Mit dem Titel „It’s Alte-Weiße-Männer-Ranttime“ hat Michael Seemann (laut Wikipedia deutscher Kulturwissenschaftler, Sachbuchautor und Journalist) in eine derzeit beliebte Kerbe gehauen und über „alte weiße Männer“ im deutschen Feuilleton abgelästert. Es geht mir hier nicht um die Meinungen der Gemeinten, die Seemann kritisiert und wie folgt zusammen fasst:
„Das vielleicht nervigste an alten, weißen Männern ist ihre vollkommene Ahnungslosigkeit ob ihrer eigenen Unoriginalität. Sie schreiben einen Artikel nach dem anderen gegen „Political Correctness“ und den „Totalitären Moralwahn“ und glauben tatsächlich jedes mal von neuem wahnsinnig mutig ein „Tabu zu brechen“..“
INHALTLICH habe ich nichts gegen diese Kritik (soweit sie bestimmte Autoren meint), teile sie sogar immer mal wieder. Voll daneben ist jedoch das verallgemeinernde Anprangern von „alten weißen Männern“, als gäbe es im breiten Spektrum dieser Personen zwangsläufig Gemeinsamkeiten abseits von Hautfarbe, Lebensalter und Geschlecht. Dass Seemann gleich zu Beginn kokett darauf verweist, dass er „seine eigene Identitätsgruppe“ kritisiere (weil er grade mal 40 geworden ist!), macht die Sache nicht besser. Warum?
Schlimm, dass man es heute wieder sagen muss: Menschen wegen ihrer Hautfarbe, ihres Alters oder Geschlechts zu diskriminieren, ist eine Gemeinheit! Ein Übel, das zumindest unter allen, die sich im weiten Sinne „links“ einordnen, überwunden schien. Taten und Meinungen sind in einer Demokratie selbstverständlich kritisierbar, aber Hautfarbe, Alter, Geschlecht? Im Ernst?
Nie hätte ich gedacht, dass diese Denke wieder akzeptabel werden könnte! Aber es passiert und greift immer weiter um sich. Personen, die ich eigentlich für intelligent halte, nutzen das „alte-weiße-Männer-Bashing“ und erkennen nicht einmal, warum sie auf dem falschen Dampfer sind. Beispiel: Auf ZEIT ONLINE hat sich ein „alter weißer Mann“ mit dem Artikel Identität ist kein Argument gegen diese gruppenspezifische Menschenfeindlichkeit gewehrt. Seemann zitiert Jochen Bittner mit dem Satz:
„In der Beschwerde über „weiße Männer“ steckt ja mehr als die Abwehr von offener oder unterschwelliger Diskrimierung. Sie ist eine Unterstellung, die selbst auf eine Diskrimierung hinausläuft: Jemand, der weiß ist, männlich und ein gewisses Alter hat, bringt höchstwahrscheinlich ein bestimmtes, nämlich falsches Denken mit.“
Ein Satz, den eigentlich jede und jeder egalitär und antirassistisch gesinnte Person hätte schreiben können! Aber Seemann findet ihn falsch und schreibt dazu:
„Und das ist schlicht falsch. Es geht nicht um Falschheit, sondern um Einseitigkeit. Niemand unterstellt weißen Männern generell ein falsches Denken oder ein falsches Bewusstsein. Es ist halt nur kein sonderlich originelles Denken oder sonderlich originelles Bewusstsein, sowie eine eingeschränkte Perspektive…“
So, so! Der Vorwurf der „Einseitigkeit“ statt „Falschheit“ macht es also besser, wenn man ihn gegen „alte weiße Männer“ erhebt? Das scheint tatsächlich Seemanns Meinung zu sein, der aber dann doch noch versucht, sich dem nahe liegenden Vorwurf entgegen zu stellen:
„Es ist fast peinlich, das erklären zu müssen: natürlich ist „weiße Männer“ nur die Schiffre für die Homogenität zum Beispiel in Redaktionen wie der der ZEIT, die über „weiß“ und „männlich“ weit herausreicht und natürlich immer auch den Arbeiter, den Behinderten den Schwulen, die Transsexulle, die PoC etc. strukturell ausgeschließt. „
Dass mit dieser „Schiffre“ (er meint „Chiffre“) mal eben ALLE „alten weißen Männer“ in einen Topf geworfen und des einseitigen Denkens bezichtigt werden, spielt offenbar keine Rolle. Nicht bei Seemann und nicht bei allen anderen, die zunehmend oft und gerne nicht Inhalte, sondern Identitäten kritisieren. Ist ja auch nervig und anstrengend, gegen unliebsame Meinungen zu argumentieren, da nimmt man doch lieber den identitären Holzhammer und guckt nur noch danach, WER etwas sagt: aha, alt, weiß, männlich – Klappe zu!
Nebenbei: Ist es wirklich so, dass noch nie ein/e Nicht-Weiße/r, Homosexuelle/r oder Behinderte/r einen Artikel im deutschen Feuilleton schreiben durfte? Wenn das wahr ist, ist das tatsächlich kritikwürdig! Allerdings sollte das Thema dann extra recherchiert und debattiert werden – und eben nicht als Totschlagsargument gegen andere Meinungen (z.B. zum Fahren eines SUVs) gebraucht werden.
Warum? Weil man sich dagegen nicht wehren kann, denn aus Alter, Geschlecht und Hautfarbe kann niemand einfach aussteigen. Der Anwurf dient nicht einer Debatte, sondern zielt auf die Verdrängung bestimmter Menschen aus der Debatte – aufgrund, von Alter, Hautfarbe und Geschlecht.
Es gruselt mich mehr und mehr in dieser schönen neuen Welt!
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9 Kommentare zu „Alte weiße Männer? Es nervt!“.