An Pfingsten soll der Geist auf die Jünger herab gekommen sein, worauf sie „in Zungen redeten“ und Beobachter sie deshalb für ziemlich irre hielten. Meine Lesetipps zu Pfingsten folgen einem prosaischeren Begriff von „Geist“. Um geistreich zu sein, brauchen wir Muße, Geduld und Lesestoff, der mehr vermittelt als „das Wichtigste in Kürze“.
- Willkommen im Club – „Optimierung: Politik und Konzerne definieren soziale Kontakte neu. Freundschaften sollen nun bestimmten Zwecken dienen.“
Der Titel klingt viel eindimensionaler als der Text, der interessante Ergebnisse der Verhaltensökonomie und Neurowissenschaften aufzeigt, sowie deren – mögliche und tatsächliche – Anwendungen dank sozialer Netzwerke. - Eine folgenreiche Publikation – Vorabdruck. „Vor 150 Jahren erschien »Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie« von Karl Marx – ein Jahrhundertwerk, das kaum an Aktualität verloren hat“.
Ein zunächst etwas ermüdender, im Lauf des Lesens aber immer spannender und aktueller werdender Text, der als Zusammenfassung der gesamten 3-bändigen Kapital-Ausgabe gelesen werden kann. Kompakter kann Bildung kaum rüber kommen! - Die Starre vor dem Fall – „Wie ein junger Mensch vom Jobcenter unter das Existenzminimum gedrückt wird – und wie er aus dem System fällt“.
Dabei hatte er einen konkreten Berufswunsch, für den er bereit war, 12 Stunden am Tag zu arbeiten! - Die post-utopische Revolte – Die Erben von ’68 und der neue Marsch durch die Institutionen.
Eine weiträumige Betrachtung der Zeitläufte im Blick auf die rebellische und nicht mehr so rebellische Jugend. - Die bitteren Früchte eines langen Friedens oder vom vergifteten Frieden.
Liisas Text auf Charming Quark fängt sehr persönlich, alltäglich und harmlos an. Der Bericht eines „ganz normalen Tags“ kulminiert in einem Moment wahrhaftigen Glücks – und nimmmt dann eine Wendung, die gleichermaßen nachvollziehbar wie beunruhigend ist. Auch ich hab‘ öfter schon gedacht: Es war wohl schon zu lange kein Krieg, die Leute werden immer frecher. Aber Liisas Worte sind kein bloß zynisches Spötteln zur Abwehr berechtigter Angst, sondern eindringlich, berührend und wahr! -
Genosse Big Brother – „China bastelt mithilfe von Big Data an einem besseren Menschen.“
Gute Menschen belohnen, schlechte Menschen betrafen: die Bewertung nimmt ein Algorithmus vor, der mit allen Daten aus sämtlichen Ämtern und Behörden angefüttert wird. Das Tool kann man sich als App herunter laden, doch ist sein Wirken nicht auf die – bisher freiwilligen – Teilnehmer beschränkt. Das Ziel: Jeder Bürger Chinas bekommt einen Bewertungsstempel, der über seine Teilhabe am Alltagsleben und seinen Zugang zu gesellschaftlichen Ressourcen entscheidet. Derzeit laufen 30 Pilotprojekte, letztendlich soll der Mensch so „zivilisiert werden“. Wahnsinn! - Wenn ich dich nehme, dann nehme ich dich so wie du bist.
„Wir alle belegen den anderen mit dem Eigenen, mit Erfahrungen und Erinnerungen, mit Wünschen, Vorstellungen, Erwartungen oder was auch immer. Vor allem belegen wir einander mit Projektionen und Übertragungen. Und ja, auch ich bin nicht frei davon. Aber, so hart es klingt: damit ist der Käse schon gegessen. Futsch die Illusion, so gesehen, so genommen zu werden, wie wir nun einmal sind.“
Angelika Wende, wieder einmal kurz, prägnant und auf den Punkt! - Die Aufklärung des Islam – „Der Essayist und langjährige Korrespondent Christopher de Bellaigue stellt das 19. Jahrhundert in der muslimischen Welt in ein neues Licht. Er beleuchtet die Islamische Aufklärung….“…und wie und warum sie wieder vor die Hunde ging.
- Fingerphilosoph: Geist-Materie-Dualismus – „These: der Geist-Materie-Dualismus begleitet den Menschen durch seine ganze Entwicklung hindurch und ist bis heute nicht aufgelöst. Es gibt nach wie vor zwei unterschiedliche Weltsichten.“
Keine Pfingst-Leseliste ohne „was mit Geist“! Die Betrachtungen des Fingerphilosophen regen zum Nach- und Mitdenken an, sind originell, aber auch in den Ergebnissen provozierend. - Kann man Leben künstlich erzeugen? – „Wenn das Leben als Designobjekt neu definiert wird, ist es nicht mehr etwas Vorgegebenes, es ist kein Schicksal mehr, es wird zum Artefakt.“
Wie weit man in diesem Prozess gekommen ist, berichtet dieser Artikel im Philosophie-Magazin und reflektiert die philosophischen Implikationen für unser Verständnis von „Leben“. Im Unterschied zur Definition des Fingerphilosophen (Leben als „untrennbare Einheit von Geist und Materie“) reaktiviert die synthetische Biologie ein jahrtausendealtes Lied: das Lebendige entmystifizieren, indem man es herstellt. Was natürlich nur gelingen kann, wenn es sich um ein rein materiell-mechanisches Phänomen handelt. So ganz scheint das „Herstellen“ zwar (noch?) nicht zu funktionieren, wohl aber das Quasi-Erschaffen neuer Lebewesen und biologischer Maschinen.
Einen schönen Pfingst-Sonntag und Montag wünsch ich!
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14 Kommentare zu „Was wirklich zählt: 10 Lesetipps zu Pfingsten“.