Da schreibt mir ein alter Bekannter auf die Frage, wie es ihm geht: „Es kommt jetzt das Schröckensgespinst „Alter“ mit größeren Schritten angelaufen, lässt sich nicht mehr
leugnen. Aber davon abgesehen ist alles schön.“
Eigentlich ein ganz normaler Satz – und gerade deshalb stutze ich und bin wieder mal ein wenig erschüttert, wie sehr das Alter doch in Verruf ist. In diesen jugendwahnsinnigen Zeiten erscheint es als absoluter GAU, als finales Stranden in einer Art Hölle, an die man lieber gar nicht erst denkt, vielleicht in der irrationalen Hoffnung, es werde einen nicht treffen. Ähnlich wie Kinder, die die Hand vor die Augen halten und meinen, dann nicht gesehen zu werden.
Na klar, in einer Welt, in der die äußere Erscheinung in Gestalt glatter Jugendlichkeit mehr und mehr zum obersten Wert wird, in der Gesundheit und Fitness als Bringschuld gelten und jegliche Zeichen körperlichen Verfalls als Versagen angesehen werden, wundert es nicht, wenn viele von der schieren Schreckensstarre ergriffen werden, sobald die ersten weißen Haare sich zeigen.
Aber muss man sich dem unterwerfen? Verengt es nicht den Blick ganz gewaltig, immer nur auf das zu schauen, was entschwindet, anstatt auf das, was zugewonnen wird? Ist es nicht sogar so, dass dieser Zugewinn verunmöglicht wird, wenn allzu sehr darum gekämpft wird, möglichst lange mit den Jungen auf ihren Gebieten mithalten zu können? Immer mehr legen sich unters Messer, um sich straffen zu lassen: Gesicht, Bauch, Beine, Po, da muss das Fett weg und die Falten – was aber ist mit dem Herzen, mit dem Geist?
Gilt doch nichts, denken jetzt bestimmt einige. Es ist aber gerade das Wesen und die Freiheit im zunehmenden Alter, dass es immer weniger darauf ankommt, wie die Allgemeinheit über etwas denkt. Das krampfhafte Bemühen, etwas zu gelten, jemand Besonderer zu sein, den eigenen Platz zu finden und von dort aus weitere Eroberungen zu machen, ist der typische Stress der Jugend. Voller Ehrgeiz streben sie nach Erfolg, Macht, Einfluss, Besitz – oder konstruieren sich als Rebellen gegen diese „etablierten Werte“, was nicht weniger anstrengend ist.
Wie schön, wenn man in diesem Laufrad nicht mehr strampeln muss! Nicht, dass man sich in eine Einsiedlerhütte zurück zieht, bewahre – aber das tägliche Streben wird doch bedeutend spielerischer, wenn man schon einiges hinter sich hat. Humor, Gelassenheit, Freiraum für spontanes Handeln, wachsende Liebe zu allem Lebendigen befreit von den Scheuklappen, die den Blick stets auf die Erreichung irgendwelcher Ziele konzentrieren, die meist in der Zukunft liegen. Eine Zukunft, deren Eintritt man als Jugendwahnsinniger eigentlich nur fürchten kann – was für eine Ver-rücktheit!
Manchmal denke ich, diejenigen Älteren, denen die Angst vor dem Alter so sehr im Nacken sitzt, haben vielleicht gar nicht gelebt. Jedenfalls nicht ihr eigenes Leben, sondern immer nur das, was vom Umfeld erwartet wird. Dann tritt natürlich mit den sichtbaren Alterserscheinungen die „Torschlusspanik“ ein: auf einmal wird klar, dass man Leben nicht auf „später“ verschieben kann, denn irgendwann ist es ja tatsächlich ‚rum!
Die beste Altersvorsorge ist deshalb, das Leben hier und jetzt in vollen Zügen zu genießen, womit ich jetzt keine Wellness-Aktivitäten meine, sondern das Ausleben des eigenen Wesens in seiner Ganzheit. Das kann auch mal Leiden bedeuten, aber es sollte das eigene Leid sein, nicht eines, das man meint, ertragen zu müssen, weil der Mut fehlt, der eigenen inneren Stimme zu folgen.
Altern kann dann sogar ziemlich spannend sein!
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16 Kommentare zu „Das Alter – ein Schröckensgespinst?“.