RBB hängen geblieben. In der Sendung „Stilbruch“ kam der Philosoph Gregor Eisenhauer zu Wort, der seit 10 Jahren für den Tagesspiegel Nachrufe auf Berlinerinnen und Berliner schreibt. Kein Wunder, dass man so recht nahe an der Sinnfrage lebt. Eisenhauer hat nun ein Buch mit dem schönen Titel „Die zehn wichtigsten Fragen des Lebens in aller Kürze beantwortet“ geschrieben. Es fällt auf, dass dieser Titel mit dem Hinweis “ in aller Kürze“ dem Zeitgeist weit entgegen kommt: Sich allzu ausführlich mit Sinnfragen zu beschäftigen, scheint unzumutbar, da baut man (= der Verlag?) lieber vor. :-)
Nun aber zu Eisenhauers wesentlichen Gedanken – z.B. diesem hier:
„Erfüllt ist das Leben dann, wenn du drüber nachdenken kannst und gutheißt, was du getan hast. Das muss die Reihenfolge sein, erst drüber nachdenken, was du getan hast und dann es gutheißen. Und nicht sagen, toll, was ich tue, und dann, bevor ich sterbe, denke ich mal drüber nach!“
Man mag sich fragen, warum es nicht reichen soll, einfach toll zu finden, was man tut. Kann ein Leben „unerfüllt“ sein, wenn jemand mehrheitlich alles „toll fand“ was er oder sie im Leben so geleistet, unternommen oder unterlassen hat?
Nehmen wir z.B. einen Tech-Blogger, der Jahr um Jahr in Vollzeit und darüber hinaus über technische Gadgets bloggt (die bald wieder uncool sind). Einen, der das ganz toll findet und sogar seinen Lebensunterhalt damit verdient. Wird er plötzlich aus dem aktiven Leben gerissen, z.B. durch einen Unfall, könnten ihm durchaus Gedanken kommen wie: Soll das ALLES gewesen sein? Hab ich nicht eine Menge „richtiges Leben“ verpasst? War da nicht noch was, außerhalb der Gadget-Welt?
Am Beispiel wird deutlich, wann und warum sich solche Fragen stellen. Eisenhauer formuliert es so:
„Wir stellen uns nicht wirklich der Tatsache, dass wir irgendwann nicht mehr sind, weil das ist so kränkend, das ist für uns, die wir so verwöhnt sind vom Leben, eine so einschneidende Tatsache, dass wir irgendwann nicht mehr da sind, dass wir das weit weit von uns schieben. Bis zu dem Tag, an dem es zu spät ist.“
Zu spät für was? Er meint vermutlich, um noch einen Ausgleich zu schaffen, um Dinge nachzuholen, die man vernachlässigt hat, ungelebte Möglichkeiten, die man im falschen Bewusstsein endloser Lebenszeit immer auf morgen oder „vielleicht nächstes Jahr“ verschoben hat. Am Lebensende muss es dann ziemlich frustrierend sein, zu erkennen, dass man sich die ganze Zeit mit Nichtigkeiten beschäftigt hat, die angesichts des Endes keinen echten Wert haben.
Was aber hat diesen echten Wert, jenseits des bloßen „hat Spass gemacht“ ?
Eben darüber sollen wir nachdenken. Aber schauen wir mal ans andere Ende dieses Anspruchdenkens: Das Leben wird so gesehen leicht zum Projekt. Neben den Alltagsanforderungen tritt das Bemühen um Ausgewogenheit: Work-Life-Balance, Beziehung, Freundschaften, Familie, bürgerschaftliches Engagement, Weiterbildung / Horizonterweiterung, Reisen, ausgleichende Hobbys, Sport, „Arbeit“ an der Gesundheit – und Muße muss ja auch noch irgendwo dazwischen passen!
Schon weil man ja nicht weiß, wann das Ende kommt, ist so eine auf die finale Bilanz ausgerichtete Lebensplanung kaum realistisch. Im Denken an die eigene Endlichkeit kommt etwas zutiefst Widersprüchliches zu Bewusstsein. Es ist unmöglich, das Leben „vom Ende her“ zu leben, denn kaum etwas hätte angesichts dessen wirklich Bestand. Selbst jemand, der sein ganzes Leben dem Helfen und Welt verbessern verschrieben hat, würde sich fragen müssen: Versäume ich nicht eine Menge? Wer bin ich, mal abgesehen von meinem sozialen Engagement?
Leben im Blick aufs Ende?
Ab und an die Sinnfrage zu stellen, ist dennoch nicht überflüssig – wir können nur nicht in ihr verweilen. Die bekannte Weisung „Lebe jeden Tag als wäre es dein letzter“ ist eine unmögliche Forderung, denn menschliches Leben findet in Erinnerung einer Vergangenheit und in Erwartung einer Zukunft statt. „Ganz im Hier und Jetzt“ passt gut für eine Liebesnacht, für die Sauna und die Meditation aufs Fliegengesumm im Liegestuhl – aber nicht für alles andere, was wir so im Leben unternehmen, arbeiten, vorhaben und umsetzen.
Letztendlich kommt auch Eisenhauer zu einer Antwort auf die Sinnfrage, die man angesichts seiner anderen Statements nicht erwarten würde:
„Die Sinnfrage stellen sich meist nur Leute, die das Leben vor sich haben, wo das Lebensfülle so groß ist, dass man gar nicht ahnt, was man mit der ganzen Lebensfülle machen soll. Wenn sich die Lebensfülle eindampft auf nur noch wenige Tage oder Wochen, dann ist die Antwort eindeutig die: Lass mich noch einen Tag, eine Stunde hier sein. Das ist der Sinn des Lebens: Da sein.“
Wer lebt? Wer stirbt?
Darüber, dass dieses Dasein endlich ist, trösten sich die Menschen auf unterschiedliche Weise. Religionen versprechen die Weiterexistenz in einem „Jenseits“, viele glauben an eine Wiedergeburt und unendlich viele Leben. Mir ist beides nicht möglich, also musste ich etwas Anderes finden: Die Ent-Identifizierung mit diesem besonderen sterblichen Ich. Kommen mir solche Gedanken, halte ich dagegen: Dass da ein „Ich“ sei, ist sowieso nur eine praktische Illusion fürs alltägliche Leben. In Wahrheit ist nirgends ein substanzielles ICH, keine wandernde Seele, nichts dergleichen. Wenn überhaupt ETWAS ist, dann ist es ALLES – und so bin ich wie ein Blatt am Baum, eines von Milliarden. Was „ich“ nicht erlebe, erleben Andere – alles selber haben/erleben zu wollen, ist auch nur eine Form von Gier. Also etwas zum Abgewöhnen!
Mal schauen, ob dieser Trost bis an mein persönliches Ende reicht. :-)
Die zehn wichtigsten Fragen des Lebens in aller Kürze beantwortet
Von Gregor Eisenhauer
254 Seiten, gebunden
Verlag: Dumont
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18 Kommentare zu „Der Sinn des Lebens nach Gregor Eisenhauer“.