Gestern lief ein Film im Ersten, der qualitativ alles überragte, was sonst so an TV-Produktionen zur Primetime zu sehen ist. Rein zufällig war ich beim „Altersglühen“ hängen geblieben: ein Speed-Dating mit sieben Frauen und sechs Männern über 70, gespielt von bekannten Schauspielern, die ihre Rollen frei improvisierten (das hab‘ ich allerdings erst danach gelesen). Nicht mal Senta Berger, die ich ansonsten kaum ertrage, konnte mich abschrecken, da sie eine „passend unsympathische“ Geschäftsfrau spielte, die aus ihrer Überheblichkeit einfach nicht heraus findet.
Sehr unterschiedliche Persönlichkeiten treffen hier aufeinander, alle auf der Suche nach einem Partner, nach Nähe, Sex, Zärtlichkeit, Ergänzung. Ihre jeweiligen „Dates“ dauern sieben Minuten, ausgeschenkt wird nur Wasser, was einige bald sichtlich stresst. Die Problematik, sich im vorgerückten Alter als extrem individualisierte Person noch auf ganz andere Menschen einzulassen, wird in diesem wunderbaren Film beeindruckend deutlich. Die Szenen wurden mit 19 Kameras an allen Tischen gleichzeitig gedreht – ganz ohne Drehbuch!
Hier ein paar Zitate aus aktuellen Rezensionen:
„Die ARD wagt mit dem Improvisationsfilm „Altersglühen“ ein großartiges und umstürzendes Experiment. Es rückt alles, was wir sonst geboten bekommen, in einen neuen Blickwinkel. …… Wie von verdorbenen Sehgewohnheiten befreit, sieht man plötzlich, wie mutig, bezaubernd und berührend es ist, dass dreizehn etablierte Stars mit der Verletzlichkeit ihrer Figuren auch die eigene Verletzlichkeit ausstellen.“ –
„Die trauen sich etwas beim NDR und WDR. Das ist ein Satz, den man gern häufiger lesen würde, aber jetzt haben sie es wirklich getan: Für „Altersglühen – Speed Dating für Senioren“ haben die Fernsehmacher eine Art Nationalmannschaft von lebenserfahrenen Schauspielern zusammengeholt. Darunter sind so große Namen wie Angela Winkler, Mario Adorf, Senta Berger, Michael Gwisdek, Hildegard Schmahl, Matthias Habich und Brigitte Janner.“
„In keinem Moment wirkt das grell oder voyeuristisch, geschenkt wird den Alten aber auch nichts. In diesem Punkt ist dieser tragikomische Rentner-Reigen so reell wie realistisch: Wer Nähe will, muss aufmachen.“
„Verglichen mit der üblichen Primetime-Kost im deutschen Fernsehen ist Jan Georg Schüttes Improvisationsfilm ein Genuss, an dem man sich verschlucken kann: So peinlich, so unangenehm wie das wahre Leben. Aber auch so überraschend, komisch und schön. Warum nur wagen die Programmmacher nicht öfter solche Experimente?“
Ich fand das Gezeigte nicht „peinlich“, sondern sehr berührend. Besonders angenehm: aufgrund ihres hohen Alters verschwenden die Senioren keine Zeit damit, sich gegenseitig ihre Errungenschaften im (ehemaligen) Beruf vorzuführen. Nicht Konkurrenz und Wettbewerb prägen die Gespräche, sondern die Problematik, sich und die eigenen Wünsche zu zeigen – in dieser seltsamen Situation, in diesem hohen Alter und gegenüber einer sehr „anderen“ Persönlichkeit, die mal mehr, mal weniger sympathisch ist. Ganz großartig gespielt bzw. improvisiert: verrückt, weise, schüchtern, mutig, erstaunt reagieren die Menschen aufeinander und man merkt, dass sie es nicht mehr nötig haben, einander etwas vorzumachen. Dafür ist einfach keine Zeit, nicht in diesen sieben Minuten und nicht im kurzen Rest ihres Lebens.
Nachzusehen in der Mediathek.
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9 Kommentare zu „TV-Überraschung: Altersglühen – Speed-Dating 70plus, frei improvisiert“.