Eine Bemerkung vorab: Immer wenn es um den BMI geht, sagt mit 99%iger Wahrscheinlichkeit jemand: Aber dieser Wert ist doch unsinnig, denn er macht keinen Unterschied zwischen Fett und Muskeln“. Ja, es stimmt, wer viel Muskeln aufgebaut hat, wird dafür evtl. als übergewichtig eingestuft, obwohl das Mehrgewicht nur an den Muskeln liegt, die nun mal schwerer sind als Fett. Das bedeutet aber auch: für alle, die ein eher unsportliches Sitzleben führen oder in Maßen Ausdauer- statt Kraftsport betreiben, ist der BMI ein durchaus nützlicher Anhaltspunkt.
Mein BMI auf Standard-BMI-Rechnern
Da ich über den Winter wieder gewichtiger geworden bin, bemühe ich mich seit einem Monat erneut darum, deutlich abzunehmen. Dieses Mal will ich – schon der Motivation wegen! – mal wissen und ausprobieren, ob ich es bis herunter zum Normalgewicht schaffe und wie sich das dann anfühlt. Leider bin ich noch satte 14 Kilo davon entfernt und kann mich nicht einmal mehr erinnern, in welchem Alter ich mal so „schlank“ war.
Heutige BMI-Rechner berücksichtigen neben der Größe (165) und dem Gewicht (80) mittlerweile auch das Alter (62). Mit diesen Werten sieht das Ergebnis dann in der Regel so aus:
Das Berechnungstool ist auf bmi-rechner.net zu finden, es steht bei Google auf Platz 1 der Suchergebnisse. Ich hab‘ auch schon andere genutzt, die alle dasselbe Ergebnis zeigen, da sie ja auf denselben Formeln und Kriterien basieren.
Der EDEKA-Rechner: „Nicht schlecht…“
Heute hab‘ ich nun versehentlich bei Google mal auf eine Anzeige geklickt, die für den BMI-Rechner von EDEKA wirbt. Und ich staunte: Mit denselben eingegebenen Daten ergab sich zwar derselbe BMI, aber die Bewertung liest sich sehr viel Fett-freundlicher:
„29,4 – das ist Ihr BMI. Nicht schlecht, aber auch nicht ganz perfekt. Dieser Wert liegt für Ihre Altersgruppe leicht über dem Normalbereich von 23-28. Mit einer gesunden und ausgewogenen Ernährung und regelmäßiger Bewegung können Sie Ihr Gewicht langfristig reduzieren.“
Während mich also das BMI-Rechner.net wegen deutlichem Übergewicht zum Arzt schicken will, LOBT mich EDEKA sogar noch für den Wert knapp unterhalb der Adipositas-Grenze: „Nicht schlecht….“. Ich vermute mal, dass ein Lebensmittel-Konzern natürlich vermeiden muss, den Leuten den Appetit zu verderben. Bloß keine Aufregung wegen Übergewicht, das hat doch immerhin ordentlich Umsatz gebracht!
Dicke leben länger? Das Adipositasparadox
Lange hab‘ ich geglaubt, es sei normal, mit zunehmendem Alter an Gewicht zuzulegen. „Normal“ heißt allerdings nicht zwangsläufig auch „gesund“ und so hab‘ ich mich gefreut und bestätigt gefühlt, als so ab 2013 die frohe Botschaft durch die Presse ging:
Immer mehr Studien und sogar eine große Meta-Studie hatten (vermeintlich) bewiesen, dass „mäßig Dicke“ eine um sechs Prozent niedrigere Sterbequote hatten als Menschen mit BMI zwischen 20 und 25. Schön zu lesen, wirklich, ich war begeistert und fühlte mich in meiner „Fat Acceptance“ bestätigt.
Allerdings helfen tröstliche Schlagzeilen nicht, wenn das Treppen steigen schwer fällt, der Blutdruck auf einmal zum Thema wird und die körperliche Trägheit so nach und nach jeden spontanen Elan erstickt. Ich wusste: ich war mittlerweile nicht mehr nur „leicht übergewichtig“, sondern tatsächlich zu dick, ungesund dick.
Mein Gefühl hat mich nicht getäuscht. Dass Dicke länger leben, hat sich schon bald als fehlerhafte Auswertung der diversen Studien heraus gestellt. So heißt es im Artikel „Fett tötet Männer schneller“ in der ZEIT (Blendle-Link, kostenpflichtig)
…ein internationales Forscherteam um Emanuele Di Angelantonio von der Universität Cambridge hat jetzt das Adipositasparadox näher unter die Lupe genommen und dabei festgestellt, dass es in der Faktenlage auf unzulässigen Verzerrungen basiert. „Vor allem wurde nicht berücksichtigt, dass chronische Krankheiten sowie das Rauchen zwar das Gewicht senken, dafür aber für sich genommen das Leben verkürzen können“, erklärt Di Angelantonio.
Raucher und chronisch Kranke müssten also aus der Gruppe der Schlanken herausgerechnet werden, weil ihr frühes Ableben letztendlich nicht auf ihre Schlankheit zurückgeht. Und genau mit dieser Vorgabe hat dann Di Angelantonios Team das Adipositasparadox noch einmal abgeklopft, wobei man sogar insgesamt 239 Studien in seiner Analyse berücksichtigte.
Dabei zeigte sich, dass bereits Menschen mit einem BMI zwischen 25 und 27,5 ein um sieben Prozent erhöhtes Sterberisiko haben. 1,80 Meter große Männer mit 85 kg oder 1,65 Meter große Frauen mit 70 kg Körpergewicht sind also schon gesundheitlich gefährdet. Bei einem BMI von 27,5 bis 30 steigt das Sterberisiko sogar um 20 Prozent. [Hervorhebung von mir]
Vor diesem Hintergrund betrachtet, ist der EDEKA-BMI-Rechner äußerst kritikwürdig, wenn ich auch wegen Übergewicht nicht extra zum Arzt gehen werde, wie es die anderen Tools empfehlen.
Abnehmen ist ja nicht etwa ein Hexenwerk, sondern lediglich eine Frage der Kalorienmenge, die man so zu sich nimmt. Eigentlich einfach, doch gibt es rund um dieses leidige Thema eine ganze Menge Mysterien und Illisionen, Falschbehauptungen und Legenden, dass man sich leicht in diesen „Fettlogiken“ verstrickt, die letztlich vor allem dazu dienen, zu erklären, warum man NICHT abnimmt bzw. gar nicht abnehmen kann. Zur Klärung im Kopf hat mir da das Buch Fettlogik überwinden von Nadja Hermann viel geholfen, die all diese Dinge auf wissenschaftlicher Grundlage untersucht und das allermeiste als Märchen entlarvt (manche wollen das Buch extra nicht lesen, um ihren Glauben an den Hungerstoffwechsel o.ä. nicht zu verlieren!).
Wie Normalgewicht zur Gesundheitsgefahr wird
Noch einmal zurück zu den BMI-Rechnern. Interessehalber hab‘ ich mal ausprobiert, was denn zu einem Ergebnis gesagt wird, das auf einem Gewicht von 60 Kilo basiert – also in der oberen Mitte meiner Normalgewicht-Bandbreite von 52 bis 66 Kilo. Das BMI-Rechner.net gibt dazu aus:
Ihr BMI: 22.0 – das bedeutet Normalgewicht
Grundumsatz: Ihr Grundumsatz beträgt 1.237 kcal pro Tag.
Normalgewicht: Ihr Normalgewicht liegt gerundet zwischen 52kg und 66kg.
Der EDEKA-BMI-Rechner meint dagegen:
22. Das ist Ihr BMI. Dieser Wert liegt für Ihre Altersgruppe unter dem Normalbereich von 23-28. Die Ursache dafür kann verschiedene Gründe haben. Bitte beachten Sie: Der BMI-Wert bietet eine Orientierungshilfe, sollte aber immer individuell betrachtet werden. Wir empfehlen Ihnen, ein Gespräch mit Ihrem Arzt oder einer Ernährungsberatungsstelle in Ihrer Nähe zu führen.
Schon richtig gefährlich, so ein mittleres Normalgewicht! Dass das nicht nur Rechentools, sondern auch Menschen so sehen, erfahren alle, die tatsächlich bis auf ihr Normalgewicht abnehmen oder auch nur ansagen, dass sie das vorhaben. Ich lese in vielen Kommentaren und Foren, dass dieses offenbar brisante Vorhaben nicht selten von der Familie, Freunden und Kolleginnen als ungesund, ja Magersucht-verdächtig eingestuft wird.
Früher hab‘ ich geglaubt, wir lebten in einer Gesellschaft im Magerwahn, heute sieht es ganz nach dem Gegenteil aus: „Übergewicht ist das neuen Normal“ – ich wette, Ihr habt das auch schon gehört oder gelesen. Mir ist das jetzt egal, ich will endlich wieder weniger werden und das dann auch beibehalten. Knapp 5 Kilo hab‘ ich binnen vier Wochen immerhin schon geschafft, bei einer moderaten durchschnittlichen Kalorienaufnahme um die 1300 Kalorien/Tag. Sogar ganz ohne Hungergefühl… geht doch!
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Auch interessant:
- Körpermaße nach Altersgruppen und Geschlecht (Mikrozensus 2013);
- Where are you on the global fat scale? – Tipp: Bei der Eingabe der Körpergröße „meters“ wählen und das Gewicht in Metern mit Punkt, nicht mit Komma eingeben.
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9 Kommentare zu „EDEKA schönt Adipositas-nahen BMI. Damit der Appetit nicht vergeht?“.