Es ist ruhig heute, unglaublich ruhig. Der „stille“ Feiertag und das miese Wetter schenken mir ruhige Stunden wie ich sie hier selten erlebe. Was tun? Ich MUSS nichts tun, wie schön! Also treibe ich mich ein wenig im Netz herum, auf den Spuren von #Karfreitag.
Ewige Wiederholung des Gleichen
Wie jedes Jahr an Karfreitag ist das #Tanzverbot der wiederkehrende Aufreger auf Twitter. Menschen, die vermutlich sonst eher selten das Tanzbein schwingen, demonstrieren ihren „zivilen Ungehorsam“ bzw. zumindest den Wunsch danach. Andere posten Bilder von Salamis, ihren heute extra Fleisch-lastigen Speiseplan, ihre Lust auf ein Steak – insgesamt ein etwas pubertär wirkendes „Aufbäumen“ gegen die per Tradition, Gesetz und Verordnung kolportierten Aspekte dieses christlichen Feiertags.
Auf den Punkt brigt es der User Ich-verbesserlich:
„Ich hasse tanzen! Aber heute tanze ich aus Prinzip! *hampelt in der Wohnung herum“.
Jadah-BenHur twittert zu alledem:
„Nach über 5 Jahren auf twitter lassen mich eure Witzchen über #Karfreitag mittlerweile kalt. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier.“
und Leo Faltin spekuliert:
„Die Verbissenheit, mit der Atheisten den #Karfreitag runtermachen, könnte normale Ungläubige direkt spirituell erwecken.“
Gerne wird das derzeit auf Platz 1 „trendende“ Hashtag #Karfreitag auch für je eigene Anliegen genutzt:
Artgerechtes München meint
„#Karfreitag isst man traditionell kein #Fleisch. Wir sind dafür: Generell weniger Fleisch essen und #Massentierhaltung verhindern!“
Und die GinYuu_GmbH:
„Frischen-Fisch am #Karfreitag? 🐟 Wir haben heute offen und freuen uns auf euren Besuch im #GinYuu.“
Karfreitag: Konfrontation mit dem Nichts
Es gibt natürlich auch Tweets, die sich mit den Inhalten des Karfreitags beschäftigen. Z.B. schreibt Joanalistin:
„Heute haben Büroangestellte in vielen westlichen Ländern frei weil sie einer Folterung gedenken. #justsaying #Karfreitag“
Ja, so neutral betrachtet wirkt das ziemlich verstörend. Schon gar nicht ist zu verstehen, wenn der Karfreitag als „höchster Feiertag“ der Christenheit angesehen wird, wie es die Evangelischen lange taten. Den Katholiken und Orthodoxen galt dagegen das lebensfreundlichere Osterfest, die Auferstehung, als das höchste Fest – ein Pluspunkt für diese Glaubensvariante? Ich hab‘ mal nachgegoogelt, heute ist das Schnee von gestern, denn auf einer EKD-Seite heißt es:
„Heute besteht in allen christlichen Konfessionen weitgehend Einigkeit darüber, dass Tod und Auferstehung Christi an Ostern unlösbar zusammengehören und als Ganzes gefeiert werden.“
Immerhin mal ein Fortschritt in Sachen Einigkeit. Aber zurück zum Thema:
Rustafa Guhr twittert:
Hm… stimmt denn der letzte Satz? Erfolgsdenken kennt doch auch Misserfolg, Scheitern, kann zumindest nicht leugnen, dass es das gibt – oder etwa nicht?
Da auch der Begriff „Kreuz“ trendet, mal dahin geschaut, und die Tweets von J°ul gefunden:
Man kann nicht über alles hinweg tanzen. Manchmal ist es einfach wichtig inne zu halten und die Leere auszuhalten.
Diese Welt darf auch ruhig mal beweint werden…
Ist also Karfreitag der „Tag des Beweinens der Welt“?
Mit 140 Zeichen stößt Twitter an seine Grenzen, deshalb müssen jetzt längere Texte her. Etwa der im Tweet von Peter Otten verlinkte Blogpost „Die Stunde der Niemande“, an dessen Ende es heißt:
„Karfeitag ist der Tag der Niemande. Jetzt ist die Stunde der Niemande. Es ist die Stunde, in der die Christen auf nichts anderes blicken als auf alle abgründigen Momente des Umsonst, des Un-Sinns – in ihrem eigenen Leben und im Leben all der anderen Menschen – und diesen Blick gemeinsam auszuhalten versuchen. „Und die Finsternis hat´s nicht ergriffen.“ Mainberger sagte in seiner Predigt: „Der Nullpunkt der Jesusbiographie ist erreicht.“ Und damit ist der Nullpunkt der Welt erreicht. Wir schauen heute auf diesen Nullpunkt im Namen all der Niemande, im Namen all derer, die angesichts dieser Leere zerbrechen und die keine Hoffnung, keinen Sinn, nur Un-Sinn sehen.
Es ist an Gott, diese Leere zu füllen. Jesus hat sich dieser Leere anvertraut. Das nennen wir Glauben: an das Leben, an die Auferstehung. Womöglich ist da ein Licht, das niemals verlöscht. Womöglich hat die Endlosfahrt durch die Unterführung ein Ende. Das ist eine andere Geschichte. Aber heute ist, auch wenn es schwer fällt, erstmal Karfreitag.“
„Womöglich“ ist da ein Licht… er ist wenigstens ehrlich, viele Gläubige geben sich ja als Wissende und sind es m.E. nicht. Zu viele Erfahrungen sprechen dagegen, dass da immer ein Licht am Ende des Tunnels sei. Zuviele Tote, unendliches Leid, immer neue Kriege, Hass und Gewalt, Flucht und Vertreibung – wo bittschön ist da das Licht? Und morgen schon könnte uns ein kosmisches Ereignis erwischen, das uns wegfegt wie die Dinos. Kein Licht und kein Gott würde uns retten.
Ich hätte heute nichts mehr dagegen, gläubig zu sein, doch KANN ich es einfach nicht!
Der mitleidende Gott – ein Trost?
Erstaunlich direkt geht ein anderer Text auf diese Gedanken ein, den ich in Sabine Muellers Tweet fand:
„#Karfreitag, Kreuz, Sünde – was soll das alles? – Die ungelöste Frage des Karfreitags http://www.feinschwarz.net/warum-hast-du-mich-verlassen-die-ungeloeste-frage-des-karfreitags/ … #Kreuz #Jesus #Leid #Trost“
Im Intro heißt es da:
Es gibt keine Antwort auf die Frage des Leidens, auch nicht aus dem Glauben. Wie sich damit dennoch glauben lässt, und was vom echten Atheismus zu lernen ist, erörtet Fulbert Steffensky.
Und im Text dann:
Die Würde der Untröstlichkeit ist die der ernsthaften Atheisten. Sie kommen nicht darüber hinweg, was dem Leben angetan wurde. Sie sind fähig, das Augenlicht der Blinden zu vermissen, den aufrechten Gang der Lahmen und die Sprache des Verstummten. Sie lassen sich nicht trösten über allem, was dem Leben angetan wurde, und weigern sich ein Ganzes zu nennen. …. Wir Theologen sagen manchmal mit leichter Zunge: Gott hört und hilft auf eine andere Weise, als wir es erwarten und als wir es uns vorstellen. Aber die Menschen in den Flüchtlingslagern wollen nicht auf eine höhere Weise erhört werden. Sie wollen befreit werden von den Demütigungen, vom Hunger, von den Vergewaltigungen und vom barbarischen Tod.
Der Autor/Theologe Fulbert Steffensky zieht seinen Trost dann aus der Leidensgeschichte des Jesus, den er als „Gott selbst“ ansieht, der freiwillig dieses Schicksal auf sich genommen habe. Dankenswerterweise weißt er die Deutung, dies sei wegen „all unserer Sünden“ geschehen, zurück:
„Eine zweifelhafte Erklärung sagt, die Schuld der Menschen habe vor Gott nur gesühnt werden können durch das Blut und den Tod seines eigenen Sohnes. Nein, Blut nützt nichts. Kein Tod ist gut, der den Menschen gewaltsam aufgepresst wird, auch nicht der Tod jenes Gerechten.“
Schön, dass das mal ein Theologe sagt! Ich fand das immer schon total absurd, egal aus welcher Richtung man diese seltsame Sicht der Dinge betrachtet.
Für ihn liegt der Sinn der Geschichte – und damit der Sinn von Karfreitag – in der „Solidarität Gottes“, der eben auch unser Leiden in den schlimmsten Ausprägungen mitmacht:
Ein geschwisterlicher Gott kann nur der sein, der in unsere eigene Endlichkeit gefallen ist. Gott hat sich nicht trennen lassen von unseren eigenen Schicksalen, wie die Liebe sich nicht trennen lässt vom Geschick der Geliebten. Er opfert sich mit seinem Leben und seinem Tod in unser Leben und in unseren Tod. Unser Versprechen ist die Solidarität Gottes, die er durchhält bis zum bitteren Ende, bis zum schmählichsten Tod am Galgen. Der verborgene Gott ist kenntlich geworden im Schicksal jenes Menschen aus Nazareth, er hat seine Maske gelüftet.
Mir drängt sich da die Frage auf: Was nützt uns ein Gott, der ebenso machtlos und leidend ist und bleibt wie wir selbst in den dunkelsten Stunden? Macht es das Leiden erträglicher, wenn wir wissen: ein Gott leidet mit uns, leidet genauso?
Ganz ehrlich: der Glaube, der daraus Trost zieht, ist mir nicht zugänglich. Leider, denn Gläubige haben ja immer Grund zur Zuversicht – oder wenn nicht, wenigstens ihren Trotz:
Wenn mir, was dem Leben angetan wird, nicht gleichgültig ist, dann habe ich nur zwei Möglichkeiten, die eine: die Empörung, Gott abzuschwören und die Güte des Weltgrundes zu leugnen. Die andere: der Glaube. Ich lasse mit ihm die Toten nicht allein, ich gebe die Hoffnung nicht auf, und sei es nur aus Trotz.
Ich hab‘ mich mit etwa 9 Jahren für die erste Möglichkeit entschieden. Nicht freiwillig, sondern weil ich heraus fand, dass all die Geschichten von Gott nicht stimmen konnten. Egal was für schlimme Dinge ich erlebte: er hat nichts getan, nicht mal ein kleines Zeichen seiner Existenz gegeben.
Das heißt nun nicht, dass ich pessimistisch oder depressiv geworden wäre, nicht mal militante Atheistin. Ich versuch‘ es einfach anders: Das Gute und das Böse sind beide „im Weltengrund“ angelegt, es sind zudem menschliche Kategorien, die von unserem Standpunkt und unseren Bestrebungen ausgehen. Es ist an uns, das Gute zu tun und das Böse möglichst zu unterlassen.
Weil wir es wollen, weil wir es richtig finden, weil es uns gut tut. Nicht weil ein höheres Wesen es uns aufgibt und uns in einem Jenseits dafür belohnt.
So, genug Besinnliches zum Karfreitag – ich wende mich jetzt wieder weltlicheren Dingen zu! :-)
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Menschen sind es, die einander helfen können. Manchmal. #aufdieLiebe
Mit dem Taxi in die Freiheit
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7 Kommentare zu „Karfreitag – von Twitter inspiriert“.