In Resonanz auf meinen „Netzfrust“ und die angedachten Strategien, dem zu entgehen, schrieb Markus in den Kommentaren:
„Mir selbst hat das Netz die Aufmerksamkeit versaut. Ich kann nicht mehr lesen. Das Mäandern durch alle Angebote auch und gerade sozialer Netzwerke und Möglichkeiten hat mich zu einem Psychowrack gemacht, das sich nicht mehr konzentrieren und bei einer Sache bleiben kann. Insofern wäre eine Diät auch für mich hilfreich – mit dem Ziel, nur eine Sache auf einmal zu tun. Wenn ich lese, den PC ausgeschaltet zu lassen. Und wenn er an ist, einem Plan zu folgen, einer to-do-Liste, die man abarbeitet, um den Rechner danach wieder auszuschalten und vielleicht so wieder ein wenig Ordnung in den Umgang mit all den Angeboten und Inhalten zu schaffen.“
Das ist eine sehr drastische Beschreibung des Zustands, in dem ich mich auch oft vorfinde. Und ich habe festgestellt, dass das sogar Angst macht. Eine unbestimmte, hintergründige, kaum fassbare Angst ohne konkreten Grund, wie ich sie einst als letzte, nurmehr „feingeistige“ Folge eines veritablen Katers kannte. Schwierig, sie wirklich zu Bewusstsein kommen zu lassen. Man glaubt lange, es läge allein an den Inhalten, die beim Surfen durch unzählige Medien zwangsläufig erfasst werden: soviel Elend, Hass, Lügen, Ignoranz, Kriegstreiberei, total verrückte Weltsichten, ständige Crash-Prophezeiungen – welche Psyche soll das aushalten?
Eine falsche Sicht! Menschen halten eine ganze Menge aus, man muss nur mal in echte Krisengebiete schauen und das Befinden der Betroffenen mit unserem gemütlichen „Medienstress“ vegleichen. Da liegen Welten dazwischen, das meiste Üble und Böse da draußen betrifft uns (noch?) nicht direkt, bei weitem nicht. Dass aber bloß mittelbar Gewusstes auch nur ansatzweise an dieses vielfältige Leid heran reicht, halte ich für unwahrscheinlich. So heftig „mitfühlend“ sind wir in der Regel nicht, auch wenn es verlockend ist, so von sich zu denken.
Aufmerksamkeit: nicht unendlich teilbar
Ich vermute eher, der Teppich mieser, aber kaum greifbarer Gefühle und Befindlichkeiten, der durch exzessives „herum Surfen“ entsteht, ist ein Zeichen, dass wir das menschliche Maß ignorieren. Die Ressource „Aufmerksamkeit“ ist ein wertvolles Gut, von der wir fälschlicherweise annehmen, sie sei unbegrenzt vorhanden. Dem ist aber nicht so: je mehr wir sie verteilen, desto größer wird die Verwirrung und das Gefühl der Bodenlosigkeit und Unsicherheit. Es ist die Angst, die Orientierung zu verlieren, denn normalerweise haben wir ja einen Fixpunkt, an dem entlang wir agieren: eine Not, die gewendet werden muss, eine Pflicht, der wir nachkommen wollen, einen Wunsch, nach dessen Erfüllung wir streben.
Diese Normalität wird verlassen, sobald man sich dem ziellosen Surfen hingibt: jeglicher Fixpunkt ist schnell verschwunden, man folgt einfach spontanen Impulsen, lässt die Aufmerksamkeit von beliebigen Auslösern und Aufregern einfangen, wobei kein Ziel länger fesselt, sondern immer gleich der nächste Reiz zum weiter klicken verführt. Rational reden wir uns das als „uns informieren“ schön, nennen es gar Pause, Muße, Ausgleich für zielgerichtetes Tun (=Arbeit!). Dabei ist es all das gerade nicht, sondern ganz im Gegenteil ein „freiwilliger Stress“, dessen suchthafte Aspekte man z.B. bemerken kann, wenn mal nicht schnell genug „Nachschub“ gefunden wird. Da das Web zu jeder Zeit beliebig viel Nachschub von allem und jedem bietet, deutet ein vermeintlicher Mangel an ausreichend berührenden (!) Inhalten darauf hin, dass wir unsere seelischen Kapazitäten schlicht verbraucht haben, bzw. jetzt eigentlich stärkeren Tobak bräuchten (den Bedarf füllen Anbieter wie heftig.de oder für ganz Abgebrühte Seiten wie das berüchtigte Rotten).
Medien-Diät
Seit gestern meide ich zielloses Surfen, suche auch keine Aggregatoren auf, um „mich zu informieren“, sondern achte darauf, mich mit Ziel und Sinn durch die Online-Welt zu bewegen. Es ist nicht einfach, denn ich verspüre immer wieder den Impuls, einfach mal auf Rivva, Net-News-Global oder Google News zu klicken (sic!).
Aber NEIN, ich mache jetzt Ernst mit der Medien-Diät! Gestern war ich im Garten, was immer ein gutes Anti-Dot zum „virtuellen Leben“ ist, und danach hab‘ ich über die Garten-Erlebnisse einen Blogbeitrag verfasst. Auch weiterhin werde ich mir gestatten, Blogartikel zu lesen, die sich auf meine aktuellen Postings beziehen. So fand ich gestern einen Artikel auf „Zurück in Berlin“ mit reizvoll eingebundenen Links zu weiteren bemerkenswerten Postings. Nach drei weiteren Texten (denen aus Absatz 4, heftig!) hab ich mich dann erinnert und Schluss gemacht.
Ja, einfach ist es nicht.
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32 Kommentare zu „Zersplitterte Aufmerksamkeit, hektisches Surfen – wir ignorieren das menschliche Maß“.