Peter bloggte kürzlich zu einem wiederkehrenden Problem:
Die Angewohnheit, „man“, „wir“ oder „uns“ – synonym für „(m)ich“ – zu benutzen, finde ich bei einigen Beschreibungen unmöglich. Mit „synonym benutzen“ meine ich: „man“, „wir“, bzw. „uns“ versteckt sich hinter der Allgemeinheit und distanziert sich (sprachlich) von mir selbst….
… „Ich“ zu benutzen macht mich verletzlicher, lässt weniger Platz zum Mogeln. Ich bin damit an mir und meiner Wahrheit dran – ich lasse Menschen näher an mich heran. Und wer ist überhaupt „wir“ in manchen Formulierungen, Beiträgen, Artikeln? Wenn ich solches lese, fühle ich mich meist nicht angesprochen, warum auch?
Da mir der Kommentar dazu länger geraten ist als Peters Blogpost, soll er auch hier ins Diary-Archiv eingehen – wobei ich „dort draußen“ die Beispiele nicht alle verlinkt habe, hier aber schon:
Als Vielschreiberin hab ich mir darüber schon oft Gedanken gemacht und bin der Ansicht, dass es für alle Schreibweisen richtige und passende Anwendungen gibt. Wenn ich tatsächlich NUR von mir spreche, dann ist es auch richtig, ich zu sagen. Spreche ich aber von einer Allgemeinheit bzw. einer Mehrheit, dann passt „man“ und „wir“ durchaus – und zwar unabhängig davon, ob ich mich selbst einschließe oder nicht (!).
Hab grade mal mein Blogarchiv nach Beispielen durchforstet:
„Demokratie: Wie kann man mehr Mitbestimmung der Bürger organisieren?“
Hier ist wohl unstrittig, dass ich das alleine nicht kann. Derlei Beispiele machen ganz allgemein die Mehrheit der „Man“- und „Wir“-Verwendungen aus – völlig korrekt.
Im Einzelfall kann man (nicht nur ich), das jeweilige „wir“ jedoch durchaus kritisch hinterfragen:
„Talkshows: die Arroganz der Großverdiener – oder: Wer ist WIR bei Anne Will?“
nämlich dann, wenn es nicht als Bezug auf eine Allgemeinheit, sondern zu Zwecken der Ausgrenzung (z.B. der Nichtwähler/Falschwähler) genutzt wird.
Wie steht es aber mit:
„Klimagipfel: WIR können, wenn wir wollen“ – ?
Der Beitrag handelt von vielen Möglichkeiten, Energie zu sparen und CO²-Ausstoß zu vermeiden. Erst ganz am Ende gibt es einen Satz mit „ich“, bezogen auf den Versuch, die Raumtemperatur bei 19 Grad zu halten.
Das WIR in einer solchen Rede will Misstände / Fehlverhalten anprangern, ohne dass ich mich von den Sünden ausnehme. Eine ziemlich gängige Version, die durchaus sinnvoll ist. Würde man (!) hier „beim ICH bleiben“, wäre es ein gänzlich anderer Artikel!
Die Alternative zu diesem WIR/MAN würde zwangsläufig zur Abgrenzung/Spaltung in Gut und Böse, zur Anklageschrift gegen konkrete Gruppen (seien es „die Herrschenden“ oder die „besinnungslos Konsumierenden“) – verbunden mit der Selbstdarstellung, wie gut ich es doch vergleichsweise mache – oder eben mit der Selbstbezichtigung: wie wenig ich es schaffe, das Richtige zu tun.
Ich-Texte neigen ganz oft dazu, jammernd/selbstanklagend oder selbstbeweihräuchernd zu werden – wer ein „Aufhebens um die eigene Person“ nicht so schätzt, nutzt gern „man“ um das zu vermeiden.
Der Vermeidung allzu krassen Selbstlobs dient z.B. so eine Headline:
„Wie man 13 Blogs kommentiert ohne zu langweilen…“
…und die anderen 39 dann doch nicht mehr schafft!
Ein weiterer Spezialfall:
„6 Fragen, die man nur Google fragt“
es folgen dann „Ich-Fragen“ (z.B. Wie vertraue ich meinem Mann ?), die niemand einem menschlichen Gegenüber stellen würde, die aber als Suchphrase bei Google eingegeben wurden.
– – –
Sehr interessant in diesem Kontext empfand ich seit dem Mauerfall das Ost-West-Gefälle!
Während Wessis zur Kritik des MAN neigen, wie Du sie hier formulierst, und geradezu anklagend darauf verweisen, dass man sich hinter dem MAN und WIR nur verstecken wolle, verwendeten Ossis (die Älteren bis heute) massenweise und ungebrochen das MAN in Sätzen, in denen es definitiv und erkennbar einzig und alleine um persönliche autobiografische Fakten geht.
Das liegt vermutlich an der „Erziehung zum Kollektiv“, aus meiner Sicht aber vor allem daran, dass es im Westen eine „Therapiegeschichte“ gibt: Psychologie, Gruppentherapie, Selbsterfahrungsworkshops etc. – das alles fand im Osten nicht statt, wurde im Westen jedoch exzessiv gelebt (WG-Anzeigen: nur Therapie-Erfahrene!).
Die Verdammung des „man“ rührt von daher und hat auch partielle Berechtigung, führt aber andrerseits in einen selbstbezüglichen Individualismus und Narzismus, der Gesellschaft und Gemeinschaft ausblendet und dazu führen kann, dass „man“ meint, an allem immer nur selbst schuld zu sein – sehr passend in Zeiten des Neoliberalismus.
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9 Kommentare zu „Wir, ich, man – oder wie?“.