So denken vermutlich viele, wenn ein weiterer großer Schritt weg vom Rechtsstaat hin zum totalitären Regime getan wird, wie diese Woche in Bayern. Dort kann man jetzt als „Gefährder“ festgenommen werden, wenn die Polizei der Meinung ist, dass „eine Gefahr droht“, wie u.a. die SZ berichtet:
„Dabei geht es um Personen, die keine Straftat begangen haben, aber im Verdacht stehen, dies zu tun – wie sogenannte Gefährder. In Bayern können sie in Zukunft sogleich bis zu drei Monate präventiv in Gewahrsam genommen werden. Bisher galt eine Höchstdauer von zwei Wochen, die nun völlig aufgehoben ist. Alle drei Monate muss die Haft von einem Richter überprüft werden. Theoretisch können Betroffene so jahrelang im Gefängnis sitzen, ohne ein Urteil. „
Die bisher für die Einsperrung von maximal zwei Wochen erforderliche „konkrete Gefahr“ wurde dabei zur bloß „drohenden Gefahr“ – ein sehr viel weiter reichender, in dieser Form neuer Rechtsbegriff, der der Willkür Tür und Tor öffnet. Heribert Prantl kommentiert das – ebenfalls in der SZ – so:
„Das alles ist eigentlich unvorstellbar; bei diesem Gesetz „zur Überwachung gefährlicher Personen“ denkt man an Guantanamo, Erdogan oder die Entrechtsstaatlichung in Polen. Die Haft ad infinitum wurde aber im Münchner Landtag beschlossen. Die CSU sollte sich schämen; die Opposition, deren Aufstand nicht einmal ein Sturm im Wasserglas war, auch. Dieses Gesetz ist eine Schande für einen Rechtsstaat.“
Aber hey, das trifft uns doch nicht! Solche Gesetze sind für böse Salafisten und Terroristen gemacht, die den nächsten Anschlag planen. Und für Linksextreme, wenn zu befürchten ist (!), dass sie mal wieder randalieren und vielleicht Autos anzünden. Aber doch nicht für uns immer friedliche Bürger hinter den Bildschirmen, für die schon ein täglicher Spaziergang eine Herausforderung darstellt.
Seid Ihr sicher? Kennt Ihr denn alle, in deren Adressbüchern Ihr steht, wirklich gut? Follower, FB-Freunde, Kontakte allüberall – die meisten versuchen doch gar nicht mehr, irgend einen Überblick zu behalten, wie denn auch? „Lade dein Adressbuch hoch, um deine Freunde und Bekannten zu finden“ ist ein Standard-Ansinnen nahezu aller sogenannten „sozialen Netze“. Mir wurden schon oft wildfremde Leute vorgestellt, die ich angeblich kennen sollte, weil die Software irgendwelche Verbindungen zu diesen Personen festgestellt hat. Über sechs oder sieben Ecken kennt jeder jeden, das war schon vor den Zeiten des Internets eine Behauptung, die immer mal wieder experimentell verifiziert wurde.
Und was ist mit all den Datenspuren im Netz? Immer nur Unverfängliches gelesen? Der Staat hat in letzter Zeit seine Zugriffsmöglichkeiten auf unsere Kommunikation massiv ausgeweitet, aber das Thema scheint über die Szene der Netzpolitik-Interessierten hinaus kein Aufreger zu sein. Bringt doch alles mehr Sicherheit, oder etwa nicht?
Einsperren ganz ohne Straftat
Nein, nicht! Das alles bringt mehr Unsicherheit, mehr Willkür, mehr Chancen, sich in kafkaesken Situationen vorzufinden: ahnungslos verdächtig geworden, zur Sicherheit mal eben weggesperrt. Der Rechtsanwalt Udo Vetter gab jetzt im Lawblog eine Reisewarnung für Bayern heraus, darin heißt es:
„Eine Strafe setzt nach der Rechtsprechung eine Tat voraus und auch ein Gesetz, das genau dieses Handeln sanktioniert (das kann zum Beispiel auch die Vorbereitung eines Terroranschlags sein), und genau diese Tat gibt es in den Fällen der Präventivhaft eben nicht. Es gibt nur Mutmaßungen, Spekulationen, Vermutungen, die sich auf die Zukunft richten. Schon eine zweiwöchige Präventivhaft ging an die Grenzen dessen, was gemäß der Menschenrechtskonvention außerhalb Bayerns noch als diskussionfähig angesehen wird – und auch das nur bei einer konkreten, nicht nur einer „drohenden“ Gefahr. „
Als ich einst Jura studierte, waren die Lehrpersonen stolz darauf, dass wir kein „Gesinnungsstrafrecht“ hätten, sondern immer eine Straftat vorliegen müsse, oder zumindest der Versuch. Diesen Pfad der rechtsstaatlichen Tugend hat Deutschland jedoch schon 1871 mit dem §129 über die „Bildung einer kriminellen Vereinigung“ verlassen, um auch unbeteiligte Hintermänner verurteilen zu können. Schon dieses Gesetz wurde alsbald
„…eingesetzt, um Sozialisten und Sozialdemokraten zu verfolgen. Im Nationalsozialismus erreichte der Missbrauch der Vorschrift zur Bekämpfung Oppositioneller ihren Höhepunkt. Praktisch jeder Andersdenkende, der sich mit anderen zusammentat, wurde mit der Begründung, er plane die Bildung einer kriminellen Vereinigung, kriminalisiert.“ (Wikipedia)
Der Paragraph wurde dann noch mehrfach erweitert (werben, unterstützen..) und 1976 – zu Zeiten der RAF – um §129a zur „Bildung einer terroristischen Vereinigung“ ergänzt. Beide Gesetze gelten seit 2002 auch für Taten im Ausland (§129b), wobei auf undurchsichtige Weise politisch verhandelt wird, wer im Ausland jewils als terroristische Vereinigung gilt. Gewaltenteilung ade!
Aber zurück zur #Unendlichkeitshaft. Auch Bayern hat eine eigene Verfassung, deren Artikel 102 so lautet:
(1) Die Freiheit der Person ist unverletzlich.
(2) Jeder von der öffentlichen Gewalt Festgenommene ist spätestens am Tage nach der Festnahme dem zuständigen Richter vorzuführen.
Dieser hat dem Festgenommenen mitzuteilen, von welcher Behörde und aus welchen Gründen die Festnahme verfügt worden ist, und ihm Gelegenheit zu geben, Einwendungen gegen die Festnahme zu erheben. Er hat gegen den Festgenommenen entweder Haftbefehl zu erlassen oder ihn unverzüglich in Freiheit zu setzen.
Aber was bedeutet den Politikern schon eine Verfassung? Die SPD in der Opposition (!) hat nicht mal gegen das Gesetz gestimmt, sondern sich enthalten.
Das Böse passiert nur anderswo?
In den Medien bekam das Bayrische Gesetz nur kurz und insgesamt recht wenig Aufmerksamkeit. Lieber regt man sich ohne Ende über die grusligen Entwicklungen in der Türkei auf, wo doch tatsächlich Leute verhaftet werden, ohne dass sie irgendwie straffällig geworden wären. Einfach nur so, bzw. wegen angeblicher „Terrorunterstützung“, ein Vorwurf, der aktuell auch gegenüber 700 Firmen und Personen in Deutschland erhoben wird, BASF und Daimler inklusive.
Ganz furchtbar, ja, aber wir sollten darüber nicht vergessen, was grade zuhause so alles passiert! Unser funkelnagelneues NetzDG wird gerade von Putin kopiert, weil es sich so schön zur Abwehr oppositioneller Meinungen eignet. Bayern verstößt mit dem hier besprochenen Überwachungsgesetz gegen Verfassung und rechtsstaatliche Grundsätze – und in Schwerin haben die Stadtverordneten so viel Angst vor den Bürgern, dass jetzt 250.000 Euro Strafe drohen, wenn man den Livestream des Kommunalparlaments mitschneidet und ins Netz stellt, ihn also für die spätere Betrachtung zugänglich macht.
Was ist nur los mit diesem Land? Ich hätte nicht gedacht, dass ich hierzulande mal einen derart massiven Abbau des Rechtsstaats erleben werde, wie er derzeit stattfindet.
Dass Bürger der Polizei misstrauen, bewegt immerhin auch die Politiker in NRW: Misstrauen darf nicht sein, deshalb wurde kurz nach dem G20 die Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamte abgeschafft. „Polizeigewalt“ darf man laut Schulz auch nicht mehr sagen. Sowas gibts doch gar nicht, das ist ein rein politischer Kampfbegriff!
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Könnte ich nur ordentlich fluchen, schimpfen, ranten! Da fehlt es mir ganz klar an Wortgewalt, leider.
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24 Kommentare zu „Mich trifft es ja nicht….“.