Bei Onyx läuft eine unglaublich umfangreiche Diskussion über die Forderung eines Bloggers, der unter dem missverständlichen Titel „Abtreibungsrecht für Männer“ die Herstellung der Gleichberechtigung in Bezug auf ein gemeinsam gezeugtes Kind fordert: Auch Männer sollten ein Recht haben, sich vom Kind loszusagen, da die Frau sich ja autonom auch für eine Abtreibung entscheiden kann – mit der Folge, weder Fürsorge noch Unterhaltszahlungen leisten zu müssen. Eine Option, die Männern nicht offen steht: entscheidet sich die Frau FÜR das Kind, haben sie keine Möglichkeit, sich selbst GEGEN das Kind zu entscheiden.
Für alle, die im Detail nicht über die rechtliche Faktenlage informiert sind:
Nicht nur kann ein Mann nicht über Abtreibung entscheiden (was ich richtig finde, denn das Kind wächst im Bauch der Frau), er muss nicht einmal informiert werden, dass er Vater wird bzw. geworden ist. Frau kann nicht nur abtreiben, wenn das Kind nicht in ihr Leben passt, sondern das Neugeborene auch an der Babyklappe abgeben, anonym gebären und das Kind zur Adoption frei geben – alles ohne jedes Mitbestimmungsrecht des biologischen Vaters. Eine verheiratete Frau kann das Kind auch einfach bekommen, dann gilt der Ehemann rechtlich als Vater, der biologische Vater hat keinerlei Rechte am Kind.
Verantwortungslos und egoistisch – mit unterschiedlichen Folgen
Die Argumente, die in den Diskussionen kommen, finde ich zu großen Teilen intellektuell unredlich:
- Nämlich alle Einwände, die darauf verweisen, dass der Mann ja hätte besser verhüten sollen, wenn es ihm so wichtig ist, nicht Vater zu werden.
- Oder all die Verweise darauf, wie egoistisch es doch sei, sich einfach aus der Verantwortung ziehen zu wollen.
Diese Überlegungen haben alle ihre Berechtigung, nur nicht in einer Debatte über Gerechtigkeit und Gleichberechtigung. Denn um letztere zu diskutieren, muss man selbstverständlich davon ausgehen, dass beide Geschlechter im Einzelfall verdammt leichtsinnig, verantwortungslos und egoistisch handeln – das ist vielfach bewiesener Fakt. Man stelle sich einfach spontanen Hochrisiko-Sex am Ende einer Party vor, beide besoffen, beide Lichtjahre vom Gedanken an ein eigenes Kind entfernt. Ich hab‘ diese Situation in meiner wilden Jugendzeit nicht nur einmal erlebt und einfach nur Glück gehabt, nicht schwanger geworden zu sein (und ja, ich hätte abgetrieben!).
Hier stellt sich für mich durchaus die Frage, warum sich nur die Frau per Abtreibungsentscheidung von den lebenslänglichen (!) Folgen dieses Fehltritts schützen können soll, nicht aber der Mann. Der Tatsache, dass die Frau biologisch „betroffener“ ist, weil ja sie es ist, die schwanger wurde, wird bereits jetzt rechtlich umfangreich Rechnung getragen, indem sie straflos abtreiben darf. Argumente, die darauf verweisen, dass Frau am schlechten Gewissen vielleicht ewig leidet oder auch mal gesundheitliche Folgen gewärtigen muss, treffen zum einen nicht auf alle Frauen zu und haben andrerseits doch nichts damit zu tun, wie die sozialen Folgen rechtlich gestaltet werden: sowohl im Fall der Abtreibung als auch bei der Entscheidung für das Kind entscheidet Frau alleine für beide. Und eben NICHT nur über das Leben des Kindes, sondern auch über die sozialen Folgen. Ist das wirklich in Ordnung so? Ich meine nicht!
Opt-In-Elternschaft
Zwar hab ich die Unmengen an Kommentaren in beiden Blogs nicht alle gelesen, doch scheint weitgehend Konsens zu herrschen, am Abtreibungsrecht nichts ändern zu wollen. Das finde ich schon mal gut!
Um nun den rechtlich-sozialen Aspekt gerechter zu gestalten (und damit gleich noch ein paar andere Ungerechtigkeiten abzuschaffen) hätte ich einen Vorschlag: die Opt-In-Elternschaft.
Die Opt-In-Elternschaft bezieht sich allein auf die soziale Elternschaft mit allen rechtlichen und unterhaltsrechlichen Folgen. An der biologischen Elternschaft kann schließlich nicht gerüttelt werden, doch kann man ihre Folgen als Gesellschaft per Rechtssystem frei gestalten.
Das ginge so:
- Kommt ein Kind auf die Welt (weil Frau NICHT abgetrieben hat), haben BEIDE biologischen Eltern die Option, sich für oder gegen das Kind zu entscheiden.
- Entscheidet sich der Mann, die Frau oder beide FÜR das Kind, anerkennen sie damit das Kind als das ihre, mit allen sozialen und rechtlichen Folgen.
- Entscheiden sie sich dagegen, sind sie frei von allen Pflichten (wie bisher nur die Frau, wenn sie das Kind abtreibt oder abgibt).
- Entscheidet sich nur ein Elternteil für das Kind, der/die andere dagegen, hat der „willige“ Elternteil auch alle Pflichten, der/die andere ist raus. Das bezieht sich natürlich nicht nur auf Unterhaltszahlungen, sondern auch auf die tätige Sorge für das Kind.
Damit das Ganze auch funkionieren kann, muss man Rechte und Pflichten zweier weiterer Beteiligter beachten und regeln, schließlich ist dieses biologische Elternpaar nicht allein auf der Welt!
Der Staat und das Kind
Auch Onyx hat in ihrem Blogpost schnell die Interessen des Kindes ins Spiel gebracht – zu Recht! Das Kind hat aus meiner Sicht verschiedene berechtigte Interessen, die in diesem neuen Eltern-Recht berücksichtigt werden müssen.
1.)
Kinder haben meines Erachtens ein Recht darauf, ihre biologischen Eltern zu kennen. Das leite ich von den vielfältigen Lebensgeschichten heranwachsender Kindern ab, die auf die Suche nach ihren leiblichen Eltern gehen, weil sie „ihre Wurzeln kennen“ wollen. (Mit dem Fortschritt der Wissenschaft entstehen hier auch neue Argumente, etwa dass mensch wissen will, mit welchen Erbkrankheiten man evtl. zu rechnen hat). Wenn die biologische Elternschaft nicht mehr zwangsläufig auch rechtliche Folgen hätte, gäbe es keinen Grund mehr, die wahre Vater- oder Mutterschaft zu verschweigen, bzw. geheim zu halten. Eine „Umgangspflicht“ bestünde natürlich nicht, doch könnte ein Kind, das seinen biologischen Elternteil kennt, irgendwann auf eigene Faust den Kontakt herstellen – man kann und soll nicht ALLES gesetztlich regeln!
2.)
Viel wesentlicher noch ist das Recht des Kindes auf Unterhalt und liebevolle Fürsorge. Diese Ansprüche würden sich nun nicht mehr automatisch an die biologischen Eltern richten, sondern an die sozialen Eltern. Gibt es keine sozialen Eltern, springt der Staat ein und sorgt sowohl für Unterhalt als auch für Erziehung und Fürsorge. Dies geschieht ja auch jetzt schon in Situationen, wo Eltern außerstande sind, sich um Kinder zu kümmern, doch müsste es in einer neuen, besseren Weise geschehen: nicht wesentlich durch Heime oder bloße Pflegeeltern, sondern durch aktive Suche nach alternativen „sozialen Eltern“, sprich: Menschen, die das Kind gerne adoptieren. Wie wir wissen, gibt es sehr viele kinderlose Paare, die nichts lieber täten, als einen Säugling zu adoptieren. Sie werden dann „soziale Eltern“ mit allen Rechten und Pflichten.
Eventuell sollte es grundsätzlich einen staatlich bestellten Vormund geben, der die Rechte und Interessen des Kindes gegenüber den Eltern vertritt, gerne der klassische „Pate“ aus dem Kreis der Freunde und Verwandten – wie früher.
Im Fall, dass es nur ein soziales Elternteil gibt, leistet der Staat Hilfe zum Unterhalt – wie auch jetzt, aber weniger beschränkt.
Neu denken, neu regeln
Dieses Konzept ist noch nicht in allen Details durchdacht, enthält meiner Ansicht nach aber viel Potenzial – nicht nur zur Aufhebung der erwähnten Ungerechtigkeiten, sondern auch zur Befriedung vieler unbefriedigender Zustände, an denen derzeit viele leiden. Dass der Staat eine bedeutendere Rolle spielen würde und mehr Kosten zu tragen hätte, finde ich positiv: schließlich gibt es ein starkes staatliches Interesse an Kindern aus Gründen der Demoskopie. Auch jetzt schon gibt es ja vielfältige Formen der Familienförderung und dem Leitspruch „Familie ist da, wo Kinder sind“ ist finanziell noch lange nicht genug Rechnung getragen. Warum kinderlose Ehepaar z.B. durch das Ehegattensplitting massiv unterstützt werden, ist nicht wirklich einsehbar. Da könnte viel Geld umgeleitet werden und dann als staatlicher Unterhaltsbeitrag an Kinder bzw. soziale Eltern verteilt werden.
Es würde auch nicht mehr vorkommen, dass sich Menschen der Unterhaltspflicht durch Auswandern oder dadurch entziehen, dass sie sich als arbeitsunfähig darstellen und auf Hartz4 leben – nur um nicht für ein Kind aufkommen zu müssen, das sie nie gewollt haben. Man mag das verurteilen, aber das ändert ja nichts an den Fakten. Denkt man bei neuen Regelungen wirtschaftlich (was ja immer schnell kommt) müssen solche Aspekte jedenfalls eingerechnet werden.
Ist man mal drin im neuen System, kann man auch weiter denken: Warum soll etwa die „soziale Elternschaft“ auf zwei Personen beschränkt bleiben? Könnte nicht auch eine dritte Person per „Opt-In“ dazu stoßen? Drei Eltern zu haben ist doch besser als zwei… :-)
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29 Kommentare zu „Vorschlag: die Opt-In-Elternschaft – für alle Geschlechter“.