Alt werden verbinden die meisten Menschen mit dem körperlichen Verfall: allerlei Zipperlein stellen sich ein, die Figur verändert sich (noch weiter) weg vom jugendlichen Ideal, das Gesicht wird faltiger und die Kräfte lassen nach. Ein paar chronische Krankheiten kommen hinzu und am Ende vegetiert man als Pflegefall im Heim – wenn man nicht grade Helmut Schmidt heißt und als Hoffnungsträger der rauchenden Klasse fröhlich die nächste Zigarette in die Kamera hält.
Da es der Zeitgeist erfordert, „for ever young“ zu bleiben, ist niemals die Rede davon, dass sogar der so sehr gefürchtete physische Abbau seine zwei Seiten hat: wo die Wachstumskräfte nicht mehr nach außen drängen, wo jede kleine Wunde länger zum heilen braucht und blaue Flecken langsamer schwinden, da wird auch deutlich mehr gespürt. Unsere Umwelt überschüttet uns fortwährend mit weit mehr „Daten“, als wir bewusst wahrnehmen, doch weitet sich das Feld des Wahrnehmbaren deutlich aus, wenn man anfängt, ein bisschen zu „schwächeln“. Dass jemand laute Musik nicht mehr toll findet, heißt auch, dass er für leise Töne empfänglicher geworden ist – komisch eigentlich, dass solche Benefits späterer Jahre nicht geschätzt werden.
Die geweitete Wahrnehmung ist allerdings nur nutzbar, wenn man sie nicht selber mutwillig verengt, also nur immer panisch auf irgendwelche negativen Sensationen schaut: hier eine Verspannung, da eine neue Falte, dort eine bisher ungekannte Störung – oh Himmel, es geht bergab mit mir! Menschen um die 40 realisieren mit Grauen, dass auch das EIGENE Leben endlich ist, beobachten besorgt die ersten Anzeichen am eigenen Leib und arbeiten verstärkt dagegen an. Lieber gar nicht dran denken, dass der Kampf letztlich doch verloren geht, egal, wie viel Energie man in Fitness und den Erhalt äußerer Attraktivität investiert. Jung bleiben, dran bleiben, bloß nicht den Kontakt zum „Angesagten“ verlieren, wird gesellschaftlich als oberster Wert der „neuen, jungen Alten“ kolportiert – die natürlich auch nicht mehr „alt“ sind, sondern „Senioren“ oder „BestAger“ heißen.
Genau dieses gegen das Altern Anstrampeln ist es aber, das die Sicht auf die Früchte verstellt, die man im Alter ernten könnte. Nämlich die Freiheit, nicht mehr überall „dabei sein“ zu müssen, die wachsende Unabhängigkeit vom Urteil anderer, das sich abzeichnende Austreten aus dem „Stress des Werdens“ – und vor allem die Gelassenheit, von sich absehen und den Blick auf Andere richten zu können: nicht mehr als Objekte des Begehrens, deren Begehren man begehrt, sondern als Suchende, die noch angestrengt nach Dingen streben, die man selber gar nicht mehr braucht.
So wünsche ich mir fürs neue Jahr, immer mehr von mir absehen zu können. Und wenn ich den Jungen etwas raten sollte, was sie „zur Altersvorsorge“ jenseits des Materiellen tun können, wäre es immer derselbe Rat: Tut, wonach Euer Herz sich sehnt und verschiebt es nicht auf „irgendwann später“! Dann habt Ihr „später“ den Kopf frei und müsst nicht fürchten, Euer EIGENES Leben versäumt zu haben.
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