„Merkel schwört Deutschland auf härteren Kampf gegen Arbeitslosigkeit ein“ titelt der SPIEGEL-Online in einem Bericht über ein Interview, das die Kanzlerin der Wirtschaftswoche gab. Während uns Monat für Monat unter viel Jubel und Selbstbeweihräucherung der ehemals großen Parteien der Rückgang der Arbeitslosenzahlen auf den niedrigsten Stand seit 15 Jahren gemeldet wird, geht Frau Merkel in die Offensive und will beweisen, dass sie nicht „reformmüde“ ist, wie ihr von Seiten der Wirtschaft gerne vorgeworfen wird.
Zuverdienst kürzen
Wo anfangen? Natürlich bei denen, die am wenigsten haben: Sie will „die Hinzuverdienstgrenzen für Hartz-IV-Empfänger reformieren, so dass bessere Anreize zur Aufnahme von Arbeit bestehen“, um so den „Einstieg in den Aufstieg“ zu ermöglichen. Im Moment können ALG2-Empfänger 100 Euro anrechnungsfrei hinzuverdienen, dazu kommen nochmal 20% (ab 800 Euro 10%) des Zuverdienstes, der die 100 Euro übersteigt. Diese Regel hatte den guten Sinn, für die Leistungsempfänger auch Mini-Jobs attraktiv zu machen – eine Möglichkeit, von der auch massiv Gebrauch gemacht wird. Entfällt der Zuverdienst wieder, steigt die Attraktivität einer Vollzeit-Arbeit, so denkt man sich das und schreitet zu „Reformen“.
Welche Arbeit die so Motivierten dann aufnehmen sollen? Zwar mangelt es in etlichen Branchen schon an Fachkräften, doch diejenigen, um die es hier geht, sind für diese Jobs in der Regel nicht qualifiziert. Also ist wohl der Billiglohnsektor das Ziel der „Eingliederung in den Arbeitsmarkt“, dem sich nach Meinung einschlägig interessierter Kreise noch immer zu viele Langzeitarbeitslose erfolgreich entziehen. Dazu passt die wolkige Merkel-Ansage, man müsse „die arbeitsmarktpolitischen Instrumente noch einmal effizienter machen und bündeln“.
Rein in die Zwangsarbeit: aktivierende Sozialhilfe
Was mag das wohl bedeuten? Wie zwingt man Menschen dazu, einen grottenschlecht bezahlten Job anzunehmen, der wenig oder gar nicht mehr bringt als das bisher gezahlte ALG2 ? Die 100 Euro wegfallender Zuverdienst können den „großen Sprung“ wohl kaum bewirken, denn die sind auch schwarz schnell dazu verdient.
Wer wissen will, was droht bzw. wohin die Reise gehen soll, dem empfehle ich das Dokument „Hartz IV fördert Minijobs und krankt an der ungenügenden Durchsetzbarkeit der Zumutbarkeitsregeln“ von Christian Holzner, seines Zeichens wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Ifo-Institut für Wirtschaft, von dem die Bundesregierung beraten wird.
Hier wird im Detail das Konzept der sogenannten „aktivierenden Sozialhilfe“ vorgestellt, das kurz gefasst folgendes vorschlägt: Weil die rechtlich möglichen Sanktionen (= Streichung aller Leistungen mit Ausnahme der Miete) wegen Verweigerung zumutbarer Arbeit in der Praxis schlecht durchsetzbar sind, soll allen Arbeitslosen ein Arbeitsvertrag bei Zeitarbeitsfirmen angeboten werden, die mit deren Betreuung und Verleih beauftragt werden. Weigert sich ein Arbeitsloser, hätte er damit seine mangelnde Arbeitsbereitschaft bewiesen, womit er den Anspruch auf den Regelsatz verwirkt hat. Im Moment sei es dagegen noch leicht, sich bei Job-Angeboten ungeschickt anzustellen und vom Arbeitgeber abgelehnt zu werden, was dazu führe, dass der Regelsatz nicht gestrichen werden könne und so auch nicht als „Hinzuverdienst“ bei Aufnahme einer Arbeit ins Kalkül der Arbeitslosen einfließe:
„Ziel der Aktivierenden Sozialhilfe ist nichts anderes, als einen Sanktionsmechanismus zu schaffen, der immer greift und somit immer auch hohe Hinzuverdienstmöglichkeiten garantiert. So sieht der ifo Reformvorschlag vor, dass jeder, der einen Arbeitsvertrag bei einer Leiharbeitsfirma ablehnt, in derselben Höhe sanktioniert wird wie bei Hartz IV. Ihm bleiben dann nur noch die Leistungen für Unterkunft und Heizung. Nimmt der Arbeitslose das Angebot der Leiharbeitsfirma an, so bekommt er die 345€ ALG II ausbezahlt. Wenn jedem Arbeitslosen ein Arbeitsvertrag von einer Leiharbeitsfirma angeboten wird, dann greift der Sanktionsmechanismus in allen Fällen, und die Hinzuverdienstmöglichkeiten sind entsprechend hoch.“
Der drohende Entzug der Lebensgrundlage erschafft die „hohe Hinzuverdienstmöglichkeit“ – toll, was man mit Sprache alles machen kann! Die Leiharbeitsfirma bekommt in diesem Modell die bisherigen ALG2-Leistungen als Lohnsubvention ausgezahlt, denn faktisch haben die Leute ja nach wie vor keine Arbeit, sondern werden „betreut“. Schaffen sie es, den einen oder anderen Arbeitslosen tatsächlich zu verleihen, machen sie Gewinn, denn der Stundensatz wird höher liegen als das, was der Beschäftigte ausbezahlt bekommt. Was wiederum für den Arbeitgeber einen Anreiz darstellen soll, mit dem Ausgeliehenen einen direkten Arbeitsvertrag zu schließen: so mit einem Stundensatz um 5.90 Euro sei das für beide Seiten ein klarer Vorteil.
Dass ein Mindestlohn ab 7.50 Euro aufwärts solche Konstruktionen platzen lässt, ist klar. Hoch und heilig verspricht denn auch die Kanzlerin der Wirtschaft, dass der mit ihr nicht zu machen sei.
In unserem Grundgesetz steht übrigens in Artikel 12
(1) Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die Berufsausübung kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden.
(2) Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht.
(3) Zwangsarbeit ist nur bei einer gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung zulässig.
Ob wohl irgend jemand meint, die komplette Streichung des Regelsatzes sei kein Zwang? So nach dem Motto: man kann sich ja frei entscheiden, auf Lebensunterhalt zu verzichten und verhungern?
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16 Kommentare zu „Merkel-Offensive: Noch mehr Druck für Arbeitslose“.