Claudia am 13. November 2014 —

TV-Überraschung: Altersglühen – Speed-Dating 70plus, frei improvisiert

Gestern lief ein Film im Ersten, der qualitativ alles überragte, was sonst so an TV-Produktionen zur Primetime zu sehen ist. Rein zufällig war ich beim „Altersglühen“ hängen geblieben: ein Speed-Dating mit sieben Frauen und sechs Männern über 70, gespielt von bekannten Schauspielern, die ihre Rollen frei improvisierten (das hab‘ ich allerdings erst danach gelesen). Nicht mal Senta Berger, die ich ansonsten kaum ertrage, konnte mich abschrecken, da sie eine „passend unsympathische“ Geschäftsfrau spielte, die aus ihrer Überheblichkeit einfach nicht heraus findet.

Sehr unterschiedliche Persönlichkeiten treffen hier aufeinander, alle auf der Suche nach einem Partner, nach Nähe, Sex, Zärtlichkeit, Ergänzung. Ihre jeweiligen „Dates“ dauern sieben Minuten, ausgeschenkt wird nur Wasser, was einige bald sichtlich stresst. Die Problematik, sich im vorgerückten Alter als extrem individualisierte Person noch auf ganz andere Menschen einzulassen, wird in diesem wunderbaren Film beeindruckend deutlich. Die Szenen wurden mit 19 Kameras an allen Tischen gleichzeitig gedreht – ganz ohne Drehbuch!

Hier ein paar Zitate aus aktuellen Rezensionen:

Süddeutsche Zeitung:

„Die ARD wagt mit dem Improvisationsfilm „Altersglühen“ ein großartiges und umstürzendes Experiment. Es rückt alles, was wir sonst geboten bekommen, in einen neuen Blickwinkel. …… Wie von verdorbenen Sehgewohnheiten befreit, sieht man plötzlich, wie mutig, bezaubernd und berührend es ist, dass dreizehn etablierte Stars mit der Verletzlichkeit ihrer Figuren auch die eigene Verletzlichkeit ausstellen.“ –

Hamburger Abendblatt:

„Die trauen sich etwas beim NDR und WDR. Das ist ein Satz, den man gern häufiger lesen würde, aber jetzt haben sie es wirklich getan: Für „Altersglühen – Speed Dating für Senioren“ haben die Fernsehmacher eine Art Nationalmannschaft von lebenserfahrenen Schauspielern zusammengeholt. Darunter sind so große Namen wie Angela Winkler, Mario Adorf, Senta Berger, Michael Gwisdek, Hildegard Schmahl, Matthias Habich und Brigitte Janner.“

SPIEGEL ONLINE:

„In keinem Moment wirkt das grell oder voyeuristisch, geschenkt wird den Alten aber auch nichts. In diesem Punkt ist dieser tragikomische Rentner-Reigen so reell wie realistisch: Wer Nähe will, muss aufmachen.“

Deutschlandfunk:

„Verglichen mit der üblichen Primetime-Kost im deutschen Fernsehen ist Jan Georg Schüttes Improvisationsfilm ein Genuss, an dem man sich verschlucken kann: So peinlich, so unangenehm wie das wahre Leben. Aber auch so überraschend, komisch und schön. Warum nur wagen die Programmmacher nicht öfter solche Experimente?“

Ich fand das Gezeigte nicht „peinlich“, sondern sehr berührend. Besonders angenehm: aufgrund ihres hohen Alters verschwenden die Senioren keine Zeit damit, sich gegenseitig ihre Errungenschaften im (ehemaligen) Beruf vorzuführen. Nicht Konkurrenz und Wettbewerb prägen die Gespräche, sondern die Problematik, sich und die eigenen Wünsche zu zeigen – in dieser seltsamen Situation, in diesem hohen Alter und gegenüber einer sehr „anderen“ Persönlichkeit, die mal mehr, mal weniger sympathisch ist. Ganz großartig gespielt bzw. improvisiert: verrückt, weise, schüchtern, mutig, erstaunt reagieren die Menschen aufeinander und man merkt, dass sie es nicht mehr nötig haben, einander etwas vorzumachen. Dafür ist einfach keine Zeit, nicht in diesen sieben Minuten und nicht im kurzen Rest ihres Lebens.

Nachzusehen in der Mediathek.

Und hier die Tweets dazu.

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Diskussion

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9 Kommentare zu „TV-Überraschung: Altersglühen – Speed-Dating 70plus, frei improvisiert“.

  1. Ok, ich schaue mir das mal an.
    Aber wieso muß man sich nicht mehr etwas vormachen?
    Wenn ich mich – etwa – zeige, wie ich bin: Schlampig; manchmal depressiv, manchmal fröhlich; eigensüchtig, streitsüchtig, langweilig…ja, wer will denn da anbeissen?

    „Dafür ist einfach keine Zeit“ – das glaube ich gilt nie!

  2. Wären die alle 20 bis 30 Jahre jünger, würden sie gewiss nicht so klar und ehrlich zu dem stehen, was sie sind und was sie suchen. Bin gespannt, was du sagst, wenn du den Film gesehen hast.

    Der Film zeigt auch, was dem ÖRTV möglich ist, wenn es denn will… und vor diesem Hintergrund wirkt noch 1000mal schlimmer, dass sie die Haushaltsabgabe üblicherweise für platten Unterhaltungsschrott ohne jeden Tiefgang ausgeben – weil man dem Publikum mehr/anderes angeblich nicht ZUMUTEN kann. Wie sie ihr Publikum doch verachten, wenn sie so denken!

    Gestern war der Film Quotensieger zur Primetime!

  3. Der Film war nett unterhaltend – anfänglich langweilte ich mich etwas, aber im Nachhinein klang vieles nach, was die Personen über Partnerschaft und Alleinsein sagten und was das konkret bedeutet.
    Mir gefiel Martha und auch Edith. Mir wäre es schwer gefallen, mich nach dem Kennenlernen von Martha noch auf andere Frauen konzentrieren zu können. Das fiel mir deutlich auf. Aber Edith hatte so etwas Sanftes, Mütterliches, Leichtes und hatte auch Humor – das hätte mir gut gefallen und die hätte ich so versäumt.

    Es wurde vieles genannt, was fehlt, wenn man keinen Partner hat. Schlicht gesagt, kann man auch verkommen, ganz alleine! Jemand an der Seite kann das „verhindern“, da kann man sich nicht einfach gehen lassen, so wie wenn man jahrelang, jahrzehntelang alleine vor sich hinhaust.
    Der Mensch braucht Austausch, auch das Sichberühren – körperlich und seelisch. Ohne das „fehlt etwas“. Dies wurde auch oft so gesagt.

  4. Mich hat es gar nicht gelangweilt, allerdings landete ich erst nach der Laubenpieper-Szene am Anfang im Film, als alle gerade im Saal ankamen.

    Jetzt mit etwas mehr Distanz sehe ich, dass mich vor allem begeistert hat, etwas zu sehen, dass dem richtigen Leben sehr nahe ist – und DENNOCH nicht platt, nicht deprimierend, sondern eher positiv: alte Menschen trauen sich noch was, öffnen sich, teilen sich ehrlich mit, veranstalten keinen Wettbewerb darüber, wer am meisten angesammelt, erobert, erfahren hat oder besser Bescheid weiß über die Welt. Wie überaus angenem, geradezu erbaulich!

    Dass in den späten Jahren bei einigen das Ideal der ewigen Monogamie bröckelte, fand ich auch bemerkenswert. Die beiden Laubenpieper wären ja im Grunde mit einer gemeinsamen Frau am glücklichsten „bedient“ gewesen – und dann war da diese Dame, die ganz offen einen Liebhaber suchte, offenbar mit Wissen ihres allzu „häuslichen“ Mannes, der von der Couch nicht mehr hochkommt. Sie war ein Beispiel dafür, dass man auch mit Partner an der Seite das Glück nicht gepachtet hat.

    Dass die Frage „finden Sie mich attraktiv?“ am Ende mehrfach gestellt wurde, empfand ich dagegen als etwas unrealistisch.

    Insgesamt ein schöner Film, ob das allerdings als Serie trägt, bezweifle ich.

  5. Noch ein Lesetipp, weil hier grad nix Neues kommt:

    Heimweh in der Fernweh

    da hab ich in Blogpost-Länge kommentiert.

  6. Ich will mich im Grunde in nichts Neues einlesen, sondern nochmal den Film reflektieren.
    Senta Berger spielte ja eine Frau, die was vorweisen konnte. Sie setzte das auch ein und stellte so manchen Mann bloß: Aha, das suchen Sie – eine Putzfrau und Versorgerin!
    Martha kam nicht platt mit dem „Liebhaber“ raus. Sie sprach vom „Berührtwerden“. Ganz bewusst diese Formel! Es ging ihr nicht um Triebabfuhr, sondern um etwas Seelisches.
    POSITIV waren diese Menschen schon. Nicht umsonst Schauspieler, mit ihren leuchtenden Augen, ihrer ohnehin aktiven Lebensweise.
    Da war kein depressiver Alter, allesamt prachtvolle Exemplare.
    Ich würde mir hier keine Serie wünschen. Da ich ohnehin kein TV gucke, ginge das ohnehin an mir vorbei.

    Gut tat an diesem Film, daß das Leben eben nicht schon zuende ist, sondern noch viel Raum da ist oder sein kann. Bei einigen der Akteure könnte ich mir sogar jenseits der 90 (wenn sie gesund bleiben) vorstellen, noch voll im Leben zu sein: Martha etwa. Und wieso auch nicht.
    Es kommen noch mehr Falten hinzu, mehr als man zählen kann. Man wird gebückt oder hat ein Leiden, aber wieso muß das Vitale und Liebenswürdige,Interessante und Ansprechende denn damit unbedingt weichen?

  7. „Man wird gebückt oder hat ein Leiden, aber wieso muß das Vitale und Liebenswürdige,Interessante und Ansprechende denn damit unbedingt weichen?“

    Ich denke, Gerhard, „altern“ hat immer etwas mit dem näher kommenden Tod, dem Abschied zu tun. Vitalität, Interessantes ist da ein sehr fragiles Gebilde und kann innerhalb von Sekunden aus der gemeinsamen Lebensplanung verschwinden. Irgendwo war doch noch vor kurzem über den franz. Film ein Austausch, wo „sie“ einen Schlaganfall erlitt, der letztlich dahin führte, dass er sie von ihrem Leiden „erlöste“.
    Ein sehr anderes Bild vom Alter. Und – alles ist denkbar/möglich.

    Irgendwie, fand ich alle hilflos. Und auch, dass keiner dem anderen wirklich was geben konnte. Und die Frage wäre für mich, was gibt es für Mögichkeiten, eines Tages nicht selbst auf einem dieser Filmstühle sitzen zu müssen?

  8. Also ich hätte wohl nichts gegen eine solche Veranstaltung, wenn ich denn suchen würde. :-) 7 Minuten hält man doch mit jeder Person gut aus.

    Schade, dass ich mir die Namen nicht gemerkt habe, jedenfalls hat der „Laubenpiper“ auf die Figur, die Senta Berger spielte, nicht ärgerlich reagiert. Was ich bemerkenswert an allen Dialogen fand: Sie warfen sich gegenseitig ihr SoSein nicht vor, höchstens mal ein Blick gen Himmel, eine Flucht auf die Toilette…

    „Liebhaber“ bedeutet für mich nicht „nur Sex“ – nur zur Info. :-)

    Dass keiner dem Anderen wirklich etwas hätte geben können, war nicht mein Eindruck. Manche waren doch ziemlich begeistert voneinander, haben „angekreuzt“ und in den letzten Szenen sah man auch, wie es für einige weiter ging.

    Typisch für unsere Zeit: dass man neue Menschen nicht mehr beiläufig kennen lernt, sondern explizit unter Fremden suchen muss. Was mit zunehmendem Alter gewiss immer schwieriger wird.

  9. @Claudia, Ich weiß nicht, wie ich mich verhalten würde, wäre ich wieder alleine. Suchen und Ausschauhalten wäre reichlich „time-and energy-absorbing“, sicherlich nicht mein Fall. Also bliebe nur die Wahl, alleine sein Leben zu fristen oder eine Single-Börse aufzusuchen.
    Wie gesagt, der Zufall käme sicherlich nicht zu Hilfe.