Claudia am 30. Oktober 2014 —

Zersplitterte Aufmerksamkeit, hektisches Surfen – wir ignorieren das menschliche Maß

In Resonanz auf meinen „Netzfrust“ und die angedachten Strategien, dem zu entgehen, schrieb Markus in den Kommentaren:

„Mir selbst hat das Netz die Aufmerksamkeit versaut. Ich kann nicht mehr lesen. Das Mäandern durch alle Angebote auch und gerade sozialer Netzwerke und Möglichkeiten hat mich zu einem Psychowrack gemacht, das sich nicht mehr konzentrieren und bei einer Sache bleiben kann. Insofern wäre eine Diät auch für mich hilfreich – mit dem Ziel, nur eine Sache auf einmal zu tun. Wenn ich lese, den PC ausgeschaltet zu lassen. Und wenn er an ist, einem Plan zu folgen, einer to-do-Liste, die man abarbeitet, um den Rechner danach wieder auszuschalten und vielleicht so wieder ein wenig Ordnung in den Umgang mit all den Angeboten und Inhalten zu schaffen.“

Das ist eine sehr drastische Beschreibung des Zustands, in dem ich mich auch oft vorfinde. Und ich habe festgestellt, dass das sogar Angst macht. Eine unbestimmte, hintergründige, kaum fassbare Angst ohne konkreten Grund, wie ich sie einst als letzte, nurmehr „feingeistige“ Folge eines veritablen Katers kannte. Schwierig, sie wirklich zu Bewusstsein kommen zu lassen. Man glaubt lange, es läge allein an den Inhalten, die beim Surfen durch unzählige Medien zwangsläufig erfasst werden: soviel Elend, Hass, Lügen, Ignoranz, Kriegstreiberei, total verrückte Weltsichten, ständige Crash-Prophezeiungen – welche Psyche soll das aushalten?

Eine falsche Sicht! Menschen halten eine ganze Menge aus, man muss nur mal in echte Krisengebiete schauen und das Befinden der Betroffenen mit unserem gemütlichen „Medienstress“ vegleichen. Da liegen Welten dazwischen, das meiste Üble und Böse da draußen betrifft uns (noch?) nicht direkt, bei weitem nicht. Dass aber bloß mittelbar Gewusstes auch nur ansatzweise an dieses vielfältige Leid heran reicht, halte ich für unwahrscheinlich. So heftig „mitfühlend“ sind wir in der Regel nicht, auch wenn es verlockend ist, so von sich zu denken.

Aufmerksamkeit: nicht unendlich teilbar

Ich vermute eher, der Teppich mieser, aber kaum greifbarer Gefühle und Befindlichkeiten, der durch exzessives „herum Surfen“ entsteht, ist ein Zeichen, dass wir das menschliche Maß ignorieren. Die Ressource „Aufmerksamkeit“ ist ein wertvolles Gut, von der wir fälschlicherweise annehmen, sie sei unbegrenzt vorhanden. Dem ist aber nicht so: je mehr wir sie verteilen, desto größer wird die Verwirrung und das Gefühl der Bodenlosigkeit und Unsicherheit. Es ist die Angst, die Orientierung zu verlieren, denn normalerweise haben wir ja einen Fixpunkt, an dem entlang wir agieren: eine Not, die gewendet werden muss, eine Pflicht, der wir nachkommen wollen, einen Wunsch, nach dessen Erfüllung wir streben.

Diese Normalität wird verlassen, sobald man sich dem ziellosen Surfen hingibt: jeglicher Fixpunkt ist schnell verschwunden, man folgt einfach spontanen Impulsen, lässt die Aufmerksamkeit von beliebigen Auslösern und Aufregern einfangen, wobei kein Ziel länger fesselt, sondern immer gleich der nächste Reiz zum weiter klicken verführt. Rational reden wir uns das als „uns informieren“ schön, nennen es gar Pause, Muße, Ausgleich für zielgerichtetes Tun (=Arbeit!). Dabei ist es all das gerade nicht, sondern ganz im Gegenteil ein „freiwilliger Stress“, dessen suchthafte Aspekte man z.B. bemerken kann, wenn mal nicht schnell genug „Nachschub“ gefunden wird. Da das Web zu jeder Zeit beliebig viel Nachschub von allem und jedem bietet, deutet ein vermeintlicher Mangel an ausreichend berührenden (!) Inhalten darauf hin, dass wir unsere seelischen Kapazitäten schlicht verbraucht haben, bzw. jetzt eigentlich stärkeren Tobak bräuchten (den Bedarf füllen Anbieter wie heftig.de oder für ganz Abgebrühte Seiten wie das berüchtigte Rotten).

Medien-Diät

Seit gestern meide ich zielloses Surfen, suche auch keine Aggregatoren auf, um „mich zu informieren“, sondern achte darauf, mich mit Ziel und Sinn durch die Online-Welt zu bewegen. Es ist nicht einfach, denn ich verspüre immer wieder den Impuls, einfach mal auf Rivva, Net-News-Global oder Google News zu klicken (sic!).

Aber NEIN, ich mache jetzt Ernst mit der Medien-Diät! Gestern war ich im Garten, was immer ein gutes Anti-Dot zum „virtuellen Leben“ ist, und danach hab‘ ich über die Garten-Erlebnisse einen Blogbeitrag verfasst. Auch weiterhin werde ich mir gestatten, Blogartikel zu lesen, die sich auf meine aktuellen Postings beziehen. So fand ich gestern einen Artikel auf „Zurück in Berlin“ mit reizvoll eingebundenen Links zu weiteren bemerkenswerten Postings. Nach drei weiteren Texten (denen aus Absatz 4, heftig!) hab ich mich dann erinnert und Schluss gemacht.

Ja, einfach ist es nicht.

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Diskussion

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32 Kommentare zu „Zersplitterte Aufmerksamkeit, hektisches Surfen – wir ignorieren das menschliche Maß“.

  1. @Claudia: In letzter Zeit empfinde ich weniger einen ‚Netz-Frust‘ (obwohl sich eigenartigerweise außer Dir auch zwei an sich eingeschworene ‚Netz-Affine‘ aus meiner Umgebung unabhängig voneinander ähnlich wie Du äußerten) als eine schleichend zugenommen habende Langeweile beim Surfen. Ohne allerdings dazu ein Gefühl der Desintegration zu haben, was daran liegen mag, daß ich keine Aggregatoren benutze und ebenso an keinem social network teilhabe. Ich gehe bei Bedarf die Resultate von Suchmaschinen durch und klicke nach Lust und Laune meine persönlichen Favoriten an, wann immer mir danach ist, ohne daß ich vorher ein snippet ansehen müßte, das mich scharf darauf machen soll.

    Die ‚Carbon-Welt‘ – mir gefällt Deine Wortschöpfung sehr – ist für mich weit weniger Erholung im Gegensatz zu anderen Medien als Normalzustand, denn ich empfinde die manchmal endlos langen Gedankenwürmer in Büchern als äußerst beruhigend und die meistens erschreckend kurzen Wortwürmchen aus dem internet als reichlich belanglos und mag den – auch ohne internet virtuellen – Rückzug auf eine Insel der Aufmerksamkeit, den ein Buch zu lesen mit sich bringt, welches nicht alle paar Minuten Thema, Sprachstil und Hintergrund ändert bzw. die ersteren so gut wie gar nicht entwickelt. Außerdem brauche ich – mit Ausnahme von elektrischem Licht – keinerlei Technik dazu, die heimlich nach Hause telefonieren will. Diese Beruhigung – die sich sanft und angenehm auf den Herzschlag, das Tempo der Gedanken und die Präzision der Gefühle erstreckt – könnte vielleicht Netz-Geschädigten in ähnlich wohltuender Weise helfen, wie es Hyperventilierenden die Plastiktüte tut, in die sie atmen sollen, um ihre Atmung zu stabilisieren, weil sie einatme, was sie ausatmen, statt immer Neues hinzuzupacken.

    Ich bin ohnehin überzeugt davon, daß sich Menschen immer mal wieder mit ihren eigenen Gedanken komplett von ‚der Welt‘ zurück ziehen– dazu gehören neben blinkenden und zischenden, leuchtenden und gurgelnden, blitzenden und knatternden Bildschirmen und Lautsprechern auch Verwandte und Bekannte, Geliebte und Gehasste, und sämtliche Vorgesetzten sowieso – und bewußt und mit Anstrengung gegen sie abschotten sollten, was durchaus ‚Arbeit‘ bedeuten kann, für mich allerdings keine, die stress oder burn-out erzeugt. Vielleicht brauche ich das, um danach besser zu wissen, wo ich selbst aufhöre und das Andere anfängt, und um mich nicht per Wohlgefühl in einem Schwarm – den ich, man rät es sicher schon, niemals für intelligent halte, höchstens als nützlich für jemanden außerhalb des Schwarmes– zu verlieren oder zu verstecken.

    Weswegen ich jetzt schweige und Dir, Claudia, wünsche, daß Du wieder mehr ‚Lust auf Netz‘ bekommst, denn Deine website macht sicherlich Deinen Lesern hin und wieder genau diese ‚Lust auf Netz‘!

  2. Entschuldigung, ich wollte nicht die Diät sabotieren ;-)

  3. In deinen letzten Beiträgen finde ich vieles von mir selber wieder, Claudia. Adäquat kommentieren ist mir dabei nicht mehr möglich. So viele Gedanken schwirren durch meinen Kopf, unmöglich, sie hier irgendwie in Buchstaben niederzuschreiben.
    Und eh` ich wieder und wieder die begonnen Kommentare lösche, jetzt einfach mal nach „frei Schnauze“:

    „Weglaufen“ könnte man es nennen. Doch bietet das Netz auch eine große Möglichkeit der „Ablenkung“. Nicht selten kuschele ich mich beim zu Bett gehen unter meine Decke und denke: „Was hat sie da gemeint?“. Und dann steige ich in einen Gedankenreigen ein und schwupps, 10, manchmal auch 15 Sekunden später, bin ich schon im Land der Träume. Wunderbar.

    Ich kenne sehr gut noch die Zeiten, in der mich Fragen zum nächsten Tag stundenlang nicht einschlafen ließen. So gesehen, ist das Netzsurfen als Ablenkung ein wirklich guter Baldriumersatz :)

    Eine andere Meinung habe ich von dem, was wir lesen. Das, was wir lesen, wird uns nicht im Befehl vorgehalten mit: Lies, oder stirb! Auch die Schwerpunkte und Interpretation des gelesenen entfaltet sich bei jedem anders. Ein Ereignis in Südafrika löst bei dem einen Fernweh und Jugendträume aus, bei dem anderen Manifestationsgedanken der weltweiten Rassendiskreminierung, die es mit allen Mitteln zu bekämpfen gilt.

    Das kann für jeden einzelnen eine sehr interessante Frage sein, warum wir lesen was wir lesen, und was wir dabei ganz nah an uns heranlassen.

    Darüberhinaus glaube ich, dass der menschliche Geist einen ständigen Input braucht. Die Maschine da oben muss immer gefüttert werden, muss immer arbeiten, um einen Output zu produzieren. ( Jetzt kämen eigentlich die meditativen Techniken zur Diskussion, die diesen Prozeß entgegenwirken. Ander mal).

    Die Frage ist für mich:
    Hat die Technik den Mensch überholt?

    Den Inputbedarf kann das Netz mit seinen Millionen oder gar Milliarden von Informationen ( ob Albert Schweitzer, Rosamunde Pilcher, Urknall, IS… was lesen wir?) bedienen, wie es bisher noch nichts vorher gab.

    Doch, uns so las ich vor zwei, drei Jahren mal die Gedankengänge dazu in einem blog:
    wir Menschen haben noch keine natürlichen Techniken entwickeln können, diesen Informationswahnsinn selektiv für uns ordnen und verarbeiten zu können (Wichtig, lustig, unnötig). Ist es da ein Wunder, dass es uns manchmal an Informationen zu erschlagen droht und wir nur noch das im Kopf behalten, was für uns wichtig ist?

    Damit komme ich zum Schluß noch mal auf deine Einleitung von Markus zurück:
    Ich glaube das, und es tut mir auch leid, wenn jemand durch die exessive Internetnutzung zum Psychowrack wird. Das halte ich für Einzelfälle, die nicht das Internet repräsentieren.

    u.s.w., u.s.w.

  4. @Susanne:

    „schleichend zugenommene Langeweile“ – das interessiert mich. Gibt es doch „von allem und jedem“ jede Menge. Brisante Weltpolitik, intime Bekenntnisse, Berichte lebensgefährlich Kranker, Rants gegen alles Erdenkliche, die üblichen Verdächtigen in ihren immerwährenden Troll-Wars, geistreiche Artikel im Blog- und im Print-Stil (auch lang!), Wissenschaftliches, Unnützes Wissen, alternative Weltmodelle, Verschwörungsgeschichten, Wirtschaftsanalysen, Börsen-News, Kriegsberichterstattung und PR aller jeweils Beteiligten – und wenn man mag auch Unterhaltung bis zum Abwinkten, sogar „positive Nachrichten“, Poesie, Literatur, Erbauliches… hey, wie kann dir das langweilig sein?

    Carbon-Welt ist nicht von mir, hab ich irgendwo gelesen.

    “ denn Deine website macht sicherlich Deinen Lesern hin und wieder genau diese ‘Lust auf Netz’!“

    Danke. Tatsache ist, dass ich mir selber als Bloggerin gelegentlich stinklangweilig bin. Vieles, was mir in den Sinn kommt, schreibe ich nicht – ich müsste jedes Wort wägen und fürchte einfallende Trollhorden… und auch das „Verschubladet-werden“ für immer und ewig. Sollte ich deshalb mal ein anynomes Blog starten, bekommen meine Stammleser allerdings die Adresse! :-)

    @Menachem:

    „Und eh` ich wieder und wieder die begonnen Kommentare lösche, jetzt einfach mal nach “frei Schnauze”:“

    Ja wie denn sonst? Solange man nicht beleidigend wird, muss man an Kommentaren doch eigentlich nicht groß feilen.

    Ja, was du beschreibst meinte ich mit „wir ignorieren das menschliche Maß“. Und sage mir niemand, das sei eine Altersfrage! Oder sind etwa die meist jungen Handy-User auf den Straßen, die zur Gefahr für sich und andere werden, optimal an die neue Technik angepasst?

    Recht hast du: man liest nur, was man auswählt und an sich heran lässt. Bzw. Schlagzeilen bekommt man schon auch so mit – auf der Suche nach dem Auszuwählenden!
    Beim Umstieg auf ein neues Mailprogramm hab ich einen Ordner für Petitionen angelegt, da kommen nun alle entsprechenden Mails rein – seitdem hab ich nur etwa 3 unterzeichnet, weil ich übers Web auf die gestoßen bin. Ich schau einfach nicht in den Ordner, ganz absichtslos ist das so gekommen. Bisschen schlechtes Gewissen kommt auf, indem ich das bedenke – aber mit X Petitionen pro Tag war alles noch deutlich schlimmer!

    @Verfasser: DU kannst da nichts dafür – und deine Art, Links zu verteilen finde ich toll!

  5. Es gibt Menschen, die genügend Selbstdisziplin mitbringen, um in der Flut der Informationen und Sensationen des Netzes grazil zu schwimmen. Ich fuchtele eher mit den Armen, immer mit der Befürchtung, von der nächsten Welle in die Tiefe gerissen zu werden. Als Mensch, der sich selbst kaum Struktur schaffen kann, ist das als grenzenlos empfundene Netz eher Gift, jedenfalls dann, wenn man etwas Zeit hat. Sobald der Zeitgürtel enger zu schnallen ist, wird sogar mir die Fähigkeit der Fokussierung auf Essenzielles gegeben. An freien Tagen und im Urlaub bin ich jedoch rettungslos verloren und die von Claudia beschriebene Ziellosigkeit und die nie endenden Impulse schubsen einen vom frühen Morgen bis in die Nacht hinein weiter, ohne daß man überhaupt ein ordentliches Gefühl für die verstreichende Zeit besitzt. Ist der PC mal aus und ich sitze sinnierend in meinem Sessel, zieht sich die Zeit plötzlich. Die Aufmerksamkeit bekommt wieder ein Ziel, nämlich ausnahmsweise zu sich selbst. Das tut dann gut.

    Was ich nun versuche, ist tatsächlich ein vorbereitetes Surfen. Anhand einer Liste dessen, was ich tun will, begebe ich mich online, arbeite das stur ab und verschwinde wieder.

  6. @Markus: und wie / warum empfindest du dieses strukturlose Getriebensein als LEIDEN? Mich interessiert, inwiefern und warum das Gefühl von „Freizeit“ ins Unangenehme umschlägt – das muss ja nicht bei jedem gleich sein!

  7. Macht’s doch ganz einfach. Ignoriert alles, was ihr nicht mehr ertragen könnt. Ich hab jetzt (dankenswerterweise, via Markus) diese Diskussion mitverfolgt. Ignoriert es. Wisst ihr, wo ich aufgehört habe, mir Käsbuck-Postings anzuschauen: als eine Kollegin ihr Nagelstudio toll fand „like“. Das sind Informationen, die nie im Leben mein Hirn hätten treffen sollen. Ich hab so wenig Zeit, so wenig Möglichkeiten, also ignoriere ich jetzt den Unfug. Wer was will, schreibt mir Mails oder Nachrichten, die lese ich. Und den Rest (Zeitungen online, Netzwerke) lasse ich z.Z. liegen. Spart wirklich Zeit, Zeit, Zeit und Nerven. Was interessiert mich, wie doof die Kinder beim Halloweenklingeln sind, also ignorieren. Man muss es einfach machen. Das Gefühl „oh, hoffentlich verpasse ich nichts“ > Hey, die meisten Leute sind normalerweise so programmiert, dass sie gar nicht so viel mitkriegen, die ignorieren von ihrer humanen Standardprogrammierung her. Die KÖNNEN gar nicht so viel mitkriegen. Dass ich zuviel aufnehme und wahrnehme, wird mir dann zurückge“zahlt“, indem ich dann als Sensibelchen gelte und mich nicht so haben soll. Also: schalte ich auch auf doof und nur in meinen vier Wänden (die auch in der U-Bahn oder S-Bahn sein können) öffne ich mich der guten Welt, den Büchern. Da lieber lese ich doch wochenlang was von Sachen, über die kaum jemand sonst was gehört hat, als das ich den ganzen Kleinkleinscheiß über Ebola, Ukraine, Ebola, Hooligans, Ebola usw. an mich rankommen lasse. Es ist leichter gesagt als getan, aber ich konzentriere mich auf meine Arbeit, meine Hobbies, meine Bücher (was identisch ist) und schon gehts mir besser. Ich brauch den ganzen Netzwerkmüll nicht mehr, denn dort ignorieren mich die Leute auch nur. Also weiß ich ja, wie wichtig es sein muss… Null.

  8. @Claudia Daß es nicht bei jedem gleich sein muß – klar, denn die meisten Menschen, so denke ich es mir, verfügen eben über den Kontrollmechanismus, sich lenken zu können bei der Auswahl und der Richtung der Schneise, die man ins Web schlägt. Oder eben, man mag es, pausenlos von allen Seiten beballert zu werden und bekommt keine Schwindelgefühle dabei. Das ist auch ok.

    Ganz einfach, weshalb es bei mir ein gewisses „Leiden“ erzeugt: Ich komme nicht zu dem, was ich mir einbilde, doch eigentlich viel lieber zu tun. Ich habe einen Freund, der, wenn er einen Fernseher hätte, gnadenlos davor säße und seine anderen Aktivitäten, deretwegen ich ihn jetzt beneide, fielen hinten runter. Er weiß das und hat die Glotze rausgeschmissen. Und ich weiß, daß ich nicht permanent alle 5 Minuten ein YouTube-Video nachschauen, nach Mails, Messages, Tweets und FB-Postings gucken sollte. Aber Zwangexistenzen wie ich bräuchten eine Art Gouvernante, die, streng guckend, neben einem stünde und kopfschüttelnd und fingerschwenkend reagieren würde, sobald die Hand an die Tastatur möchte.

    Vor einiger Zeit glückte es mir, einige Wochen lang die ZEIT zu lesen; ich fühlte mich hervorragend informiert, für viele Themen sensibilisiert usw. Im Prinzip ist meine Zeit ja bereits so knapp, daß ich noch nicht einmal alle Audiobeiträge des Deutschlandfunkes anzuhören schaffe, die ich mir tagtäglich lade.

  9. Ich stimme Holger zu und sehe es auch bei Markus:
    Man muß notwendigerweise aus der Sucht austreten und versuchen, das Ganze mit Verstand und Vernunft zu betreiben. Bloß bin ich selbst auch kein Vernünftiger und mache immer noch zu viel im Netz. Ich wusste das irgendwie vor 2000, daß es so kommen würde, denn vor 2000 hatte ich einen PC ganz bewusst ohne internetanschluß!

  10. @Gerhard Bis 2002 surfte ich mit Modem. Die Kosten fielen zeitabhängig an. Bis dahin waren, was mich als Geizhals entlarven wird, der ich auch bin, meine Aktivitäten SEHR strukturiert. Rein, raus, dazwischen gezielt und sehr fokussiert das getan, was ich mir im Internet vorgenommen hatte. Seit der Umstellung aus DSL mit der damit einhergehenden Flatrate sind die Schleußen weit offen. Für die einen sind Möglichkeiten ein Zugewinn, für manche eine Gefahr. Im Kaufland vor einem Regal mit 100 Marmeladen verhungere ich; ich bevorzuge die Überschaubarkeit, um überleben zu können. ;-)

  11. @Claudia: (leider etwas verspätet) Vielleicht ist es weit weniger Langeweile, was sich in meine Gefühle eingeschlichen hat, als der (deprimierende) Eindruck, daß eine salvierende und kalmierende Hoffnung auf das ‚große Gespräch‘ (den Ausdruck mag ich trotzdem immer noch) mittels Geräten (und dem Wust an Technik, der dahinter steckt), welche uns noch die entferntesten (räumlich wie sozial) Inhalte und Menschen nahe bringen könnte, eher zu einem Teil des Problems geworden ist, als noch irgendwie hilfreich zu sein, einer Lösung drängender Probleme sich zumindest anzunähern.

    Wie gesagt, das ist ein ziemlich komplexes (und widerliches) Gefühl, dem ich an dieser Stelle nicht in allen Details nachgehen kann und will und das sich aus vielen, oft disparaten Quellen nährt, die mich dazu drängen, diesem Bereich des Alltags immer weniger Einfluß auf mein Lebensgefühl zuzuerkennen, etwa indem ich zwar seine Dienstleistungsangebote benutze, weil vieles damit weit bequemer klappt, ihm jedoch auf allen anderen Gebieten schlichtweg den Rücken zu kehre. Etwas, das vielleicht vielen Netz-Affinen gut täte, wenn ich höre oder auch hier lese, wie abhängig diese Leute von Maschinen bereits zu sein scheinen.

    Natürlich ist das ein Verzicht auf etwas, das scheinbar vielversprechend daher kam und an sich auch jenen viel Potential bietet, die nicht nur einen Reibach damit machen wollen, sondern den Bereich ihrer persönlichen und sozialen Wirksamkeit erweitern wollen. So sollte es zum Beispiel allen Mut machen, wenn in Ungarn Zehntausende gegen die Regierung demonstrieren, aber es deprimiert dann am Ende doch, wenn sie das nur tun, weil diese ihnen den Internetzugang teurer machen will, nicht wegen ihrer Politik.

    Es sollte ebenso Mut machen, wenn Versuche wie das Leistungsschutzrecht unter anderem an der monopolistischen Zielsetzung ihrer Initiatoren (und zur Freude vieler eher kläglich) scheitern, aber es deprimiert schließlich doch, wenn sich hinten herum durchsetzt, daß sie das Feld der Suchmaschinen und Aggregatoren vermutlich noch schneller monopolistisch gestalten werden, als es ohne dieses maßgeschneiderte Recht der Fall wäre.

    Und es sollte an sich Mut machen, daß im Netz immer mehr Menschen eine Stimme erhalten, auf jede ihnen gefallende Weise zu sagen, was immer sie auf dem Herzen haben, aber es deprimiert, daß diese Stimmen immer weniger Herzen zu finden scheinen, die sich für sie auch dann zu öffnen bereit wären, wenn kein Gleichklang der Herzen dieses zum geilen event machte, sondern womöglich zum anstrengenden Abwägen verschiedenster Melodien zwänge.

  12. Hi Susanne, danke für deine sehr nachvollziehbare Antwort – sogar mit Verweisen auf Positives! :-)

    Ich denke mittlerweile, das „große Gespräch“ wird zwar durch die Technik ermöglicht wie bisher noch niemals, braucht aber auch Moderatoren wie jede schnöde Talkshow und jede Tischrunde mit mehr als 3 bis 4 Personen, die nicht in mehrere Einzelgespräche auseinander fallen will (Letzteres Bemühen gab es wohl früher „bei Hofe“ und in den Salons des aufstrebenden Bürgertums, ist heute aber verschwunden).

    Und Moderation kostet Geld, erst recht, wenn es sich um transnationale Gespräche handeln soll. Es bräuchte Insititutionen, die sowas veranstalten und Kontrahenten und widerstreitende Gruppen dazu bringen, über die Basics, ihre jeweiligen Interessen und deren Berechtigung zu diskutieren.

    Ja, das klingt utopisch, ist es auch. Aber drüber nachdenken kann ja nicht schaden…

    Was die „Abhängigkeit“ angeht: die bezieht sich nicht auf „Maschinen“, sondern auf die vielerlei Möglichkeiten, per Internet geistige Reize, interessante/berührende Infos und Themen zu finden. Und auch auf das Gefühl, wenigstens kommunizierend und publizierend etwas beizutragen, dem Geschehen einen weiteren Impuls im Sinne der eigenen Meinung hinzuzufügen. In der Hoffnung, wenn nur viele genug in dieselbe Richtung schieben, dann wird sich schon was tun… und MANCHMAL stimmt das ja sogar!

  13. @Claudia: Ich glaube schon, daß es sich heute um einen Abhängigkeit von Maschinen (i.e. hardware in Gestalt von Tempo der Verfügbarkeit, der Bild- und Tonqualität und dem touch von Allmacht, den Geräte ihren Benutzern nun einmal vermitteln, und ebenso software in Gestalt von Algorithmen, die selektieren, modellieren und präsentieren) handelt. Wirklichkeit war niemals eine paramount Projekt, nie nur das ‚meinen fünf Sinnen‘ unmittelbar Gegebene, was schlichtere Gemüter immer noch als ‚Faktum‘ bezeichnen, als wüßten sie nicht (oder verdrängten), daß Faktum das ‚Gemachte‘ (im Gegensatz zum Datum, dem ‚Gegebenen‘) bezeichnet, was die Einsicht, unsere Welt muß gemacht werden, damit sie für uns wird, versteckt.

    Welt war vielleicht anfangs ein geteiltes Konzept des Alltags, durch Gespräche und gemeinsame Arbeit vermittelt durch die nahen Angehörigen, dann sehr schnell sicherlich eines von Spezialisten erstelltes, von Schamanen, Priestern, Sängern, überhaupt den Helden des Diesseits, später erst kamen Medien wie Bilder, Gesänge hinzu, dann Bücher, dann analoger Rundfunk und Fernsehen und heute die digitalen Medien. Eine Zunahme an Reichweite wurde erkauft mit einer Abnahme an Autonomie, was das Problem der Legitimität, des sozialen Pendant für das kindliche Vertrauen, auf- und die große Kritikmaschine anwarf, den Zweifel. Und immer gab es ‚retardierende Momente‘, das Kanonische, das Althergebrachte, das Geoffenbarte, das wissenschaftlich Erwiesene, doch hat sich der Zweifel niemals beruhigt – bisher jedenfalls.

    Das Fatale des Netzes ist für mich, daß ihm gegenüber offenbar nur noch der prinzipielle Zweifel mit Erfolg erhoben werden kann, während der spezielle Zweifel im Meer des Unbefragbaren und Unerreichbaren schnell untergeht. Jede ‚remote source‘ ist zu sehr ‚remote‘ (d.h. durch Wege und Methoden für mich erzeugt, die ich kaum nachvollziehen kann), als daß ich sie selbst bei mir oder vor Ort überprüfen könnte, das Hintergrundwissen zu weit im Hintergrund (d.h. aktuell aufbereitet aus einem Universum an Wissen zur ad hoc Präsentation), als daß ich es für mich in den Vordergrund ziehen und dort selbst in Frage stellen könnte, und jede Authentizität von Personen oder Organisationen ist von der Arbeit von Algorithmen abhängig, deren Gültigkeit, Robustheit und Unverfälschtheit nicht mal jener komplett untersuchen kann, der ihre Kürzel alle auswendig kennt.

    Überspitzt gesagt ist der Preis der All-Informiertheit qua Netz das Nicht-Wissen. Der dumme Konsument (das organische Pendant zum dummen Terminal) ist der Knotenpunkt im alles Wissen und alle Intelligenz (d.h. die Fähigkeit, Wissen zu produzieren) in sich aufsaugenden Netz (das abstrakte Pendant zu Bildung und Lehre, zur Handbibliothek und dem privaten Erfahrungsschatz).

    Genau das nenne ich Abhängigkeit von Maschinen. Und ob das ein selbst verschuldeter Eingang in eine Unmündigkeit des Individuums ist (da mit sind natürlich nicht die einzelnen Individuen gemeint) oder die Konsequenz bzw. ein Moment in der Bewegung einer aktuellen Ansprüchen nicht (mehr) genügenden Mündigkeit, wage ich nicht zu entscheiden. Eine Welt von gut gelaunten Idioten, die laut gröhlend in schicken Klamotten am Ast sägen, auf dem sie sitzen, ist jedenfalls nicht mein Ideal, jedoch ebenso wenig eine von lauter mißmutigen Einsiedlern bewohnte, die überm Holzfeuer im irdenen Topf mit der immer gleichen Suppe aus glücklichen Hühnern herum rühren – oder aus einem Gemüse, dem sie jedes Gefühl absprechen, um es ohne schlechtes Gewissen aufessen zu können.

  14. Wow, Susanne! Ich wunder mich mal wieder, dass du auf deinem Blog „nur“ Lyrik und Gedichte bringst – anstatt solche geistreichen vieldimensionalen Betrachtungen über Welt und menschliches Dasein zu verbreiten. Für „nur in einem Kommentar“ ist das doch fast zu schade!

    Inhaltlich möchte ich diesem Absatz widersprechen:

    „Jede ‘remote source’ ist zu sehr ‘remote’ (d.h. durch Wege und Methoden für mich erzeugt, die ich kaum nachvollziehen kann), als daß ich sie selbst bei mir oder vor Ort überprüfen könnte, das Hintergrundwissen zu weit im Hintergrund (d.h. aktuell aufbereitet aus einem Universum an Wissen zur ad hoc Präsentation), als daß ich es für mich in den Vordergrund ziehen und dort selbst in Frage stellen könnte, und jede Authentizität von Personen oder Organisationen ist von der Arbeit von Algorithmen abhängig, deren Gültigkeit, Robustheit und Unverfälschtheit nicht mal jener komplett untersuchen kann, der ihre Kürzel alle auswendig kennt.“

    Ja, „im Prinzip“ stimmt diese Beschreibung – in den uns jeweils wichtig (werdenden) Details aber auch nicht. „In der Gefahr wächst das Rettende auch“ – was sich hier darin zeigt, dass der Fälschbarkeit und Bezweifelbarkeit von allem und jedem medial Vermittelten die Möglichkeit zur Seite steht, aus vielerlei Quellen zu wählen.

    Personen und Institutionen und ihr Wirken in der Welt haben eine Historie und werden von unzähligen Seiten, Interessenten und Betroffenen rezipiert, bewertet, befördert oder bekämpft – manchmal ist sogar das Ignorieren ein Statement. Durch das Netz bin ich nicht mehr von Gatekeepern abhängig, sondern kann mir aussuchen, wem ich (in Bezug auf ein Thema) vertraue. Dadurch besteht die Chance, mehr Aspekte einer Sache in den Blick zu bekommen als in informationsärmeren Zeiten – und ich kann mich über „Fragwürdiges“ austauschen, kann im Gespräch mit „Vertrauenswürdigen“ die Meinungsbildung vertiefen.

    Ein „Faktum“ von allen (zumindest vielen) Seiten zu beleuchten und zu einer Bewertung zu kommen, ist heute viel schneller und in einem Ausmaß möglich, von dem man früher nicht mal träumen konnte.

    Konterkarierend wirkt sich allerdings die Konkurrenz der unzähligen „wichtigen Themen“ aus, sowie die Problematik, wann man denn Schluss machen soll mit dem Informieren und Austauschen. Bzw. was denn die Folgen einer Meinungsbildung sein sollen – so sitzend vor Bildschirmen, Brot-arbeitend und Hobbys nachgehend, mehr oder weniger konsumierend….

    Kein Wunder, dass so ein Brimborium ums „richtige Essen“ gemacht wird – diese Äktschn haben wir alle noch nicht ausgesourced! :-)

    .

  15. Algorithmen, die selektieren, modellieren und präsentieren – das ist ja grundlegend menschlich. Unsere biologischen Seh-Algorithmen, unsere Bildgenerierung im Hinterstübchen, unsere Auffassungen, unser Denken, das ist ja immer schon modulierte Masse.
    M.E. findet man diese Prinzipien auch spiegelgerecht und additiv im Netz wieder. Wenn man aber weiß,daß es solche gibt, dann kalkuliert man das doch ein, oder? Ich muß nicht jede Aufbereitung durchschauen, sondern irgendwie miteinkalkulieren.
    Denke ich halt.
    Oder ich weiß nicht: Vielleicht wollte ich auch nur schlicht opponieren…weil mir das „Schwarz-Weiß“ von Susanne, obwohl kreativ-kunstvoll hingeworfen und -gezaubert, nicht behagen mag.

  16. Hallo Claudia, wenn ich @Susanne richtig verstehe, dann hinterfragt sie ja jedwede Information. Deshalb hilft aus ihrer Sicht Dein Ratschlag ja nicht, „die Möglichkeit sich zur Seite stellen, aus vielerlei Quellen zu wählen.“

  17. @Gerhard: Ein prinzipieller Zweifel (alles nur Lug und Trug) ist leider wenig hilfreich, sich im Alltag zu orientieren, obwohl die Möglichkeit, an allem zu zweifeln, niemals ausgeschlossen werden darf. Meine Befürchtung ist weniger, daß eine ‚globale Vernetzung‘ von allem und jedem diesen negiert, vielmehr sehe ich, daß darin jeder konkrete Zweifel (und nur der bringt letztlich Verborgenes an den Tag und korrigiert das Verkehrte und verbessert das Mangelhafte) kontaminiert wird, indem er in einen Ozean unüberprüfbarer Verdächtigungen, unwiderlegbarer Behauptungen und nicht hinterfragbarer Falschmeldungen eingetaucht wird, die sich wie eine schleimige Hülle über alles legen und am Ende nur übrig lassen, was Claudia so formulierte: sich auszusuchen, „wem ich (in Bezug auf ein Thema) vertraue“.

    Damit verlagert sich das Problem einer begründbaren Entscheidung über die (vorläufige, zweckgebundene oder wie auch immer eingeschränkte) Gültigkeit von Informationen, d.h. die Aufgabe, über Wahrheit im Diskurs zu entscheiden, aus dem Bereich des Abwägens von Inhalten gegeneinander, der Prüfung des Zustandekommens ihrer spezifischen, aktuellen Formulierung und Präsentation und der möglichen Wirkungen ihrer Übertragungswege in eine in der Regel vorherige Entscheidung, wem ich per Entschluß als Quelle von Gültigkeit vertraue. Was letztlich ja doch nur eine recht euphemistische Formulierung für etwas ist, das sich etwas ehrlicher als selbstgewählte Unmündigkeit bezeichnen ließe.

    Die schiere Zahl von Autoritäten, unter denen ich auswählen kann ändert in meinen Augen aber nichts daran, daß es sich bei einer Anerkennung einer Autorität immer um einen Verlust an Autonomie handelt, den nur aufwiegen kann, beließe ich diese Anerkennung ständig in der Schwebe, hätte also unentwegt im Auge und täte es auch immer wieder, ihre Autorität in Frage zu stellen. Ich sehe zumindest nicht, wie ein praktikabler Kompromiss zwischen Affirmation (ohne die kein tätiger Alltag möglich wäre) und Kritik (die ich mir nicht vom aufgeklärten Menschen weg denken will) anders aussehen könne.

    Genau das, der permanente, insitierende Zweifel, wird aber, so mein Eindruck, nicht im Netz gefördert, sondern die Tatsache, daß die eigene Position laufend attackiert wird, führt zu einer Lagerbildung, die sich der permanenten Angriffe bedient, um eigene Positionen zu zementieren (und damit auch die der Gegner), statt sie möglicherweise aus Einsicht in etwas Zutreffenderes aufzulösen, und die Wahrheiten nicht im Diskurs erzeugen kann, sondern stets nur als Waffen im Kampf schmiedet. Es wimmelt im Netz, so mein ziemlich lähmendes Gefühl, von sich ungeheuer stark gebenden Gewißheiten, in deren engen Grenzen sich ungeheuer geschwächt fühlende Geister, die nichts mehr blicken, an dem Fetzen Sicherheit fest krallen, das solche Allüren ihnen bieten. So erzeugt das Netz, oder es hilft kräftig dabei, es gibt ja auch noch anderes, keine aufrechten, gesprächsbereiten, für Kritik offenen Kosmopoliten, sondern eine chaotische Menge aus Angstbeißern, die sich hinter jeder Schürze verstecken, sobald ihre Umgebung ihnen nicht mehr die glucksende Harmonie des Mutterleibes als kalmierenden Rausch vorgaukelt.

    Vielleicht einer der Gründe, warum ein Blick in die Nachrichten aus aller Welt ein Kaleidoskop von Gewalt auf jeder Ebene des menschlichen Miteinanders bietet, vom Juniorenfußballspiel in der dritten Kreisklasse bis zum Realität gewordenen Ballerspiel in der Wüste. Und warum ich jetzt aufhöre, denn sonst brennt meine Suppe an oder mir die Sicherung durch…

  18. Ja, bei der „Anerkennung einer Autorität handelt es sich immer um einen Verlust an Autonomie“. Das ist so. All die Leute, die „einen (gewaltigen) Vorsprung an Wissen, Erfahrung und Spiritualität haben“, sollte man hinterfragen. Was sie vertreten, hat oft mehr als eine Wurzel und die offensichtlichen sind halt nur die offensichtlichen. Immer lässt sich auch ein sehr pragmatischer Hintergrund vermuten, meistens zu recht. Oder zumindest eine Motivation, die niemand der Beteiligten benennen kann, aber aktiv herrscht.

  19. …aber DIE aktiv herrscht!

  20. Mit „wem ich in Bezug auf eine Nachricht vertraue“ meinte ich nicht, dass ich einer Instanz einfach glaube, sondern dass ich bzgl. der vielen zur Verfügung stehenden Quellen manchen eben mehr und anderen weniger traue. So bewerte ich eine Info von Kopp-Verlag oder SchallundRausch doch anders als eine der NZZ oder ZEIT. Die „Wahrheit“ hat – das ist mir durchaus klar – niemand gepachtet, in jedem Medium erscheinen Meinungs- und Interessen-geleitete Artikel.

    Wenn bekannt ist, welches Interesse ein Medium oder eine Autorin verfolgt, ist das sehr hilfreich bei der Bewertung einer Nachricht. So hab‘ ich z.B. mal nachgelesen wer/was eigentlich die EpochTimes ist. Wikipedia gibt dazu eine Antwort, die vermutlich in chinesischen Kreisen „umstritten“ ist, mir aber doch hilft, wenn es z.B. um Nachrichten geht, die außerhalb des (vermuteten) Interessenspektrums jener Dissidenten liegen, die diese Zeitung machen.

    Da die eigene Alltags-Erfahrung nun wahrlich nicht weit reicht, sind wir alle darauf angewiesen, von der Welt und den Ereignissen über Medien zu hören, zu lesen, zu sehen. Dass heute unzählige Quellen zur Verfügung stehen, macht nur deutlicher als früher, wie umstritten „Wahrheit“ ist und wohl immer schon war.

    Autonomie im News-Bereich ist allenfalls sehr marginal möglich, nämlich wenn ich zufällig am Ort eines Geschehens wäre und dort auch noch die Möglichkeit hätte, mit allen Kontrahenten zu sprechen – also nahezu nie.

  21. Hi Claudia,
    danke für Deine nochmaligen Anmerkungen.
    Zum Thema fällt mir immer wieder „Rashomon“ ein, ein Film von Akira Kuroswa. Soweit ich ihn „aus der Distanz“ richtig sehe, erzählt er von der Unmöglichkeit, ein und dasselbe Geschehnis deckungsgleich von den Beobachteten zu hören.

  22. Hi Gerhard, ja, den Film kenne ich – großartig!

  23. @Claudia: Es ist ja wenig hilfreich, nur wieder und wieder zu konstatieren, daß ‚Wahrheit‘ und ‚Wissen‘, ‚Authentizität‘ und ‚Echtheit‘, daß all diese Begriffe aus dem Märchenland einer ‚objektiven Wirklichkeit‘ schwammig seien wie Pudding und sich daher zwar gut zum Beschmutzen und Bewerfen, jedoch nur schlecht als Grundsteine, ein Haus auf ihnen zu errichten, eignen. Deswegen hier nun ein etwas verspäteter, weil aus einem anderen Zusammenhang gegriffener, ebenso leicht naiver, dafür aber äußerst geschwätziger Text, der einmal nicht negativ versandet, sondern hübsch positiv endet, obwohl das zwischendurch vielleicht nicht danach aussieht, aber mit ein wenig Geduld und Spucke wird der geneigte Leser mir vielleicht am Ende zustimmen (so er nicht glaubt, im Netz wimmele es offenbar wirklich von Verrückten).

    Also los! Was passiert bei der täglichen Konstruktion von Realität, die jeder Mensch beherrscht, mag seine private Realität anderen Menschen noch so bizarr, ja oft sogar beängstigend erscheinen? Der Einzelne umgibt sich mit einer Unzahl von ‚praktischen Gewißheiten‘, die ihn durch den Tag helfen und die er nicht laufend überprüft, sonst wäre er wie der alte Oblomov, der seine maroden Güter immer nur vom Sofa aus erneuert. In diesen Gewißheiten gibt es so etwas wie eine Hierarchie, viele hängen von wenigen ab und diese wenigen wiederum von noch wenigeren, und irgendwo wartet so etwas wie eine Basis der Realität, ein Satz von alle anderen Gewißheiten erzeugenden (Grund-)Gewißheiten.

    In dieses selten uns bewußte System passen wir alle neue Informationen ein. Dem Russenhasser trägt jeder Lastwagen, der in Russland gen Westen fährt, ganz selbstverständlich ein Lenkwaffensystem, um Passagierflugzeuge abzuschießen, und wenn nicht, ist er unterwegs, solch eines zur Reparatur abzuholen, damit es dann später genau dazu benutzt werden kann. Dem US-Hasser ist jeder Dollar, den die Bundesbehörden ausgeben, dazu gedacht, die Einnahmen jener Milliardäre zu erhöhen, die hinter der Wahlkampagne des amtierenden Präsidenten stehen, und wenn nicht, soll er natürlich bloß helfen, mittels einer vom spin doctor verordneten, schön medienwirksam inszenierten Barmherzigkeit die Löcher zu stopfen, durch die diese Milliardäre zu erkennen wären.

    Bis einmal eine neue Information unser Weltbild ernstlich erschüttert, müssen in der Regel zehntausende von Menschen sterben und die Straßen, in der wir leben, komplett zerbombt sein, und selbst dann haben unsere Weltbilder ein deutlich zäheres Leben als die berühmte Katze mit gleich 9 davon. Daran ändert weder das Tempo etwas, mit dem uns Informationen erreichen, noch die Vielfalt der Informationen noch das Medium. Selbst wenn eines Tages die Berge selbst zu den Propheten kämen, würden diese nichts anderes prophezeien als in ihren dunklen Tälern zuvor.

    Der Glaube, eine Verbreiterung, Intensivierung und Beschleunigung der den Menschen angebotenen Informationen erlöse von der schäbigen Notwendigkeit der Bewertung und Einordnung ins Bestehende, bei dem dies eine deprimierend überwältigende Macht über das Neue besitzt, ist in meinen Augen eine Illusion. Attraktiv wird sie nur dadurch, daß (Politik-, Zeit- und Denk-)geschichtlich die Betrachtung von Weltbildern (also Ideologien) mit Problemen zu kämpfen hat (oder daran bereits verzweifelt ist), was sie unpopulär (im Sinne von: nicht mehr reichlich mit staatlichen Fördergeldern ausgestattet und nicht mehr prominent in den Medien präsent zu sein).

    Eines ist die Ideologie einer für sich reklamierten Ideologiefreiheit. Es sind ja typischerweise immer die anderen, die verbohrte Idealisten, Weltverbesserer, machtgierig und notorische Kleine-Kinder-Fresser sind, während man selbst die Dinge im Wesentlichen so sieht, wie sie sind (plus der launigen Anmerkung, das wisse sowieso niemand niemals ganz genau). Diese Selbstimmunisierung gegen die eigenen Regeln gehört anscheinend zum Ego sowohl einzelner Menschen als auch größeren Gruppen von Menschen dazu.
    Das andere ist der Unheils-Vorwurf. Im Namen von Ideologien (gleich welchen Strickmusters) ist unnennbares Unheil über die Menschen gebracht worden, wurden Völker ausgerottet, Landstriche verwüstet und Kulturgüter zerstört. Deswegen solle man sich von Ideologien abwenden, so lautet die ideologische Folgerung, die das Unheil, welches aus anderen Gründen über die Menschen kam, erst gar nicht mehr anschauen muß, um sich seiner eigenen Gültigkeit sicher zu sein.

    Noch ein Problem ist, daß der Systematik von Weltbildern etwas Unheimliches innewohnt. Sie erinnert, wenn du dich jener andere Menschen näherst, an Bilder von Wahnsinn, Alpträumen und Verwirrung, beängstigt dich mit dem drohenden Verlust an solider Orientierung, welche dir das eigene Weltbild stets automatisch liefert, und es springen dich Verfolgungswahn und Verschwörungsphantasien an, weil fremde Methoden und Resultate sich den beruhigend objektiv scheinenden Werkzeugen und Ergebnissen deiner eigenen Systematik selten erschließen. Der Versuch, Menschen, die mir gänzlich fremd denken, zu verstehen, ist immer ein enormes Abenteuer, das mich keineswegs unberührt lassen muß. Ebenso ist das Abenteuer riskant. Es könnte ja sein, ich muß mich ändern und mich auf andere Weise neu erzeugen, weil mir das Fremde auf einmal zum Eigenen wird.

    Und letztlich ist jede Systematisierung von Weltbildern ein äußerst mühsamer Prozeß. Ich glaube, sein größtes methodisches Problem ist, daß er so gut wie gar nicht ‚algorithmisch‘ beschreibbar ist. Das heißt, ich kann ihn nicht auf einige wenige, einfache Strukturen herunter brechen, kausale Beziehungen etwa oder stochastische Zusammenhänge. Menschen erraten so ungeheuerlich viel, sie ‚wissen‘ immer wieder etwas, ohne es erklären zu können (siehe die Debatten über ‚Verstehen‘ versus ‚Erklären‘), und sie ’schließen‘, ohne die Schlußregeln explizieren zu müssen, ja ohne es oft überhaupt zu können. Je mehr uns die Wissenschaft etwa über den menschlichen Wahrnehmungsapparat an Details verrät, desto stärker rückt seine Fähigkeit der Extraploation ins Zentrum, so mein Eindruck, nämlich indem klar wird, daß Menschen sich orientieren, nicht indem sie primär auf ‚objektive‘ Reize bauen, sondern indem sie vorher erraten, was als nächstes passieren wird, wobei sie sich auf wenige Indizien stützen, und das gerade nicht in Routinesituationen, sondern explizit dann, wenn sie sich mit Gefahren und Unvorhersehbarem konfrontiert sehen.

    Die Paradigmen wissenschaftlicher Rekonstruktion von Wirklichkeit haben mit solchem ‚Brei‘ ihre liebe Mühe. Die meisten ‚wissenschaftlichen‘ Erklärungen sind, verglichen mit dem, was passiert, wenn ein kleines Kind mit noch gänzlich unbekannten Dingen zu spielen beginnt, meiner Ansicht nach sehr simplifizierte Modelle. Wer Kinder geduldig beobachtet, sieht sicherlich oft Handlungen wie Versuch und Irrtum, sampling und den Schluß vom Teil auf das Ganze, aber er erkennt zugleich immer wieder kleine Wunder, plötzliche, scheinbar aus dem Nichts kommende Fähigkeiten, Einsichten, Ideen und Gewißheiten.

    Die moderne Wissenschaft aber ist über das ‚wenn A, dann (ausreichend oft) B‘ als Basis ihrer Erklärungen kaum hinaus gekommen, wobei das ‚ausreichend oft‘ am Integral unter den Rändern von Wahrscheinlichkeitsverteilungsfunktionen fest gemacht wird, welche wiederum vor allem danach gebildet und ausgesucht werden, daß sie überhaupt (und relativ einfach) integrierbar sind und ihr Bezug auf singuläre Phänomene als leicht anrüchiger (Kurz-)Schluß aus dem Reich der unendlichen Ereignisse in jenes der endlichen erfolgt, der blind darauf vertraut, daß das Teil eigentlich nie etwas anderes sein könne als ein kleineres Ganzes.

    Kein Wunder also, daß sich dem darüber nachdenkenden Verstand Wirklichkeit als angenehmer und leichter zu fassen präsentiert, wenn er ihre Konstruktion als einen rationalen Prozeß mittels gut beherrschbarer Beziehungen sich vorstellt. Aus einer Vielzahl von Informationsquellen – deren Eigenschaft, wiederum selbst solche Wirklichkeitsmaschinen zu sein, da es Menschen sind oder von Menschen konstruierte Meßgeräte, man zunächst einmal außen vor läßt und sie später oft und gern ganz vergißt – werden Datenströme in die freie Wildbahn entlassen, welche es zu filtern, zu bündeln, zu kanalisieren und zu transportieren gilt (das machen Experten und Laien in Medien und im Internet), damit sie von vielerlei Rezipienten ausgewertet und eingeordnet werden können,was dann ebenfalls Experten und Laien in Medien und Internet machen. Hier aber wächst diesen Menschen eine besondere Kompetenz zu, etwa als Religionsstifter oder Staatsgründer, Zeitdenker oder Wissenschaftler, Journalisten oder Politiker und vieles mehr, aber ebenso als emotional nahe stehende Person.

    So rational gesehen sind die Probleme der ganzen Sache natürlich gut in den Termini eines Kommunikationsmodells abbildbar, welches das Konzept des Inhaltes einer Information oder des Zusammenhanges von solchen Inhalten innerhalb des Speichermediums (hier also eines Menschen mit seinen eher begrenzten Fähigkeiten, Widersprüche auszuhalten und Ungewißheiten zu tolerieren) gar nicht beachten muß (und will), sondern sich auf Themen wie Verarbeitung, Transport, Authentifizierung, Validierung, Optimierung und Fehlertoleranz stürzen kann und den Inhalt (aka eine beliebige Folge von bits) als unproblematisch abtut. Der gebildete Internet-Versteher, so wie er häufig uns über den Weg läuft, glaubt folglich, die digitale Welt gut zu kennen, wenn er in jeweils gängigen Termini den maschinellen Transport einer Unzahl Datenpakete über verschiedenste Knotenpunkte hinweg zwischen Sendern und Empfängern beschreiben kann. Dem etwas schlichteren Kollegen reicht es, daß er browser und email client bedienen kann und Meldungen der security suite liest, bevor er sie weg klickt, auch wenn er sie nicht versteht. Dem Deppen genügt, wenn er nicht mehr glaubt, er könne sich das Internet ausdrucken, seit er es mit seinem neuen Farblaser einmal erfolglos, aber ins Geld gehend ausprobiert hat.

    Das Universum jenseits dieses in meinen Augen mechanistischen Modells von Wirklichkeit bleibt dabei in der Regel außen vor oder der wilden Spekulation überlassen, wie zum Beispiel der, daß der Kölner Dom deutlich schneller und stabiler und billiger gebaut worden wäre, hätte man Planung und Ausführung dem Wirken einer Schwarmintelligenz statt Baumeistern und Steinmetzen anvertraut, da ja schließlich auch Termiten ziemlich geschickte Konstrukteure gewaltiger Bauten sind. Und es bleibt jene resignierte Haltung, daß Welt eben nie ganz zu verstehen, sondern lediglich vorläufig zu erklären sei, niemals vorherzusehen und höchstens in etwa zu prognostizieren, also das ‚Ich weiß, daß ich nichts weiß‘. Allerdings weiß ich, daß beim Bäcker nach 13 Uhr nicht ein leckeres Quarkbrötchen mehr zu bekommen sein wird.

    Doch ich bin überzeugt, daß Menschen die Welt verstehen wollen, so wie sie sich fortpflanzen und einander anlachen wollen. Vielleicht nicht jeder einzelne an jedem Tag, aber noch der am wenigsten ausgebildete Geist fragt nach dem Warum, ist er mit etwas Außerordentlichem konfrontiert. Die Sprache kennt die Frage nach diesem ‚Warum‘ ebenso wie die nach dem ‚Wie‘, wie sie das einfache Prinzip des Gegensatzes umfaßt, und darin liegt eine große Hoffnung, nämlich daß wer lernen soll, sich zu fragen, wie er immer noch mehr Geld machen könne, dabei automatisch auch lernt, zu fragen, warum bloß er immer noch mehr Geld machen solle, und ebenso, daß der, dem man klar zu machen versucht, was alles die Welt nicht zusammen halten könne, unwillkürlich weiter fragt, was es dann aber letztlich doch tue?

    Und da sind wir am Ende wieder bei der Autonomie des Menschen, egal nun ob es gamer sind oder internet surfer oder nur Leute, die lieber ihr Telefon in der Hand halten als die Hand ihrer Geliebten. Für mich besteht weniger wegen eines emanzipatorischen, aufklärerischen, bis an die fernsten Grenzen des Universum schweifenden und bis hinunter in die dunkelsten Tiefen des Geistes tauchenden Gehaltes von Information, in sie hinein gesponnen durch tapfere Kämpfer für das Gute und Richtige, eine Hoffnung darauf, daß der Anspruch auf Autonomie sich immer wieder gegen jeden Zwang zur schlechteren Einsicht durchsetzen wird, sondern weil sich dieser Anspruch aus jedem Verfälschten, aus dem noch so Gekürzten, dem geschickt Zensierten und amtlich Testierten heraus picken wird, was er braucht, um die Fratze trotz der Schönheits-OP zu erkennen, die Kralle trotz des samtenen Handschuhs und den Pferdefuß im lackierten Stiefel.

    Wenn Kinder in der Lage sind, Sprache zu lernen, ohne daß gut ausgebildete Logopäden sie ihnen beibringen, dann tun sie das auch, wenn die Sprache sich ihnen statt aus dem Mund liebevoller Eltern und neidischer Geschwister aus den Lautsprechern von Geräten nähert. Wenn sie in der Lage sind, sämtliche Dinge ihrer Umgebung in Klassen einzuteilen und mit Begriffen zu benennen und sie anschließend sinnvoll für ihr Spiel einzusetzen, obwohl die Dinge weder alle aus Platin und Edelholz gefertigt noch ihnen liebevoll geduldig vorgeführt wurden, dann können sie das womöglich auch dann, wenn man ihnen gewisse Dinge vorenthält und sie mit anderen abzuspeisen versucht. Das mag alles dauern und manchmal nicht danach aussehen, als klappte es jederzeit prima. Aber auf lange Sicht, so meine Überzeugung, setzt sich Verstehen gegen Verklären durch, die Ansprüche auf Autonomie gegen die Ansprüche der Automobilindustrie, und der Wunsch, die Welt solle sinnvoll sein, gegen den dummen Witz des buckelnden Strebers, Sinn könne nicht gemacht werden, sondern sich nur ergeben.

    So, ich habe fertig! Und Mist, jetzt ist es leider zu spät, noch Brötchen zu holen…

  24. Merkwürdig sind Deine Sätze, @Susanne. Wie kann man sie einordnen? Was ist das? Welcher „Gattung“ gehören diese Tiriaden an?
    Sie erinnern mich unmittelbar (also ohne damit werten zu wollen), an Qualtinger in einem seiner SW-Krimminalfilme aus den 60ern. Da sitzt er am Biertisch, mit einem Freund, um ihn herum Flaschen und Gläser und versucht zu verstehen. Da er nicht versteht, schiebt er die Flaschen und Gläser durcheinander und versucht, eine Ordnung herzustellen, einen Sinn, ein Ganzes. Zwar geht es in dem Film um einen Kriminalfall. aber dieses Suchen und Schieben hat was Allgemeingültiges, geht darüber hinaus.

    Bei Dir, @Susanne, verstehe ich unmittelbar immer nur „Brocken“. Das ist wie DJing: Aus einem Songfragment wird ein neues Fragment und daraus wieder ein Neues, das sich an nicht erwarteter Stelle anschliesst. Irgendwie alles kunstvoll. Verwirrend.

  25. @Gerhard: Zu verwirren ist sicherlich nicht meine Absicht. Wenn ich einen Ehrgeiz in mir verspüre, dann den nach sprachlicher Genauigkeit. Die, das ist allerdings immer als Einschränkung dabei mitzudenken, nie gewährleistet, daß sich die Worte dem Lesenden in der Weise erschließen, die ich mir wünsche.

    Deine Frage nach der ‚Gattung‘ ist nun wiederum mir schwer verständlich, einer Garrung würde ich Texte wie meinen obigen niemals einordnen wollen. In einem Blog wie Claudias ist ein Kommentargespräch für mich eine Mischung aus sachlicher, themenspezifischer Diskussion und sich daran anschließender, aber nicht immer notwendig ergebender Abschweifung ins freie Denken (oder wie immer sich nennen mag, was aus den Fingern in die Tasten strömt). Hinzu tritt ein Moment des Atmosphärischen.

    Mein Text war vor allem ein Versuch, das Gefühl einer Vergeblichkeit, das mir der aktuelle Komnmentarfaden zu hinterlassen schien, für mich aufzuheben – in der Hoffnung, solches möglicherweise auch für andere Leser zu schaffen.

    Dein Hinweis auf den Herrn Qualtinger gefällt mir, ich nutze meistens Tassen und Teller, Kaffee- und Teekannen, Bestecke, Brotkörbe, Marmeladengläser, Käseglocken und Butterfäßchen, da meiner Erfahrung nach Gäste in einem Restaurant oder einer Bar es nicht unbedingt lieben, wenn ihnen Gläser und Flaschen als Symbole tiefschürfender oder alberner Überlegungen entzogen werden. Vielleicht hassen sie es ja nur, in der Erscheinungen Flucht nach Sinn zu fischen, was ich hin und wieder – mit, wie wir hier wieder sehen, oft mehr Spaß an der Freude als durchschlagendem Erfolg – versuche.

  26. @Gerhard
    Susanne meint in etwa folgendes: „Es ist alles nicht so einfach aber letzlich könnte es sein, daß Du glaubst es verstanden zu haben.“ :D

  27. @Uwe: Sagt Sie das? Da muß ich nochmal nachgucken, bin aber nicht in Hoffnung, alles zu verstehen. Ihre Texte müssen gerieben und geknetet werden, bis sie sich dann „zeigen“.

    @Susanne: Qualtinger musste in dem Film nur seine eigenen Flaschen und Gläser schieben und richten, fremde waren nicht nötig. Sein Freund guckte dabei stumpf zu, aber war dabei sozusagen unerlässlich.
    Das Du Spasss an „leibhaften“ Formulierungen hast, ist Dir anzusehen. Gleichzeitig sind es aber auch Melodien, die ihren Gang nehmen und Dich quer-beet überall (und nirgends) hinführen. :-)

  28. Mit „Dich“ meine ich eher „mich“.

  29. Liebe Susanne, hab Dank für diese fulminante Rede, die versucht, etwas Hoffnung auf den Menschen zu setzen, der in den Ozeanen der Informationen und damit einher gehender Weltbilder und Spekulationen zu versinken droht!

    “ und darin liegt eine große Hoffnung, nämlich daß wer lernen soll, sich zu fragen, wie er immer noch mehr Geld machen könne, dabei automatisch auch lernt, zu fragen, warum bloß er immer noch mehr Geld machen solle, und ebenso, daß der, dem man klar zu machen versucht, was alles die Welt nicht zusammen halten könne, unwillkürlich weiter fragt, was es dann aber letztlich doch tue?“

    Es widerstrebt mir, deine Argumente zu zerpflücken, weil ich mir heftigst wünsche, dass du Recht haben mögest! :-)

    Deshalb lasse ich das jetzt einfach mal und verweise allenfalls noch auf einen Effekt der Internetkommunikation, der wohl nicht mehr verschwinden wird: Wir glauben den Informationen vieler Medien nicht mehr „einfach so“, es besteht also zumindest die Chance, sich Manipulationen (seien sie beabsichtigt oder unbewusst) zu entziehen, indem man sich nach Sichtung anderer Quellen „selbst ein Bild macht“, was denn nun der Wahrheit am nächsten komme.

    Putin allein und verlassen am Esstisch beim „Gipfel“ – gezeigt in den TV-Nachrichten. Nächster Netz-Check: er war nicht alleine, die Brasilianische Präsidentin war seine Tischdame, die jedoch vom Kellner verdeckt wurde. Sic!

    Die Arbeit ruft…

  30. @Claudia: Das sollten weniger Argumente sein als Honig für die Seele, und Blütenhonig gibt es halt nur, wurden nicht alle Blüten vorher weg gepflückt…

    Einen angenehmen Arbeitstag Dir!

  31. „… Mäandern durch alle Angebote ..“ – Erinnert mich an die Kritik am „Konsumterror“ der 68er, der schliesslich in Kaufhaus-Brandstiftung endete („Burn, warehouse, burn“ – auch noch „Denglisch“ …). Das ist etwa so, wie wenn ich täglich in den Supermarkt renne und mich dann beschwere, dass ich mich zwischen den Regalen verirre. Abstinenz ist schon das falsche Wort, denn das kennzeichnet den Süchtigen schon. Der Nicht-Süchtige braucht noch nicht mal Abstinenz, um der Sucht nicht zu verfallen.

  32. @Feliks: Und? Hat dir dieses Statement jetzt gut getan?

    Bisschen rumrotzen, sich über die hier Schreibenden erheben, mal eben ’nen Brandstiftervergleich in die Runde werfen – aber auf jeden Fall einen Link absetzen.

    Glückwunsch, das hat die Kommentarkultur wahrlich weiter gebracht – wir brauchen ja dringend mehr Ignoranz und Mut zur Unfreundlichkeit!