Seit gestern ist der Kiezneurotiker verschwunden. Der wortgewaltige Zyniker aus dem Borgwürfel, geliebt und gehasst, ist grusslos gegangen. Hat seinen Blog gelöscht, einfach so.
Warum macht man sowas? Wer keine Lust mehr zum Bloggen hat, könnte sich doch wenigstens verabschieden. Zum Beispiel mit einer finalen Brandrede auf alles, was nervt. Das konnte er doch so gut, warum also jetzt dieser klammheimliche Abgang?
Hier mal ein paar wilde Spekulationen:
1. Hat ihn ein Kollege erkannt? Seine Anonymität war ihm wichtig, anders hätte er all die süffisanten, abgründigen, dabei schwer unterhaltsamen Niedermach-Texte über den „Borgwürfel“ und die dortige Arbeitskultur nicht schreiben können. Allerdings hat er im Lauf der Zeit so viele Details der Firmenkultur dem Publikum zum Fraß vorgeworfen, dass ein aufmerksamer Mitarbeiter vielleicht Rückschlüsse gezogen hat. Sowas zum Beispiel:
„Aufregung im Borgwürfel: Für das diesjährige Fußballturnier, bei dem verschiedene Drohnen aus dem Bundesgebiet gegeneinander antreten, wurde vorgeschlagen, dass ab diesem Jahr pro Team ein Spieler weiblich sein muss. Sonst soll man nicht teilnehmen dürfen. „
Es folgten detaillierte Beschreibungen der Reaktion aus allen Abteilungen – vielleicht war das alles nicht genug verfremdet?
2. Hat er sich „tot geschrieben“ und kann es nicht zugeben? Kritiker merkten immer wieder an, dass sein Prenzlauer-Berg-Bashen mittlerweile arg angestaubt ‚rüber komme. Das mag stimmen, aber allein die Serie „Verarsch mich doch“ (in den Cache gucken) hätte er locker noch zehn Jahre weiter schreiben können. Der industriell komponierte Junkfood wird ja immer mehr!
3. Hat ihm die kurze Fehde mit dem Kiezschreiber den Rest gegeben? Eigentlich unwahrscheinlich, denn Jahre lang haben sich die beiden wertgeschätzt und gegenseitig verlinkt – und angeblich dann auch „per Mail wieder vertragen“. Und: der Kiezschreiber war alles mögliche, aber doch sicher keine Mimose!
4. Hat er sich geändert? Vielleicht auf die leere Blogseite gestarrt und gemerkt: Es geht nicht mehr! ? Wer über Jahre soviel spritzig formulierte Häme über alles und jeden ausgießt, erschafft ein Bild von sich, das auch verpflichtet. Die Erwartungen sind dann sehr spezifisch und es ist schier unmöglich, nun plötzlich „ganz anders“ zu schreiben. Weil man sich weiter entwickelt hat, vielleicht den großen Sprung in eine wirkliche Veränderung wagt? Weg vom Borgwürfel, weg vom Lästern? Was bleibt, wenn ein Kiezneurotiker seine Neurose verliert?
5. Hat ihn das Glück verlassen? Noch am 5.Oktober erzählte er aus dem Nähkästchen von früheren Drogen-Exzessen, die er schadlos überstanden hat:
„Ich habe immer schon zusätzlich zu dieser Freude daran, mich mit voller Absicht den Bach runtergehen zu lassen, sehr viel Glück gehabt. Ich bin ein Glücksschwein, dem ein Schutzgeist im Arschloch steckt. Ich kam immer durch mit solchen Sachen. Andere erleiden schon beim ersten üblen Ding Schiffbruch und gehen unter. Ich komme aus irgendeinem Grund immer damit durch. Mit allem. Keine Vorstrafen. Keine Unfälle. Kein Schiffbruch. Kein Untergang. Das reinste Glück.
Das Pensum dafür muss irgendwann aufgebraucht sein. Irgendwann ist jedes Blatt ausgereizt. Jeder Becher an purem Glück geht irgendwann leer. Noch einmal ein vergleichbares Ding und die Dinge gehen zu Ende. Ganz tief drin weiß ich, dass das so sein würde.“
Wenn ihn nun doch irgendwas erwischt hätte? Wir können immerhin davon ausgehen, dass er unter den Lebenden weilt. Denn plötzliches Versterben braucht seine Zeit, bis es sich in Blog-Löschungen nieder schlägt. Manche Blogs stehen dann noch Jahre lang rum…
Er wird mir fehlen!
Was auch immer der Grund seines Verschwindens sein mag: der Kiezneurotiker hinterlässt eine schmerzhafte Lücke! Auch wenn ich manche seiner Tiraden grenzwertig fand und wahrlich nicht immer einer Meinung mit ihm war: Er wird mir fehlen!
Wer sich beeilt, kann sich noch ein paar Erinnerungsstücke aus dem Google-Cache oder der Wayback-Machine klauben. Ich hoffe im übrigen, dass er wieder kommt: neues Blog, anderer Name, ein Neustart ohne belastende Geschichte. Wer Jahre lang ein so erfolgreiches Blog geschrieben hat, kann doch nicht einfach „für immer“ mit dem Schreiben aufhören! Vermutlich fehlt es ihm jetzt schon.
Gib doch mal ein Lebenszeichen, Kiezneurotiker!
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