Zwei Millionen vor dem Kapitol und Milliarden Menschen weltweit verfolgten soeben den Amtsantritt des Barack Obama – von vielen erwartet wie ein Messias, der die Welt in eine neue, bessere Zukunft führen soll.
Große Worte, Poesie und ungebrochenes Pathos muten uns seltsam an, verfehlen aber trotzdem nicht ihr Ziel. Selbst den jeweiligen TV-Kommentatoren ist ihre emotionale Beteiligung anzumerken und auch ich bin ganz gerührt! Obama zog alle Register, die sowieso schon bewegten Gemüter noch mehr anzurühren. Die Amerikaner sollten sich auf ihre Stärken besinnen und zusammen stehen, kleinliche Egoismen und veraltete Dogmen abschütteln und Amerika neu erfinden – wie es ja immer wieder geklappt habe.
Patriotismus im aufrechten Gang
Gleichzeitig stimmte er seine Landsleute auf „schwere Zeiten“ ein und sprach davon, dass alle hart arbeiten und Opfer bringen müssen – wie es auch ihre großen Vorfahren und Nationalhelden getan hätten, die er ausgiebig rühmte. Wieder einmal bewunderte ich den „Patriotismus im aufrechten Gang“, der soviel Emotionen aufzuwühlen vermag und offensichtlich wirklich HILFT, wenn es einer Bevölkerung grade nicht so gut geht: sich besinnen auf alte Tugenden, auf nicht wegzudiskutierende Errungenschaften, auf gemeinsame Werte über Trennendes hinweg – das gibt tatsächlich Kraft, nicht zu verzagen, sondern hoffnungsvoll nach vorne zu schauen.
Mir ist im Laufe dieser Fernsehübertragung klar geworden, WARUM es in den USA diesen „positiven Patriotismus“ geben kann – und nur dort. Denn selbst wenn man mal die Schande der 12 Jahre „tausendjähriges Reich“ aus unserer Geschichte wegdenkt, wäre es ja dennoch nicht möglich, in gleicher Manier Patriotismus rund ums Deutsch sein zu betreiben: NICHT in Gesellschaften mit derartigen Integrationsproblemen mit Immigranten, NICHT in einem Deutschland, in dem das „Deutsch-Sein“ sich noch immer mehr auf Blut und Boden, Sprache und Abstammung bezieht als auf eine gemeinsame Verfassungsgeschichte, einen Kampf um Menschenrechte und Demokratie, um Freiheit und das Recht, sein Glück zu suchen.
Dass die Vereinigten Staaten schon immer nichts als „Einwandererland“ und dem entsprechend eine „Multikulti-Gesellschaft“ waren, macht den Stolz, Amerikaner zu sein, erst möglich. Weil dieses große WIR eben potenziell ALLE umfasst, egal, woher sie kommen, welche Hautfarbe sie haben, welcher Religion sie angehören und welche Muttersprache sie sprechen. Dagegen klingt „wir Deutsche“ einfach immer noch verdammt ausgrenzend – ist also alles andere als „Pathos-fähig“!
Verantwortung – eine amerikanische Tugend?
Schön für die Welt, wenn ein wenig von Obamas Plänen wahr würde! Ich denke, einzig MIT dieser anrührenden Emotionalität hat er überhaupt eine Chance, denn es müssen ihm ja viele folgen (auch umdenken und zurück stecken), wenn er sich nicht gleich in ‚zig Kampfschauplätzen verschleißen soll. Gut, dass er als wichtigen Teil seiner Rede den Amerikanern eine Tugend abverlangt hat, die in den letzten Jahren wenig gepflegt wurde: VERANTWORTUNG – und nicht etwa nur für den Nächsten, den Schwächeren und Ärmeren, sondern sogar für die Welt da draußen. Für viele seiner Zuhörer sicher eine Forderung, die sie bis jetzt nicht als „kern-amerikanisch“ gekannt haben – hoffentlich klappt es, sie in den „Kanon“ aufzunehmen, bzw. wieder aufzunehmen.
Am Ende, als der frisch gebackene Präsident dann seine Ernennungsurkunde unterzeichnete, gab’s ein weiteres Aha-Erlebnis für die zuschauende Welt: Er ist nicht nur SCHWARZ, er ist auch LINKSHÄNDER!!!
Ich wünsche mir, dass man in ein paar Jahren sagen kann: Das hat er mit links geschafft! :-)
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Deutscher Wortlaut der Antrittsrede
Und die White-House-Website ist schon erneuert. (via SPREEBLICK)
Update / mehr Reaktionen:
Visionär Obama; Das Ganze in LEGO; Obama setzt auf radikale Transparenz (PR-Blogger); Obama verspricht ein neues Amerika (ZEIT);
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23 Kommentare zu „Obama startet – wieviele gehen mit?“.