Die Reaktionen auf den „Obama-Event“ an der Siegessäule hab‘ ich mir genau so vorgestellt, wie sie dann auch eingetreten sind: Ja, er habe Charisma und könne gut reden, ABER er sei doch nicht „der Messias“, denn in den USA werde er bereits „entzaubert“. Schließlich verlange er mehr Kampftruppen in Afghanistan, sei in Einzelfällen für die Todesstrafe und werde im übrigen als Präsident auch nur machen können, was machbar sei, usw. usf.. Der Rest ist Spott und Geläster über die Begeisterung, die Obama auch hierzulande entgegen schlägt: die „Obamania“ erscheint weiten Teilen der politischen Klasse als Provokation, gegen die es anzuschreiben und anzureden gilt.
Die gegen Ende der Veranstaltung auf 200.000 angewachsene Schar der Zuhörer rund um die Siegessäule skandierte neben „Obama, Obama“ versuchsweise auch das „Yes, we can!“, den aufmunternden Leitspruch der Kampagne. Für meine Ohren klang es seltsam bemüht, was ja auch nicht wundert im Lande des „geht nicht weil“. Denn bei uns verhandelt man Politik im Geiste der Anklage und Verdrossenheit: „denen da oben“ werden regelmäßig üble Motive unterstellt und das Streben nach Machtpositionen gilt alleine schon als kritikwürdig. Wer für eine wichtige Position ins Gespräch kommt, darf keinesfalls zu früh Interesse signalisieren, denn damit ist er als Kandidat auch ganz schnell wieder „verbrannt“. Ein munteres „Yes, we can!“ klingt für deutsche Ohren anmaßend und allenfalls naiv: wissen wir doch, dass alle nur mit Wasser kochen, dass Macht korrumpiert und Politiker sowieso nur Marionetten mächtiger Interessengruppen sind, die hinter den Kulissen die Fäden ziehen, um uns alle immer weiter auszuplündern. Begeisterung in der Politik ist demnach eine geistig-emotionale Verwirrung im Bann der Rattenfänger – im harmlosen Fall bloße Event-Jubelei: mal der Pabst, mal unsere Fußballer, jetzt halt Obama.
Klar, diese Sicht der Dinge hat ihre Berechtigung und ist insbesondere mit Blick auf die deutsche Geschichte verständlich: dieses Volk hat sich mal so wahnsinnig begeistert, dass die Welt in einen Abgrund gerissen wurde, der ohne Beispiel ist. Das kurze und äußerst erfolgreiche Aufflackern einer Aufbruchstimmung im Zuge der Wiedervereinigung („wir sind das Volk!“) wurde sehr schnell herunter gedimmt und per „Anschluss“ im lange ersehnten Konsum erstickt: wir wollen nicht mehr „ganz anders“ („change“), sondern wünschen, dass alles so bleibt, wie es ist, bzw. lieber noch, wie es zu Zeiten der vergleichsweise gemütlichen Bonner Republik gewesen ist.
Und dann kommt so ein Obama und begeistert die Massen, zumindest kurzzeitig, bis die mediale „Entzauberung“ alle erreicht hat. Natürlich ist der Kandidat kein „Messias“, gerade diese Erwartung beschreibt ja eine untergründig schwelende Demokratie-Verdrossenheit: Kompromisse gelten als Verrat an den eigenen Überzeugungen, nicht etwa als Alltagsgeschäft im Verhandeln unterschiedlichster Interessen. Die hoch gehaltene Nüchternheit in der Politik, die jedem, der etwas verändern will, sofort die Grenzen aufzeigt (geht nicht, weil…), ist für mein Empfinden nicht einmal wirklich echt: Käme da ein „Messias“, wäre man vielleicht ja doch dabei….
Meine Eindrücke angesichts des Obama-Phänomens gebe ich hier nicht wieder, um etwas als richtig oder falsch, gut oder böse zu bewerten. Ich spüre im Moment nur der Janusköpfigkeit unserer herrschenden politischen Stimmung nach: die mal ressentiment-geladene, mal sachlich-nüchterne Kritik an jeglicher Begeisterung für irgend etwas, die verhindern will, dass man irgendwelchen Rattenfängern hinterher läuft; andrerseits die „gedeckelte Visionslosigkeit“, die damit untrennbar verbunden ist: wer sich für nichts mehr begeistern kann, wird auch nichts ändern, sondern sich nur noch in Abwehrkämpfen verschleißen. Oder sich einfach abwenden und politische Themen gähnend ignorieren, wie es ja viele schon lange tun.
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10 Kommentare zu „Das Obama-Phänomen: Yes-we-can trifft Geht-nicht-weil“.