Kaum irgendwo passt der Begriff „entsorgen“ so gut wie im Fall von Büchern, denn Bücher wirft man nicht weg. Das tun nur Barbaren, die auch nicht richtig mit Messer und Gabel essen können, vom Lesen ganz zu schweigen. So wurde es mir in meiner Kindheit vermittelt, als das Buch noch etwas war, dem man sich mit Ehrfurcht und Respekt nährte. Zwischen festen Buchdeckeln befand sich „das Gute“, und obwohl ich später lernte, dass das nicht stimmt, bringe ich es immer noch nicht fertig, Bücher einfach in die Tonne zu werfen.
Ich war 28, als ich beschloss, nicht mehr mitzumachen, was alle anderen mit ihren Büchern taten: Sie in Regale stellen, die von Jahr zu Jahr immer größere Ausmaße annehmen und den Gast beeindrucken. Zwar hatte ich das auch schon genossen, hatte bei „besonderem Besuch“ sogar mal abgestaubt und die schwerwiegenderen Werke in Sichthöhe gestellt, um meine philosophische Belesenheit ins rechte Licht zu rücken. Nun aber belastete mich das physische Gewicht der vielen Bücher, wenn ich umziehen wollte – und ich wollte oft umziehen! Es war die wilde Zeit der Hausbesetzungen, wir lebten in Räumen, aus denen wir „geräumt“ werden konnten, sobald es der Obrigkeit gefallen würde. Diesen schlimmsten Fall erlebte ich zwar nicht, doch zog ich binnen drei Jahren immer mal wieder in eine andere Haus- oder Wohngemeinschaft, mit der ich mich besser verstand als mit der vorigen.
Als es wieder einmal soweit war, schaute ich meine auch an diesem Ort wieder aufgebauten, vor Büchern überquellenden Regale an, stellte mir das anstehende Packen und die elende Schlepperei vor, und beschloss, dass es damit jetzt ein Ende haben müsse. Was ich zum Leben brauchte, wollte ich künftig selber tragen können, ohne die halbe Welt zum Arbeitseinsatz rufen zu müssen – schließlich zogen dauernd Leute um und keiner hatte darauf wirklich Lust. Ich wählte einige wenige Bücher aus, von denen ich noch glaubte, dass ich da wieder einmal rein schauen würde. Den großen Rest ließ ich einfach stehen: zum Mitnehmen für Gäste, denen der unerwartete Potlatsch tatsächlich Freude machte. Was für eine Erleichterung!
Für die Zukunft nahm ich mir vor, nicht mehr Bücher anzusammeln, als auf zwei Regalbrettern von 80 cm Länge passen. Wozu sollten sie denn bei mir verstauben? Nur sehr selten kam es tatsächlich vor, dass ich ein Buch, nachdem ich es gelesen hatte, wieder zur Hand nahm: Bücher, die beim wiederholten Lesen in mehrjährigem Abstand neue Dimensionen des Verständnisses eröffnen, sind dünn gesäht, die brauchen gar nicht viel Platz. Aber wohin mit den anderen? Weiter geben, verschenken, verkaufen – in Zeiten finanzieller Knappheit brachte mir die Ausdünnung meiner immer wieder über die zwei Regalbretter hinaus wachsenden Sammlung schon mal einen nützlichen Betrag. Meist spende ich sie jedoch tütenweise einem Büchertrödel, denn das einzelne Anpreisen bei Amazon, das Verpacken und Versenden ist mir zu aufwändig und lohnt auch nur bei recht neuen Büchern oder „Liebhaberstücken“.
Im Moment stehen zwei alte Billi-Regale in meinem Arbeitszimmer, sechs Bretter sind schon wieder voll mit Büchern. Auch wenn ich seit es das Internet gibt, weniger Bücher kaufe, sammeln sie sich doch immer wieder an: von Freunden mitgebracht, unverlangt zugesendet, selber bestellt. Da ich dieses Zimmer neu streichen will, ist wieder mal Ausmisten angesagt – und wenn ich so drüber schaue, freue ich mich, dass bei drei von vier Büchern eine innere Stimme sagt: „kann weg“.
Die Renovierung ist ein guter Anlass, auch alle anderen Besitztümer zu sichten und mich von dem zu trennen, was ich nicht wirklich benutze. Besitz belastet, ich spüre das mittlerweile geradezu körperlich. Da sind Ecken, Hochböden, Unterschränke und Schubladen voll mit Gegenständen, an die ich mich nicht mal erinnere. Dinge, die nur da sind, weil sie mal „zu schade zum wegwerfen“ waren, oder von denen ich glaubte, ich werde sie noch einmal brauchen. Aber das stimmt nicht, ich brauche immer weniger. Und das gefällt mir gut.
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8 Kommentare zu „Bücher entsorgen“.