Was meint dieses „so“? Es war das Pflegeheim, gar nicht mal ein Schlechtes. Aber ich verstehe gut, dass Frau M. alles nur noch beschissen fand. Dass sie es mit 92 Jahren schier unaushaltbar fand, was ihr dort geboten wurde: Satt, aber nicht mal sauber.
Das ist jetzt, anders als Ihr vielleicht denkt, kein bloßer Vorwurf an das Heim. Heimunterbringung, weil es nicht mehr anders geht, heißt nicht, dass der Mensch, dem das widerfährt, entmündigt wäre. Niemand wird zum Leben-bleiben gezwungen, obwohl sich das manche so denken, weil das Heim Geld verdient, je länger jemand dort dahin vegetiert. Die Weltsicht der Verschwörungstheoretiker stimmt halt meistens doch nicht.
Woran ist sie gestorben? An Dehydrierung. Zuwenig getrunken, einmal ins Krankenhaus überstellt worden, dort am Tropf gehangen, dann wieder zurück ins Heim. Aber weiterhin zuwenig getrunken – und dann eines Tages über Nacht verstorben. Quasi verdorrt.
Ich finde es gut, dass einem dies als letzte Möglichkeit bleibt! Und ich wünsche mir nicht, dass statt dessen ein Tropf gelegt wird, fürs Essen eine Magensonde… Sogar eine menschliche Pflegekraft, die alle 30 Minuten rein kommt und mit lauter Stimme sagt „JETZT TRINKEN SIE ENDLICH IHR GLAS AUS!“ wünsche ich mir nicht. Es ist gut, dass man so aus einem ungeliebten Leben scheiden kann und nicht gezwungen wird, weiter zu leben. Weiter zu leiden, weiter zu schimpfen und zu klagen – ohne Perspektive, dass sich nochmal etwas ändert.
Frau M. fand alles im Heim vom Start weg nur furchtbar. Obwohl sie zunehmend dement war, kann ich ihre Gefühle voll verstehen! Einen alten Baum verpflanzt man nicht, das stimmt auch heute noch. Wenn man es aber doch tun muss, geht er halt ein. Wie der Baum, so der Mensch.
Niemandem ist ein Vorwurf zu machen. Letztlich sind wir alle selbst verantwortlich für das Leben, das wir leben – oder eben auch nicht mehr leben. Es gab in diesem Pflegeheim auch fröhliche Alte, die sich zusammen fanden und die Möglichkeiten nutzten, die ihnen das Heim bot. Frau M. konnte und wollte (das ist kein echter Unterschied!) da nicht mitmachen. Ihr Charakter stand dem entgegen, der sich nicht erst in den späten Jahren so entwickelt hatte: anspruchsvoll, kritisch, selbstbezogen/egozentrisch – unsensibel für die Bedürfnisse ihrer Nächsten und Ferneren. Das „Soziale“ in ihrer Welt, dafür war ihr Mann zuständig gewesen. Der aber ist schon vor Jahren verstorben. Was blieb, war eine Hälfte, für sich alleine nicht mehr zur Lebensfreude fähig.
Es ist gut so, wie es ist. Schlimm wäre, hätte das Leiden noch Jahre gedauert.
Trotzdem: ich mochte sie! Und bin traurig, dass sie tot ist.
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7 Kommentare zu „Frau M. ist gestorben. SO wollte sie nicht mehr leben.“.