Die Freiwilligen-Arbeit mit alten Menschen hab‘ ich jetzt erstmal unterbrochen. Der „Verein der Freude alter Menschen“ hat mir einen guten Einblick gegeben und auch Kontakte zu alten ermöglicht: mehrere Wochen war ich im Telefondienst, plauderte immer montags mit den verschiedensten Alten, von der lustigen Grunewald-Wittwe, die sich vor Terminen kaum retten kann, bis hin zur völlig vereinsamten 89-Jährigen Sterbenden, die ich dann auch im Krankenhaus besuchte.
Die Hauptaktivitäten des Vereins bestehen darin, für die Alten allerlei zu veranstalten: mal ein gemeinsames Mittagessen, mal ein Ausflug, ein Spiele-Nachmittag, eine Besichtigung – das ist nichts für mich, hab ich festgestellt, denn ich begreife Freiwilligenarbeit noch immer als ARBEIT: es soll mich fordern, entweder in meinen beruflichen oder in meinen psychischen Fähigkeiten. Lockere Freizeitgestaltung ist es für mich nicht, vielleicht mal in zwanzig Jahren!
Eigentlich war ich ja wegen des Hauptzwecks des Vereins gekommen: ich wollte einmal die Woche jemanden besuchen, wie es dort viele Freiwillige tun. Da man aber nicht gleich „zugeteilt“ wird, sondern sich erst durch andere Dienste mit der ganzen Sache vertraut macht, ist mein Einblick umfassender geraten. Ich weiß jetzt noch weit mehr über die – in vieler Hinsicht beschissene – Situation alter Menschen, aber natürlich hab‘ ich auch hautnah mitbekommen, dass jeder genau das erntet, was er gesät hat. Damit meine ich NICHT die menschenunwürdige Art, wie unsere Gesellschaft die Alten in den Heimen und in der ambulanten Pflege verwahrlosen lässt, sondern die Art der Verknöcherung, mit der man gelegentlich konfrontiert wird: Total an ihrer Einsamkeit leidende Alte, bei denen ein paar Minuten Gespräch reichen, um zu bemerken, dass sie geradezu offensiv daran arbeiten, dass niemand mit ihnen etwas zu tun haben will. Und das vermutlich schon ihr halbes oder ganzes Leben lang.
Wohlgemerkt: es gibt nicht nur Schreckschrauben unter den Alten, ich habe entzückende, freundliche, charmante und sehr interessante Menschen kennen gelernt. Doch letztere sind deutlich weniger „bedürftig“, das ist ganz offenkundig, auch, wenn sie sehr krank und in ihren Bewegungsmöglichkeiten eingeschränkt sind.
Insgesamt waren ALLE Kontakte für mich ungeheuer lehrreich und bereichernd – es ist ein wirklicher Verlust, dass die höheren Lebensalter praktisch aus der Gesellschaft ausgegrenzt sind und man ohne besondere Anstrengungen gar keine 80-Jährigen mehr kennen lernen kann – wo denn auch?
Mein eigentlicher Wunsch, jemanden näher kennen zu lernen und regelmäßig zu besuchen, ist noch immer vorhanden, sogar dank der interessanten Erfahrungen stärker geworden. Weil aber Frau S., die ich zu besuchen begonnen hatte, mittlerweile gestorben ist, mach ich jetzt erstmal eine Pause bis der Umzug über die Bühne gegangen ist. Und dann seh‘ ich zu, wie ich die Alten in meiner Umgebung kennen lerne, zum Beispiel die Frau im ersten Stock gegenüber, die immer nur vor der Fernseher sitzt und nur selten die Wohnung verlässt.
Denn: ist es nicht der reine Wahnsinn, die Freiwilligen-Arbeit genauso verkehrsintensiv, zeit- und benzinfressend zu organisieren, wie zum Beispiel die Hauspflege oder die Gebäudereinigung? Fast vierzig Minuten war ich unterwegs, bevor ich beim Verein mit dem Telefonieren anfing. Meine alte Dame hab‘ ich mit über einer Stunde Anfahrsweg besucht – hin und zurück auch noch mal, klar. So halb und halb bin ich noch mit der lustigen Witwe aus dem Grunewald verabredet: zwei Stunden bis zum Rand Berlins, um sie abzuholen für einen gemeinsamen Besuch im Internet-Cafe, den sie sich wünscht. Völlig irre! (Und alles andere als „nachhaltig“!)
Ich brauche ja nur mal Samstag früh das Haus verlassen, das ist die Zeit, wo sich die verbliebenen Alten (meist Frauen) in diesem jugendlichen Stadtteil noch nach draußen wagen, sich schwer nach vorne gebeugt und auf Krücken gestützt zum Markt auf dem Boxhagener Platz bewegen, um ihre Einkäufe zu machen. anders als die Jüngeren nehmen es diese alten oft sogar wahr, wenn man SIE wahrnimmt. Sie freuen sich über ein grüßendes Nicken und lächeln zurück – könnte das nicht der naheliegendere Weg sein? Mal sehen.
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