In den letzten Tagen und Woche bemerke ich mit Abscheu, wie wieder mal massiv versucht wird, gegen Hartz4er Stimmung zu machen: der Regelsatz von sowieso nur um die 350 Euro soll nach dem Willen gewisser Kreise weiter drastisch sinken, ein Verlangen, zu dessen Untermauerung die Boulevard-Presse fast täglich beeindruckende Missbrauchsfälle „aufdeckt“, um die Volksseele entsprechend zum Kochen zu bringen.
Auf SPIEGEL Online finden sich heute die Verlautbarungen von Thomas Straubhaar (-> der mir dir Haare sträubt), Direktor eines „Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts“, der mittels Senkung des Satzes mehr „Arbeitsanreiz“ schaffen will. Letzte Woche wurde die Studie zweier Erfurter Wirtschaftswissenschaftler bejubelt, nach der 132 Euro/Monat als Existenzminimum ausreichen sollen. In diesem Modell reichen den „Experten“ 68 Euro für Lebensmittel, 1 Euro für „Freizeit, Unterhaltung, Kultur“, 2 Euro für Kommunikation und sage und 7 Euro für Gebrauchsgegenstände – immer bezogen auf den Monat!
Im Grunde ist dazu auf den Nachdenkseiten schon alles gesagt. Sehr lesenswert ist auch die folgende Auseinandersetzung mit den „Wissenschaftlern“, die derart Weltfremdes verbreiten, jedoch keine Verantwortung für die Folgen übernehmen wollen.
Ich frage mich, was all diese Besserverdiener eigentlich motiviert, sich so intensiv mit dem „Armen-Bashing“ zu beschäftigen: gibt es in ihrer Position keine anderen Themen, mit denen sie sich profilieren und mal in die Presse kommen können? Die Wirtschaft hatte in den letzten Jahren ihren Aufschwung, die Arbeitslosenzahlen sind drastisch gesunken, die Bundesagentur für Arbeit gibt WENIGER Geld für Arbeitslosigkeit aus als geplant – und trotzdem (oder gerade deshalb?) jetzt diese Kampagne! Zu ihr gehören auch die derzeit laufenden Klagen einiger Unternehmen gegen die Finanzierung der aktiven Arbeitsmarktpolitik für Langzeitarbeitslose, die von Seiten des Arbeitgeberverbandes „angestoßen“ wurden.
Hintergrund all dieser Kampfmaßnahmen von oben ist zum Beispiel die „nach vorne Verteidigung“ gegen berechtigte Forderungen nach Erhöhung des Regelsatzes angesichts gestiegener Preise, wie auch die laufende Auseinandersetzung um den Mindestlohn. Doch auch abgesehen von diesen konkreten Fronten passt die Kampagne zum allgemeinen Trend:
In Zeiten wirtschaftlicher Krisen – und diese schließt sich ja als Abschwung und Bankenkrise derzeit direkt an den Aufschwung an – sind es immer zwei gern genommene Verfahren, mit denen die jeweils herrschenden Kreise von ihren zu Tage tretenden Defiziten ablenken: Die Hetze gegen vermeintliche Sündenböcke, die sich nicht wehren können, und forcierte Kriegstreiberei. Den verunsicherten Mittelständlern soll eingebläut werden, dass es die bösen Sozialschmarotzer sind, die das Schiff zum Kentern bringen – und mittels des verantwortungslosen Entfachens eines neuen Kalten Kriegs (Nato nach Georgien, Stationierungen in Polen etc.) werden „andere Sorgen“ in den Vordergrund geschoben. Das nützt im übrigen auch den McCainianern im amerikanischen Wahlkampf, der ein brisantes Machtvakuum entstehen lässt.
Jetzt sollte eigentlich was Versöhnliches zum Schluss kommen, doch dazu fällt mir heute nur ein: Lassen wir uns nicht vor diese Karren spannen! Noch haben wir keinen totalitären Staat und eine recht freie Presse (wozu ich mittlerweile auch die Publikationsmöglichkeiten im Netz zähle). Es gehört nicht viel Zivilcourage dazu, der Meinungsmache in den genannten beiden Themenfeldern entgegen zu treten – ich freu mich über jeden, der das auch tut.
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17 Kommentare zu „Noch weniger Hartz4?“.