Eine Website zu gestalten ist eigentlich kein Problem, wenn man die dafür notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten (und ein paar Jahre Erfahrung) voraus setzt. Kurze Ladezeiten, eine ansprechende Optik, der schnelle Überblick über die Inhalte – mehr will der Surfer erst mal nicht. Ist das irgendwie schwierig?
Webdesign hat mir von anfang an Spaß gemacht, um so mehr, da ich zu einem Zeitpunkt eingestiegen bin, als bei weitem noch nicht ausgemacht war, was aus dem Web einmal werden würde. Ich zögerte nicht, es zum Erwerbsberuf werden zu lassen, als mich auf einmal Leute fragten, ob ich auch „im auftrag“ arbeiten würde: aber sicher doch! Besser kann das Leben ja eigentlich nicht laufen, als wenn man für das bezahlt wird, was man sowieso gerne tut, dachte ich mir so. Einfach nur immer Ja sagen, kein Drücken, kein Sich-mühsam-anpreisen, kein direktes Konkurrieren (wer ein Klinger-Design will, will nicht irgend etwas anderes) – nur immer den eigenen Impulsen folgen, schreibend, gestaltend, kommunizierend. Dadurch teilt sich der Welt ganz automatisch mit, was ich kann und was nicht und wie ich die Dinge sehe. Wenn dann jemand kommt, der etwas Spezielles haben möchte, brauch‘ ich nur einen Kostenvoranschlag machen und loslegen. Wunderbar!
Es gibt allerdings einen Moment der Unsicherheit im Herstellungsprozess einer Site, den ich niemals „in den Griff“ bekomme: der erste Entwurf. Vorher sammle ich Material, schau mir Seiten aus dem Umfeld an, versuche heraus zu bekommen, was für Farben, Formen und Stile dem auftraggeber gefallen könnten (was gar nicht leicht ist, weil er das selber nicht weiß). Aber irgendwann sitze ich dann doch da, schaue auf die leere Fläche in der Größe einer Webseite und schiebe ein Logo hin und her oder sonst etwas, was gerade als minimaler ausgangspunkt dienen mag. Jetzt „denke“ ich nicht mehr, sondern schalte auf „fühlen“ bzw. spüren um. Auf der leeren Seite tu ich das, was alle Lebewesen überall tun: Leiden meiden und Freude suchen. Genau wie sich ein Satz holprig anhören, eine Formulierung unglücklich wirken, ein absatz sich schmerzlich in die Länge ziehen und unendlich langweilen kann, so enthalten auch die einzelnen Elemente einer Seite – Farben, Formen, Bilder, Textblöcke – ihre gefühligen aspekte, die es „sprechend“ einzusetzen und auszugleichen gilt.
Wer das diskursive Denken nicht abschalten kann, kann nichts gestalten, allenfalls vorhandene Werke mehr schlecht als recht nachahmen. Als letztes Mittel schwebt genau das als Möglichkeit vor dem Gestalter, dem (noch) nichts eingefallen ist – diese angst geht dem ersten Entwurf jedes Mal voraus, selbst wenn sie einem kaum mehr auffällt, weil man an sie gewöhnt ist wie an Nachbars stinkenden alten Hund.
Persönlich erlebe ich diese Angst nicht direkt als Angst, etwas in mir verweigert sich diesem Gefühl. Statt dessen erscheint es als ein Hinauszögern, als schier endloses Vor-mir-her-Schieben dieser Gestaltungsaufgabe. Das wirkt durchaus so verrückt, dass ich nicht darüber hinwegsehen kann. Immerhin verzögere ich etwas, das ich „eigentlich“ gerne tue! Irgendwann findet diese Phase ihr natürliches oder von meinem Zeitplan verordnetes Ende und es wird Ernst: Ich sitze vor der leeren Seite, schiebe ein Logo hin und her oder sonst etwas, versuche es mit dieser oder jener Form, teste eine Farbe an, probiere eine bestimmte Raumaufteilung, dann eine andere…
…und wenn das so eine halbe Stunde gegangen ist, kommen auf einmal „Ideen“ (bzw. fallen ein) – ich schreibe sie in anführungszeichen, weil sie sich keinesfalls rein mental ins Spiel bringen. Eher sind es heiße Wünsche, Empfindungen heftigen Verlangens: hier MUSS einfach noch ein Rot hin, damit das andere nicht so alleine klotzen kann! Und da oben ist ein Loch im Raum, das auf keinen Fall so bleiben darf – jetzt aber sieht alles schrecklich bieder aus, um Himmels Willen, da muss ein Bruch rein, eine Irritation, ein bisschen Schmerz für den Betrachter, der sich dann umso besser auf dem warmen runden Orange da drüben wieder erholen kann….
Es spricht für die Verrücktheit der Gesellschaft, diese Form von Kreativität als schöpferische LEISTUNG bestimmter Individuen in den Himmel zu heben. Und richtig peinlich wird es, wenn Einzelne mit diesem gewissen Ich-der-Kreative, ICH-die-Künstlerin-Gestus auftrumpfen. Ich vermute mal, das sind meistens Leute, die entweder zu den geschickten Nachahmern gehören, oder solche, die gar nicht wissen, was sie (nicht) tun, dumm genug, um sich das Geschehen und die Ergebnisse als „Leistung“ anzurechnen, nicht bemerkend, dass alles „von selber“ geschieht.
Im kreativen Prozess muss man nämlich nichts leisten: keine Kraft einsetzen, keine großen anstrengungen, nicht kämpfen, nicht dominieren und sich durchsetzen, auch nicht intellektuell brillieren, im Gegenteil: man muss sich los lassen, alles ausprobieren, was so „ein fällt“, nicht urteilen, einfach nur spielen und fühlen, fühlen, fühlen – zur Saite werden, zum Resonanzboden, der auf verschiedene auslöser unterschiedlich reagiert. Und dann eben einfach reagieren, das Ergebnis als neuen Impuls erleben, wieder spüren, wie es sich JETZT anfühlt – die einzige „Leistung“, wenn man es unbedingt so nennen will, ist die Konzentration, das Fokussieren der aufmerksamkeit auf diese Resonanz und sonst gar nichts.
OB da etwas geschieht, WaS da geschieht, ob etwas dabei heraus kommt (?) oder doch nicht – letztlich können wir das nicht vorher wissen, es ist immer eine art Zitterpartie. Gott lob nur für den Teil des Geistes, der noch darüber grübelt, ob der auftraggeber das mögen wird, ob der Termin einzuhalten ist, ob nicht all dieses ausprobieren und Herumspielen lange schon den veranschlagten Zeitrahmen sprengt – aber genau dieser Teil ist ja vorübergehend von der Bildfläche verschwunden, wenn der kreative Part aktiv ist!
Um 90 Grad gedreht
So, es ist jetzt halb drei, die Hitze draußen ist gewaltig und von Minute zu Minute wird es schwüler. Mir geht’s dennoch ausgesprochen gut, denn heut‘ hab ich mich spontan aufgerafft, meinen Schreibtisch umzustellen – einschließlich des ganzen Computer-Equipments, das da dran hängt. Alles um 90 Grad nach links gedreht, so dass ich jetzt mit dem Rücken zur Wand sitze – und nicht mehr zur Tür! Schräg rechts ist jetzt das Fenster, gerade aus ein kleiner Tisch mit drei Buddhas und Blumenstrauß, links die immer offen stehende Tür, ich kann ein Stück weit in den Flut sehen.
Was für ein gutes Gefühl, nicht mehr dieses energetische „Loch“ im Rücken zu spüren, das ich mir seit Jahren freiwillig zumute. Und nicht etwa aus Unwissenheit – jeder weiß schließlich Bescheid, was das „Mit-dem-Rücken-zur-Tür-Sitzen“ angeht – sondern aus Hybris: allen Ernstes hab‘ ich angenommen, ich könne mich gewaltsam umgewöhnen, das Phänomen ignorieren, das Unwohlsein „aussitzen“ und so im Lauf der Zeit zwingen, mangels Beachtung einfach zu verschwinden. Weit gefehlt, es hat sich keinen Deut verändert, das bemerke ich jetzt, wo es verschwunden ist. Wie schön, wenn der Schmerz nachlässt!
Das Einfache ist nicht einfach und das Schwierige nicht schwer. Je älter ich werde, desto klarer wird das. Eine Kampagne planen und zwanzig Mitarbeiter leiten ist einfacher, als im eigenen Zimmer eine transparente Ordnung zu erhalten, die nicht nur aus dem Kopf kommt, sondern sich rundum gut anfühlt. Keine überflüssigen Dinge horten und alles belastende Zuviel vermeiden ist weit anspruchsvoller als das schlichte Powerplay, mit dem man in der Gesellschaft „etwas wird“. Zustände analysieren, Einfälle auswerten, Vorgehensweisen planen, umsetzen und kontrollieren, berechenbare Ziele anstreben und erreichen – man glaubt viel zu lange, das sei es, was das Leben für uns bereit hält, was die Welt von uns will. Dabei ist es nichts anderes als die Ideologie des Funktionierens: alles muss flutschen. Bau mit am großen Programm, sei innovativ, schaff dein ureigenes „Feature“, setze es am Markt durch und du wirst unsterblich sein – ein Lacher! Morgen wirst du durch das Feature deines Konkurrenten ersetzt, das alles, was du kannst, weit besser und schneller zustande bringt – und warum auch nicht? alles, was berechenbar ist, ist letztlich langweilig und menschlicher Befassung nicht wert – wir wissen schon, warum wir das Funktionieren ganz gern den Programmen und automaten überlassen!
Richtig spannend, wirklich abenteuerlich wird das Leben erst, wenn keine Ziele mehr locken und der Blick endlich frei wird. Frei für das, was immer schon da ist, übersehen, unbemerkt: die unendliche Weite des Augenblicks. Ziele, Wünsche, Vorhaben können sich ja nur auf bereits Bekanntes richten; meist sind es die öden Ziele der Gier, das immer gleiche Haben- und Absichern-wollen.
Das Unbekannte zeigt sich erst, wenn wir „genug davon“ haben, wenn wir uns selbst nicht mehr in den Mittelpunkt der aufmerksamkeit drängen.
So einfach. So schwer.
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