Doch, ich kann einer Fliege durchaus was zu Leide tun, aber ich scheue davor zurück, andere Lebewesen „einfach so“ umzubringen. Die Stechmücken im Sommer wollen an mein Blut: wenns klappt, bin ich mit einem Handschlag schneller und die Schnake ist platt. Auch all die Schnecken, die den Salat im Garten wegfressen, trage ich mittlerweile nicht mehr jedes Mal in den Wald, sondern trete auch einfach mal drauf – allerdings mit einem unguten Gefühl der Schuld.
Zuhause sind es andere Mitbewohner, die mich zweifeln lassen. Sie fallen kaum auf und nur ab und zu flattert mir so eine Küchenmotte entgegen. Es ist nicht schwer, sie zwischen den Händen tot zu klatschen, eine gewisse Treffsicherheit vorausgesetzt.
Hier eine vergrößerte Ansicht der rund einen Zentimeter langen Dörrobstmotten bzw. Plodia interpunctella:
Sie gelangen in die Küche, indem sie ihre Eier in Reis, Mais, Müsli, Mehl, auch Teigwaren, Gebäck, Gewürzen, Nüssen, Kakao, Trockenobst, Suppenbeuteln, Schokolade und Getreide ablegen. Man kauft sie also gleich mit und bemerkt sie erst, wenn die Larven geschlüpft sind und die fertigen Motten das Weite suchen. Anfällig sind insbesondere Lebensmittel, die man vielleicht mal für ein bestimmtes Gericht gekauft, aber nicht aufgebraucht hat. Sobald ich vermehrt Motten bemerke, kontrolliere ich alles durch und werfe angebrochene Packungen weg.
Aber: diese eine, die da fliegt…
Vielleicht liegt es an dem relativ langsamen Geflatter dieser Geschöpfe, das mich jedes Mal zögern lässt, wenn mir eine fliegend begegnet: Diese Motte hat ja auch nur ein Leben, das sie vermutlich gerne lebt. Und: tut sie mir ein Leid? Bedroht sie mich? Nein, nicht wirklich. Kann sein, dass ich mal wieder eine angebrochene Packung entsorgen muss und mal so insgesamt durch die Küchenschränke schauen – aber deshalb ihr Leben jetzt beenden?
Manchmal schlag ich auch ganz schnell zu – vielleicht, weil ich an dem Tag schon drei Exemplare gesichtet habe. Das ist dann auch ok, aber wenn ich sie beim ersten Versuch verfehle, darf sie in der Regel doch entkommen, ich versuche es kein zweites Mal.
Der Moment der Schlaghemmung hat etwas Philosophisches: Die Motte und ich – beide sind wir Lebewesen, die ihr Leben nicht selbst gemacht, sondern geschenkt bekommen haben. Und wir haben größtes Interesse daran, nicht zu sterben. Je länger ich bei diesem Gedanken verweile, desto unwahrscheinlicher wird es, dass ich noch zuschlage.
Alle, die Ordnung und Sauberkeit als Wert ziemlich weit oben ansiedeln, werden das vermutlich verrückt finden. Aber es ist, wie es ist – und die Momente der Solidarität mit einer Motte find ich gar nicht so übel.
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7 Kommentare zu „9 von 10 töte ich nicht“.