Vom Wohnen
Es ist Sonntag. Der Tag, für den ich mir extra angewöhnt habe, nichts „Richtiges“ zu arbeiten, ganz gewiss keine Arbeit für Geld. Seither gibt’s für mich (endlich!) ein stinknormales Wochenende, spät, aber doch noch. Und kaum ist das Normalität geworden, gehts schon nicht mehr anders: selbst wenn ich – wie jetzt – plötzlich arbeiten WILL. Den ganzen Tag schon sag ich zu mir: jetzt klotz erstmal zwei-, drei Stunden ran, mach diesen Entwurf zur Website, wie versprochen – und DANACH kannst du ja dann Diary schreiben, in die Sauna oder ins Fitness-Center gehen, einen Spaziergang machen, lesen oder einfach abliegen und den atem spüren. Es ist genug Zeit dafür – danach! aus alledem ist aber nichts geworden: Weil ich es nicht über mich bekomme, heute am Sonntag ernsthaft zu arbeiten, und seien es nur zwei Stunden, wie ich es mir ausnahmsweise verordnet hatte. (Derzeit schaffe ich nicht alles in der Woche). So kann es gehen mit der Selbsterziehung: Man hat Erfolg, und dann ist’s auch wieder nicht recht.
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Das Wohnung-Suchen hat noch nicht sehr ernsthaft angefangen. Bis Ende Januar will ich umgezogen sein, da ist es noch lange hin! Wenn ich in den Wohnungsanzeigen wühle, merke ich, dass ich innerlich noch nicht so weit bin. Da ist einfach keine Vorstellung, WIE ich wohnen will. Nach zehn Jahren wieder alleine zu leben, erscheint mir als die größtmögliche Veränderung – darüber hinaus auch noch kreativ an die Wohnungsfrage selbst heran zu gehen, überfordert mich.
Doch empfinde ich eine starke Veränderung in Sachen „wohnen“ gegenüber früher. auf einmal ist mir nämlich wichtig, WIE ich wohne. Mit fünfundzwanzig und fünfunddreißig war allein die Miethöhe und die Lage wichtig, der richtige Stadtteil mit „Anschlüssen“ an die richtigen Kiez-Öffentlichkeiten. (In Berlin hatte ich Anfang der 80ger „das Dorf“ entdeckt.) Und dann noch ein paar selbstverständliche Basiseigenschaften: genug Licht, genug Platz – ansonsten war ich kompromissbereit, Hauptsache, die Lage und der Preis stimmten. Im Grunde konnte man mein „mieten“ auch kaum „wohnen“ nennen, denn ich war damals eher selten zuhause, eigentlich ständig unterwegs. Oder mit dem jeweiligen Liebsten zusammen, jedenfalls nie allein.
Heute bin ich über’s Netz an meine Öffentlichkeiten „angeschlossen“, der Stadtraum spielt eher eine ästhetische, denn eine kommunikative Rolle: ich möchte kurze Gänge machen können, ohne depressiv zu werden, ohne immer nur miesepetrige Menschen auf den Straßen zu begegnen. Und ich liebe es locker, leger und informell. Die bedeutungsgeile Gestelztheit, die vom kontinuierlichen Besser-Verdienen kommt, ist mir ein Graus. andrerseits finde ich dieses Friedrichshainer „Szene-Viertel“ um Simon-Dach-Straße und Boxhagener Platz auch selber einen Zacken ZU schmuddelig: relativ viel Müll, alles voller Graffiti, viele Kneipen, viele Penner und Besoffene zwischen all den Studenten und Lebenskünstlern – und nur wenige Ältere, kaum Alte. Naja. So ist’s halt im „sozialen Brennpunkt“, Sanierungsgebiete im Umbruch waren immer so.
Was mich wirklich in der Gegend hält, ist der Blick in die WEITE, den ich seit den zwei Jahren in Mecklenburg nicht mehr missen will. Ich gehe nur fünf Minuten bis zu den S-Bahn-Geleisen und hab‘ den Blick auf die Skyline von Berlin, toll. Und noch ein wenig weiter die Spree, die Rummelsburger Bucht, die Halbinsel Stralau – komisch, dass mir „Gegend“ plötzlich unverzichtbar ist – noch vor zehn Jahren war ich es zufrieden, wie ein Maulwurf immer nur die Wände vor mir zu sehen – ich hab‘ ja eh nicht hingeguckt, sondern war immer „in Gedanken“.
Gut, soviel zur Gegend. Das Wohnen hat ja noch viel mehr Aspekte: Es beginnt mit dem Körper, geht weiter mit der Kleidung, dann kommen die Zimmer und ihre Einrichtung, die Gegenstände, mit denen ich mich umgebe – dann das Haus: In welche Himmelsrichtung öffnen sich die Fenster oder der Balkon? Das ergibt gänzlich unterschiedliche Lebensgefühle, man kann es gar nicht wichtig genug nehmen: Was soll ein Spätaufsteher mit einem Ost-Zimmer? Für mich aber wär‘ es langsam genau das Richtige!
Dann die Straßen: wie ist es eigentlich möglich, dass so viele Menschen DIREKT an lauten Verkehrsstraßen wohnen? Wie halten die das aus? Den Lärm, den Staub, den Gestank – die ganze Palette schädlicher Einflüsse scheint Hunderttausenden nichts aus zu machen. Hier im Gebiet ist es gar nicht einfach, eine relativ ruhige Bleibe zu finden – komplizierter noch, wenn man nicht in einen Seitenflügel oder ein Hinterhaus will, zumindest dann nicht, wenn man da nur die Rückseite des Vorderhauses und die Mülltonnen im Hof sieht. ans Fenster treten und einen Blick in „die außenwelt“ werfen – Himmel noch mal, darauf mag ich nicht mehr verzichten!
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Wenn ich so daher plaudere, merke ich, dass meine Wünsche bezüglich des Wohnens doch schon sehr spezifisch sind: ein großer Multifunktionsraum gefällt mir weit besser als drei kleine Zimmer, ich mag hohe Decken und liebe die Gemütlichkeit der typischen Gründerzeit-Altbauten – aber zum Selber-drin-wohnen sind sie mir heute modernisiert weit lieber als „naturbelassen“. (Schön, das in diesem Leben noch mitzubekommen, nachdem ich eine so wesentliche Zeit als junge Erwachsene im Kampf gegen die „Luxus-Modernisierung“ zubrachte! Man sollte immer beide Seiten der Barrikaden kennen lernen…:-)
Ob das aber ALLES gewesen sein muss? Jahr um Jahr in einem „top mod. AB, Blk, teils abgez. Dielen, teils Laminat, großes WB u. Wohnküche gefließt“ bis an mein Lebensende ??? Oder mal was ganz anderes? Das ganz gemütlich, ohne Zwang und Termindruck zu erforschen, versteh ich unter „kreatives Herangehen an die Wohnfrage“ – und dafür brauch ich Zeit. Zeit, um herum zu wandern und Straßen, Plätze, Stadtteile anzusehen, Zeit, um Menschen zu besuchen, die in den unterschiedlichsten Situationen leben: im 21. Stock eines Plattenbaus mit Weitblick über Berlin, in einem Wohnwagen als Teil einer halblegalen Wagenburg, in einer 50ger-Jahre-Siedlung mit großem grünen Innenhof, in einem Dachgeschoss, einem Loft, einer Datscha in der Gartenkolonie, einem umgenutzten Bahnwärterhäuschen, in einer Ladenwohnung im Erdgeschoss – gewiss ist das nicht alles, was möglich ist.
Heute finde ich so eine Suche interessanter als die „Suche nach dem Sinn des Lebens“, die viele auf diese Seiten führt. Das Wohnen in all seinen Aspekten bildet ja die Schalen bzw. Schichten unseres Da-Seins, unseres Mit-Seins und In-Der-Welt-Seins – wie spannend, es auch als ein Teil des Selbst-Seins ganz bewusst zu erfahren! Solange ich allerdings jeden Schritt, jede Handlung, jede Regung und Überlegung nur in Bezug auf die Welt „hinter dem Monitor“ erlebe, ist Wohnen tatsächlich kein Thema.
Oder doch? Die Webdesignerin in mir erhebt Widerspruch gegen die Philosophierende – na, das wird ein Thema für ein andermal.
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