auf „Zeit zu leben“ fand ich heute einen sehr guten Artikel von Ralf Senftleben, der die Frage stellt: „Warum kämpfen manche darum, ein Opfer sein zu dürfen?“
Darin geht er der Frage nach, warum so viele Menschen verärgert reagieren, wenn jemand die Möglichkeiten aufzeigt, das eigene Leben in die Hand zu nehmen und all das, was daran stört, zu verändern. Er kommt zum Ergebnis, dass es wohl der Blick auf die Schuldfrage ist, der zu solchen Reaktionen führt: Aha, mir geht es nicht nur mies, ich bin also auch noch selber schuld, weil ich ja nichts daran ändere – na klasse!
Ralf bemüht sich dann, zu zeigen, wie überflüssig und behindernd es ist, an der Schuldfrage zu kleben, die (das füge ich hinzu) als Besonderheit spezifisch deutscher Problembewältigungsstrategie bekannt und berüchtigt ist: liegt etwas im Argen, suchen wir erstmal den Schuldigen, nicht etwa DIE LÖSUNG! In so einer Gesellschaft ist es schwierig für ein Individuum, die Felder der Eigenverantwortung ohne Scheuklappen zu erkennen und kreativ zu nutzen. Denn immer droht ja das Urteil „schuldig“, wenn etwas nicht klappt.
Das Thema ist spannend und stellt die alte Frage nach dem Verhältnis von Weltveränderung und Selbstveränderung:
- Mit dem Blick nach außen erkenne ich viele Missstände und versuche (vielleicht…), sie zu verändern. Oder ich empfinde mich als machtloses Opfer der Verhältnisse (das System, der Neoliberalismus, das Patriarchat etc. usw.) und verharre in Depressivität. Bin aber selber „immer bei den Guten“ und kann aus dieser Position ungebrochen schimpfen, klagen und anklagen.
- Mit dem Blick nach innen hinterfrage ich meine Bewertungsmaßstäbe und deren Voraussetzungen: Habe ich hohe oder niedrige Ansprüche? Woher kommt meine Einschätzung dessen, was ich für „normal“, für gut und richtig halte? Nutze ich meine Möglichkeiten? Bin ich zu feige, zu bequem, zu verknöchert, um den Preis der Veränderung zu bezahlen?
Mit dem Blick ausschließlich nach außen landet man leicht im politischen Sektierertum und bei den Verschwörungstheorien. Schaut man nur aufs eigene Selbst, droht die spirituelle Matschbirne, der alles EINS ist, sowie die Arroganz und Blindheit, die mit der Überzeugung, alles hänge nur von der eigenen Einstellung ab, gerne einher geht.
Gibt es einen Weg der Mitte? Ich hoffe es, schwanke ich doch selber im Lauf meines Lebens immer schon zwischen diesen Sichtweisen – mit einem deutlichen Trend „nach außen“ in der Jugend und der Umkehrung dieses Trends so ab vierzig.
Diesem Blog per E-Mail folgen…
Diskussion
Kommentare abonnieren (RSS)
29 Kommentare zu „Wenn Freiheit ärgert“.