Noch nie hat mir die Nachricht vom Tod eines „Promis“ die Tränen in die Augen getrieben. Jetzt aber schon, denn Werner Orlowsky ist tot. Er war der erste Baustadtrat „von unten“, ein Mieter-Aktivist und Kämpfer gegen Kahlschlag- und Luxussanierung in Berlin Kreuzberg, der vom Drogisten zum Erfinder der „behutsamen Stadterneuerung“ wurde.
Ohne ihn hätte es vielleicht keine „Berliner Linie“ gegeben, die jegliche Räumung besetzer Häuser für lange Zeit unmöglich machte. Ohne ihn würde es in Kreuzberg heute anders aussehen – und nicht nur dort, denn was sich in Kreuzberg abspielte, entfaltete auch national und international Wirkung.
Von der „Basis“ ertrotzt: Wie Orlowsky Baustadtrat wurde
Der TAGESSPIEGEL schreibt in seinem Nachruf:
„Anfang der 80er Jahre, als viele zum Abriss freigegebene Häuser besetzt wurden, begann Orlowskys politische Karriere. Er wurde vom „Besetzerrat K 36“ – quasi die oberste Instanz der Hausbesetzer – zum Sprecher bestimmt, verhandelte mit dem Senat und Hauseigentümern so erfolgreich, dass die Alternative Liste ihn für das Amt des Baustadtrats vorschlug.
Nun ja, allzu kurz ist auch daneben. Weder war der „Besetzerrat K36“ oberste Instanz aller Hausbesetzer (sondern nur das Plenum der Häuser in Kreuzberg SüdOst, Postbezirk 36), noch hat ihn die AL leichten Herzens mal eben so vorgeschlagen.
Ich erzähl mal, wie ich das erlebte, denn ich war dabei:
Dass die „Alternative Liste für Demokratie und Umweltschutz“ (AL) Orlowsky 1981 als Stadtrat aufstellte, als sich die Chance dazu bot, war keineswegs selbstverständlich. Die erst kürzlich Partei gewordenen Linksalternativen, Frauen- und Umweltbewegten waren von Realpolitik noch ein gutes Stück weit entfernt. Nachdem der alte Senat wegen eines riesigen Bauskandals zurücktreten musste und Neuwahlen unvermeidlich wurden, waren sie zwar ins Abgeordnetenhaus gewählt worden, getragen von Mietern und „Instandbesetzern“, die von den „etablierten Parteien“ die Nase gestrichen voll hatten. Das hieß aber noch lange nicht, dass man nun auch jede Chance auf ein bisschen Macht hätte ergreifen wollen. Damals waren ja fast alle noch „Fundis“, die sich nicht vorstellen konnten, einen Amtsinhaber zu stellen: Für was man da alles verantwortlich wäre, ohne WIRKLICH Einfluss zu haben und alles Üble sofort abstellen zu können – bewahre!
Die AL hatte ein – damals ein absolutes Muss – ein „basisdemokratisches“ Selbstverständnis. Alles sollte auf dem Plenum diskutiert und beschlossen werden, zu dem alle Mitglieder kommen sollten, aber auch Nichtmitglieder Rederecht hatten. Wie immer, wenn solche Gruppen größer werden und unterschiedliche Formen der Mitarbeit entwickeln (Mandatsträger, erste Verwaltungs-Jobber, Mitglieder, sonstige Aktive) gerät die Basisdemokratie schnell zur Farce. Die Welt wartet nun mal nicht, bis die Versammlung turnusgemäß zusammen tritt und erst recht nicht, bis ein Konsens herbei diskutiert ist.
Und so war es auch, als sich durch das erstaunlich gute bezirkliche Wahlergebnis (16 %) die Möglichkeit eröffnete, den Baustadtrat in Kreuzberg zu stellen. In den Bezirken braucht man dazu keine Mehrheit, denn die Ämter werden nach dem D’Hondtschen-Höchstzahlverfahren entsprechend dem Stimmenanteil auf die Parteien verteilt. Und siehe da: Man war nicht nur „rein gekommen“, es reichte sogar für einen Stadtrat!
Ein bisschen Macht? Igitt…
Anstatt sich zu freuen, bekamen die frisch gebackenen Bezirksverordneten und ihre Parteibasis nun schwere Bauchschmerzen. Wollte man sich wirklich „die Hände schmutzig machen“ und jemanden in so ein brisantes Amt entsenden? Es war sonnenklar, dass es angesichts der zugespitzten Lage mit hunderten besetzter Häusern und zigtausend Sympathisanten nur DIESES Amt sein konnte. Das sahen ja sogar die anderen Parteien so, nach dem Motto: na, dann macht doch mal selber!
Der Meinungstrend unter den ALer/innen war klar dagegen. Ohne jegliche Macht (die ja nie eine absolute ist) bleibt man immer bei den Guten, kann „die Herrschenden“ in Grund und Boden kritisieren und läuft nicht Gefahr, wegen der eigenen Teilverantwortung womöglich kritisiert zu werden. Sowas wie „Sachzwang“ lernt man gar nicht erst kennen, wenn man nicht selbst am Ruder ist – und sei es auch nur ein kleines.
Es kam, wie es meist kommt, wenn’s in basisdemokratischen Strukturen auf einmal drauf ankommt. Ein Sonderplenum außerhalb des üblichen Turnus wurde einberufen, um die Frage „Baustadtrat ja oder nein“ zu beschließen. Bedenkt: es gab noch kein Internet! Diesen kurzfristigen Termin überhaupt mitzubekommen, war Glücksache.
Zufällig gehörte ich zu den Glücklichen, obwohl ich nicht mal Mitglied war. Als ich über einen Bekannten von dem Termin erfuhr, mobilisierte ich die grade erreichbaren Mit-Aktivisten aus dem Kreuzberger 61-er Kiez (Chamissoplatz), andere taten dasselbe, und so sind wir dann zu zwanzigst, dreissigst bei diesem entscheidenden Plenum aufgelaufen.
„Wir wollen Orlowsky als Baustadtrat!“ war unsere Botschaft, unsere Forderung, die wir vehement vorbrachten. Dass wir keine Parteimitglieder waren, war egal. Die AL war ja noch in einer Phase, in der viele die eigene Partei-Werdung als „Mitmischen im kranken System“ selbst als ziemlich peinlich bzw. aus guten Gründen kritikwürdig empfand.
Was aber, wenn dann ein Haus geräumt würde und Orlowsky das nicht verhindern könnte? Schließlich hinge das von anderen Kräften ab, vom Senat, von der Polizei und den Gerichten! Er müsste doch dann sofort zurück treten, ja was denn sonst? Und weil zu erwarten war, dass gewiss demnächst mal wieder ein Haus geräumt würde, wäre es doch besser, gar nicht erst den Anschein der Mitverantwortlichkeit aufkommen zu lassen…
Nun ja, ganz so deutlich haben sie Letzteres nicht gesagt, es war aber schon klar, dass sie hauptsächlich Schiss hatten, für alles Übel, das noch kommen würde, auf einmal selbst grade stehen zu müssen – ohne echte Macht, es zu verhindern. Ein ewiger Zwiespalt linksalternativer Politik, der sich über die Zeiten auf immer wieder neue Weise zeigt.
„Wie ABGEHOBEN seid Ihr denn?“ war unsere Gegerede. Mit Orlowsky als Baustadtrat hätten wir jedenfalls MEHR Chancen, nicht geräumt zu werden, MEHR Chancen auf eine sinnvolle Sanierungspolitik in Kreuzberg – und die wollten wir bittschön auch genutzt sehen! Wozu haben wir euch gewählt? Doch nicht dafür, dass Ihr Euch verhaltet wie eine Gruppe Studies auf Exkursion zur Erforschung der Parlamente! Niemand, der noch alle Tassen im Schrank hat, wird den Werner für ein Räumung verantwortlich machen… was für ein gequirrlter Unfug!
Und siehe da: Der „Macht der Basis“ konnte und wollte die AL – bzw. die grade zufällig Anwesenden – sich nicht verweigern. Denn die Basis, die „Betroffenen“, wollte man ja gerade nicht ignorieren, wie in den etablierten Parteien üblich. Es wurde also beschlossen: Orlowsky wird zum Baustadtrat gewählt. Und so geschah es – wow, was für ein Erfolg!
Werner Orlowsky blieb bis 1989 Baustadtrat – zu unser aller Nutzen und Freude. Und nie nie wurde er ein „abgehobener Politiker“, sondern blieb immer ansprechbar, den Bürgern freundschaftlich zugewandt.
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Mich hat das alles sehr geprägt, mitgenommen, nachhaltig bewegt und belehrt. So brisant, so spannend, so wirkungsmächtig wie in diesen Jahren der Hausbesetzerbewegung hab ich die Welt und mich in ihr nie mehr erlebt. Und dafür, dass vieles gut gegangen ist, bin ich dankbar. Werner Orlowski hatte daran großen Anteil und ich bin immer noch ganz traurig, dass er jetzt nicht mehr unter den Lebenden weilt.
Ich hoffe, er hatte einen friedlichen Tod. Und bin fast sicher, dass er mit seinem Leben zufrieden und im Reinen war.
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Auch dazu:
Kurzer Beitrag in der Abendschau (Mediathek) – inkl. prägnanter Szenen mit Werner;
Der Baustadtrat, der für Kreuzberger Hausbesetzer kämpfte
Werner Orlowsky – »Alles, was nicht ausdrücklich verboten ist, ist erlaubt.« – ein ausführliches Portrait.
Hausbesetzungen in West-Berlin: Die „Berliner Linie“
1981 Hausbesetzungen in Berlin – eine Zeitzeugin erzählt (kurzes Video)
Berlin Besetzt – Illustrierte Karte zu Hausbesetzungen in Berlin.
Foto von Orlowsky: Christian Könneke
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4 Kommentare zu „Adjeu und 1000 Dank: Werner Orlowsky R.I.P“.