Nachdem ich einige Beiträge lang recht Diary-untypisch in den Niederungen des politischen Alltags wühlte, bewegt mich derzeit die Frage: Was ist eigentlich „Lebenskunst“ ? Wie gelingt es Menschen, in zunehmend unsicheren und ungewohnt bewegten Zeiten doch „guter Dinge“ zu bleiben?
Mit ein paar Mausklicks können wir heute ganz locker durch verschiedene Weltuntergangsszenarien surfen: Die Klimakatastrophe (eher langfristig), die Bankenkrise als weltweite Wirtschaftskrise, das Schwarze Loch vom CERN, das vielleicht doch demnächst die Erde auffrisst, neue Kriegsgefahren und die immer wieder leicht zu vergessenden Dauerbrenner wie der drohende Ausbruch des Mega-Vulkans unter dem Yellowstone-Park (alsbald oder in 100.000 Jahren), der die Sonne so lange verdunkeln würde, dass von unseren Ökosystemen vielleicht nicht viel übrig bleibt, ganz zu schweigen von der technischen Zivilisation. Und natürlich könnte uns jederzeit ein Komet treffen, z.B. im Jahr 2036 mit einer Wahrscheinlichkeit von immerhin 1:450.
Wie damit umgehen? Was ist es, das die einen Überlegungen anstellen lässt, ob man nun Gold oder Lebensmittel im Garten vergraben soll, um im Zusammenbruch der Wirtschaft bessere Karten zu haben, während die anderen über solchen Aktionismus nur amüsiert lächeln? Ist es Ignoranz oder höhere Einsicht? Bessere Information oder innere Gelassenheit? Waldsterben, Ozonloch und Y2K (wisst ihr noch? Der für 2000 angekündigte „Millenium-Bug“, das Ende von „Life as we know it“) haben sich ja auch als zahnlose Tiger entpuppt, warum sich also sorgen?
Aber mal weg vom „größten anzunehmenden Unfall“: Abbau des Sozialstaats, flexibler Kapitalismus, kurzfristige Jobs statt planbarer Karriere, Ökonomisierung sämtlicher Lebensbereiche, jeder Einzelne ein Ich-Unternehmer, der sich kümmern muss, wo er bleibt – doch gleichzeitig boomt der Wellnessmarkt und die „digitale Bohème“ feiert das neue Arbeiten und die unendlichen Möglichkeiten des Web 2.0. . Alles wird mit allem zusammen geschaltet, das Private ist im Verschwinden begriffen, es entstehen neue, virtuelle Öffentlichkeiten, deren Bezug zum „realen Leben“ erst verstanden werden muss – wie orientiert sich der Mensch in der neuen Unübersichtlichkeit? Ist maximale Transparenz („ich hab ja nichts zu verbergen“) eine erfolgversprechende Flucht nach vorne oder komplett bescheuert? Mit dem neuen „persönlichen Gesundheits- und Fitness-Trainer Fitbit“ verdatet der gesundheitsbewusste User sein tägliches Leben mittels eines Sensors, der jede Bewegung aufzeichnet – fehlende Angaben, z.B, darüber, was man im Lauf des Tages alles isst, werden manuell nachgetragen. Und wie wunderbar: all diese Daten kann man „mit Freunden teilen“!
Liebe, Beziehung, Verwandtschaft – inwiefern gibt diese Ebene persönlichen Miteinanders noch ausreichend Halt? Ich kenne nicht wenige Menschen, die ihr Leben (ähnlich wie ich) vornehmlich vor dem Monitor verbringen, sich dabei nicht etwa einsam, sondern gut vernetzt fühlen und „Realkontakte“ auf wenige Freunde beschränken. Andere sind ganz offensichtlich sehr unglücklich, wenn sie nicht täglich „unter Menschen kommen“ – und sei es auch nur zu einer wirklich öden, schlecht bezahlten Arbeit. Liebesbeziehungen werden mehr denn je als Insel wahrer Erfüllung romantisiert, doch real sind sie immer kurzlebiger und wer sucht, blättert sich durch die Kataloge der Dating-Communities als gehe es darum, ein neues technisches Gerät mit möglichst passenden Features zu erwerben. Dass man auch schnell wieder ersetzt, wenn der Markt ein noch besseres anbietet.
Ein paar Fragen als Schreibimpulse
Wenn die Arbeitswelt sich wandelt, der physische Raum als „Heimat“ (was für ein antikes Wort!) an Bedeutung verliert, Beziehungen so prekär werden wie Jobs und sämtliche Institutionen an Vertrauen verlieren – wie schaffen es Menschen, trotz alledem eine „gefühlt gutes Leben“ zu führen? Woran orientiert man sich, wenn man von unterschiedlichsten Informationen und Bewertungen ohne Ende überschüttet wird? Welchen Stellenwert hat persönliche Integrität in einer Welt, in der die rechte Hand oft nicht weiß, was die linke tut und Verlässlichkeit und Bindung der allseits gewünschten „Flexibilität“ im Wege steht?
Kann der postmoderne Mensch einfach wieder gläubig werden und sich in religiöse Tröstungssysteme flüchten? Ist Selbsterfahrung und Selbstbesinnung ein gangbarer Weg, Stabilität inmitten der Instabilität zu finden oder doch nur ein neuer Gipfelpunkt der Egozentrik und Ignoranz? Gibt es noch übergreifende Werte, die tatsächlich das tägliche Handeln bestimmen? Wie entscheidet sich, auf welchem Gebiet uns ORDNUNG wichtiger ist als Chaos und Beliebigkeit? Wofür wir uns also engagieren und wofür nicht?
Diese und andere Fragen rund um das Thema „Lebenskunst heute“ sind nicht allgemein, sondern nur individuell zu beantworten. Dazu möchte ich dich mit diesem Artikel einladen:
Greif dir die für dich wichtigsten und anregendsten Aspekte heraus und teile mit der Welt, wie du „dein Leben meisterst“, oder auch, wie du mit dem „nicht-meistern-können“ umgehst. Arbeit, Beziehungen, Lebensphilosophie, Streben nach Glück (was immer das für dich ist): bewältigst du dein Leben von Tag zu Tag, wie es eben kommt, oder hast du bestimmte Rezepte, an denen du dich orientierst? Also so etwas wie deine ganz persönliche Lebenskunst?
Zum mitmachen:
Wer im eigenen Blog mit schreibt, möge bitte einen Link zu diesem Artikel setzen und auf das „Blogprojekt Lebenskunst“ hinweisen. Ich werde die Beiträge dann hier versammelt präsentieren. Vergiss also nicht, deinen Beitrag in den Kommentaren oder als Trackback hier bekannt zu machen!
Schreibzeitraum: 15. bis 30.September
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52 Kommentare zu „Blogprojekt: Was ist (deine) Lebenskunst?“.