Heute morgen, während der letzten zehn Minuten im Bett, hatte das Schreiben schon angefangen: Satz um Satz floss durch mich hindurch und wollte hinaus. „Merk dir das für nachher“ redete der innere Lektor auf mich ein, obwohl es wahrlich nichts Besonderes war, was da nach Veröffentlichung drängte. Ich sehnte mich einfach nach dem weißen Raum, nach der Tastatur, nach der Stille, die eintritt, wenn der Strom der Gedanken endlich im Fokus der Aufmerksamkeit steht wie ein geladener und freudig erwarteter Gast. An Schlaf war nicht mehr zu denken.
„Sieben Tote in Brandenburg“, sagte mein Lebensgefährte, als ich mir den ersten Kaffee aus der Küche holte. 1000 Bäume sind heute Nacht umgestürzt, einige davon auf Autos, Zelte und Menschen! Es scheint, als verstärkten sich in letzter Zeit die Unwetter, die Schäden werden größer, die Verletzten und Toten immer zahlreicher. Ist das die Klimaveränderung? Ich glaube, dass es sich hier zumindest auch um Kollateralschäden des Info-Zeitalters handelt: von klein auf gewohnt, Medien weit wichtiger zu nehmen als das meiste „Realgeschehen“, ist jeglicher Respekt vor den Naturgewalten abhanden gekommen. Wer hat denn noch Angst vor Blitz und Donner? Wer fragt sich, ob er „Schutz bei Buchen suchen“ oder lieber „unter Eichen weichen“ soll? Vielleicht fallen mir gleich noch ein paar Sinnsprüche meiner Kindheit ein, deren Richtigkeit zwar angezweifelt wurde, nicht aber deren Berechtigung!
Die Freaks und Trinker auf dem Boxhagener Platz bleiben einfach sitzen, wenn der Himmel sich verdunkelt und der Sturm die Blätter treibt als sei es schon Herbst, wenn die Äste der Kastanienbäume hin und her peitschen, wie man es ihnen gar nicht zutrauen würde und die Abstände zwischen Blitz und Donner immer kürzer werden. „Du musst die Sekunden zählen“, sagte mein Vater mit gesenkter Stimme, wenn ein starker Blitz das Zimmer erhellte und die ganze Welt in einer Schrecksekunde gefangen war: „Einundzwanzig, zweiundzwanzig, dreiundzwanzig, weiterzählen bis es donnert! Dann weißt du, wie viele Kilometer das Gewitter noch weg ist.“ Und ich zählte, ja, ich zähle heute noch und überlege mir viel zu lange, ob es jetzt Zeit ist, den PC herunter zu fahren und den Stecker zu ziehen. Oder ob das nicht doch ein bisschen übertrieben ist? Wer denkt denn ernsthaft daran, der Blitz könnte „ins Gerät fahren“???
Bisher hatte ich Glück in meinem Leichtsinn. Nicht so ein guter Freund, der bei einem Gewitter den für computergestützte Menschen größten anzunehmenden Unfall erleben musste: es hat ihm beide Festplatten gleichzeitig zerschossen. Ich muss ihn doch mal anrufen und fragen, ob er mittlerweile immer den Stecker zieht.
Endlich Nichtraucherin?
Gut sechs Wochen sind es nun schon, die ich rauchfrei zubringe und zum ersten Mal seit 32 Jahren fühle ich mich als Nichtraucherin. Während der vorhergehenden Aufhörversuche – drei Wochen im letzten Jahr oder damals 1998, als ich monatelang ein Nichtraucher-Tagebuch schrieb – war es anders. Ich blieb geistig im Raum des Rauchens, wenn auch in einer negativen, ablehnenden Weise. Man ist kein Nichtraucher, solange man ans Nicht-Rauchen denkt, solange man sich innerlich ständig bestärken und mit Rauchern vergleichen muss, um weiterhin der Meinung zu bleiben, „ohne“ sei das Leben besser als mit der Kippe.
Heute komme ich tagelang ohne Gedanken ans Rauchen oder Nichtrauchen aus – glücklicherweise hat auch mein liebster Freund die Kippen aus der Wohnung und unserem gemeinsamen Leben verbannt, so dass der Übergang in ein rauchloses Dasein vergleichsweise leicht geglückt ist. In den ersten zwei Wochen erlebte ich noch häufige „Verlangensattacken“, doch dann sind sie fast ganz aus meinem Leben verschwunden und melden sich nur noch sehr selten. Ein guter Gedanke in einer solchen Situation ist: „Ob ich jetzt rauche oder nicht rauche: das Verlangen wird in kürzester Zeit vorbei sein“. aber wie gesagt, es kommt kaum noch vor, ich kann das alles für lange Phasen vergessen, wie wunderbar!
Neben allen Veränderungen auf der körperlichen und psychischen Ebene nehme ich dieses Mal deutlicher denn je wahr, dass eine geistige Vernebelung von mir gewichen ist, die mein ganzes Leben umfasste. Mit den Giften aus der Zigarette konnte ich bestimmte aspekte meines Daseins verstärken und andere unterdrücken, ganz ohne dass mir das im Einzelnen bewusst gewesen wäre, bzw. dass ich da etwas GEWÄHLT hätte. Meine Bereitschaft, Dinge hinzunehmen oder mich ihnen zu wiedersetzen, mein Vermögen, aktiv das Leben zu gestalten oder es nur passiv zu beobachten, mein Vertrauen in das eigene Empfinden und ins Selber-Denken (!) – all dies war durch das Rauchen zumindest schwer verzerrt, teils sehr stark beeinträchtigt.
Weil viele immer nur die psychophysischen aspekte des Rauchens erwähnen, will ich das an einem Beispiel erläutern: Wir sind es ja alle gewohnt, immerzu die Welt zu kritisieren, Missstände zu benennen, uns über alles und jedes aufzuregen und Verbesserungen zu fordern: ob es die Politik, das Wirtschaftsleben, die ganz persönliche arbeitswelt oder unsere Beziehungen betrifft: so vieles ist nicht so, wie wir es gerne hätten! aber was soll eigentlich das ganze Kritisieren und Herummäkeln, wenn wir uns – ungerührt vom eigenen Verbesserungs-Geplapper – Tag für Tag das Leben wissentlich selbst verkürzen, die eigene Gesundheit sehenden auges zerstören, Woche für Woche, Jahr für Jahr? Und dafür, als Gipfel des Irrsinns, auch noch ein kleines Vermögen ausgeben?
Warum denn die Natur schützen, wenn ich meine Lungen zur braun verklebten Müllhalde umfunktioniere? Warum die Hühner aus den Käfigen befreien, wenn ich doch jeder Zelle des eigenen Körpers ein „inneres Gerüst“ aus Nikotin verpasse, damit ich weniger spüre?
Es geht hier nicht um Fragen der Glaubwürdigkeit in Bezug auf eine „außenwelt“, nicht um andere Menschen, die so denken und mich nicht ernst nehmen könnten. Diese Gefahr ist tatsächlich gering, denn das Rauchen gilt als derart normal, dass eher diejenigen unter Verdacht geraten, die diese Gedanken offen aussprechen. Mir geht es jetzt einzig und alleine um mich: was ich selber von mir halte, wie ernst ich mich selbst nehmen kann, inwiefern ich meiner eigenen Wahrnehmung (von mir selbst UND der Welt da draußen) vertrauen und mein Denken und Handeln daran ausrichten kann.
Wow, und das hat jetzt eine ganz andere Qualität! Seit es gelungen ist, das, was nervt und stinkt und schmerzt und kostet, endlich los zu lassen, hat alles andere in meinem Leben auf neue Weise Hand und Fuß. Das ist KEINE Sache des Denkens, des oberflächlichen Sich-selbst-bewertens: Ich habe mich ja wegen des Rauchens nicht etwa verurteilt oder auch nur ernsthaft kritisiert, sondern im Gegenteil stets getröstet, gerechtfertigt und verteidigt: auch Nichtraucher müssen sterben! Wer macht schon alles richtig im Leben? Bin ich denn eine Heilige?
aber unterhalb dieses Mich-Beschwichtigens, weit unterhalb des „vernünftigen Denkens“ und all der Unvernünftigkeit, zu der es fähig ist, lebt etwas, das sich nicht bestechen und belügen lässt. Dort ist der Ursprung der angst, das Leben selbst, das nun mal Überleben will und alles Todbringende ablehnt und fürchtet. Man kann nicht mit ihm diskutieren, man kann nur seine Wahrnehmung ablehnen, die eigenen Kanäle verstopfen, sich betäuben und benebeln.
Das klappt. Sogar sehr gut. Allerdings verliert man dabei nicht „nur“ die Wahrnehmung der angst und des eigenen Leidens, sondern gleich alle „Tiefenwahrnehmung“, die uns Menschen eigentlich natürlich ist. Das Gespür für den anderen, für die Situation, für den richtigen Zeitpunkt: die 360-Grad-Wahrnehmung des augenblicks im Hier & Jetzt, quer durch alle Ebenen des Daseins. Im Yoga spricht man von den Siddhis, den „Fähigkeiten“, auch diese sind hier mit gemeint. Sie werden idiotischerweise auf dem Eso-Buchmarkt als „‚was ganz Besonderes“ vermarktet und sind doch nur verfeinerte Wahrnehmungsweisen, die allen Menschen zugänglich sind, mal mehr, mal weniger, je nach Offenheit, Veranlagung und Temperament. Jeder sieht ein bisschen hell, solange er nicht mutwillig den eigenen Blick (besser: das Gespür) verdunkelt, zum Beispiel mit stofflichen Giften und Suchtmitteln.
Die Chancen wachsen!
Ich weiß, dass solche Texte den Noch-Rauchenden nicht gerade angenehm sind. Weil es nun mal nicht in der je eigenen Macht liegt, das Rauchen von jetzt auf gleich zu lassen, fühlt man sich ziemlich beschissen. Man ist adressat von Vorwürfen, ausgesprochen oder nicht, und dabei kann doch kein Nichtraucher nachvollziehen, wie man sich tatsächlich befindet. Es SCHEINT ja so, als könne man das Elend jederzeit beenden: die Kippen wegwerfen und mit einer der üblichen Methoden – von der Gehirnwäsche mit alan Carr übers Nikotinpflaster bis hin zum gefährlichen Zyban – in ein hoffentlich langes Nichtraucherleben starten. Aber der Wille ist eine begrenzte Ressource, alleine reicht er nicht aus, um „mal eben so“ zum Nichtraucher zu werden. Kaum einer schafft es beim ersten Mal, egal, ob das Loslassen nun als schwierige langwierige Unternehmung oder mit a. Carr als „ganz leicht“ betrachtet wird. Immerhin: bei jedem aufhören wird es wahrscheinlicher, dass der Raucher frei wird, das ist mittlerweile statistisch bewiesen.
Was ist Wille? Wenn ich sage, der Wille allein reicht nicht, meine ich damit nicht nur die heftige Willensanstrengung, die zusammen mit der „Punkt-Schluß-Methode“ in Verruf geraten ist, weil sie die meisten Rückfälle produziert. Auch jede geschickte art und Weise, die Dinge anders zu betrachten, sie mal genau zu beobachten, um dabei festzustellen, dass all die vermuteten Leiden, die mit dem Entzug herein brechen sollen, in Wirklichkeit halb so wild sind – all diese geistigen Methoden zähle ich zum „inneren Ikebana“, das ich erst einmal anwenden WOLLEN muss, bevor es funktionieren kann.
Und: Ich kann zwar lernen, zu wählen, was ich denken will, aber mir eben NICHT aussuchen, was ich wollen soll. Dazu reiche ich nicht aus, bzw. das, wozu ich (aus guten Gründen!) gewohnt bin, „ich“ zu sagen, reicht nicht bis in die Tiefendimension des Ganzen hinein, aus der der wahre Wille sich täglich neu gebiert. Was immer dieser Wille sein mag: es handelt sich in jedem Fall um ein ganz anderes Kaliber als dieses blasse „ich denke, ich sollte…“, das wir manchmal Wille nennen.
Kann man also etwas tun? Sicher! Ich habe immer wieder versucht, das Rauchen aufzugeben. Dafür muss ich mich immer wieder freiwillig in den „Entwöhnungsraum“ begeben: diese hässlichen Informationen über die Schäden des Rauchens lesen, mit anderen kommunizieren, neue Versuche starten, das Beste hoffen, den Willen anstrengen, den Willen ignorieren, alles genau beobachten, nicht dran denken, das Thema vergessen, die Geister beschwören, oder auch bitten, betteln, beten und befehlen – alles, alles, alles, was irgendwie nützt!
Was aber letztlich geschieht, habe ich NICHT im Griff. Einzig dieser Gedanke – ihn zu REALISIEREN, nicht nur zu denken – erlöst von aller Sucht.
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