Das ist das Einzigartige an Weihnachten: zu keiner anderen Zeit ist der Konsens so groß, dass die gewohnte Umtriebigkeit endlich einmal aussetzt. Privatheit, Familie und lustvolle Völlerei sind so sehr angesagt, dass jegliches Abweichen verstärkt ins Bewusstsein tritt. Allen, die arbeiten müssen, um die Grundversorgung aufrecht zu erhalten, wird endlich mal richtig gedankt, und alle, die an Weihnachten einsam sind, werden entsprechend bedauert. Auf Twitter entstand mit dem Hashtag #KeinerTwittertAllein sogar spontan eine „Weihnachtsfeierplatzvermittlung“ – eine liebevoll solidarische Aktion!
Und selbst? Sonntags treffe ich mich immer mit einem alten Freund. Dieses Mal war das der 24.12., am „heiligen Abend“ war ich also nicht alleine, allerdings ganz ohne Weihnachtsfeierlichkeit. Gestern hatte ich den Tag dann komplett für mich, genau wie heute. Die Ruhe und Freiheit dieser „Zeit außerhalb der Zeit“ genieße ich sehr, frei von irgendwelchen Erwartungen und Ritualen. Sogar ganz ohne den Druck der inneren ToDo-Liste, die mir sonst immer einflüstert, dass ich doch besser dies und jenes erledigen sollte, anstatt nur unproduktiv rumzuhängen.
Was für ein unsinniges System es doch ist, indem wir alle leben! Anstatt dass die Technik uns von der Notwendigkeit der Arbeit mehr und mehr befreit, erzeugt der Kapitalismus fortwährend neue Bedürfnisse, die zu einem immer höheren Versorgungs- und Konsumniveau führen. Die Ungleichverteilung lasse ich jetzt mal außen vor, denn es war auch nicht anders, als sich die Einkommen und Vermögen noch nicht so krass unterschieden wie heute. Wir sind Arbeitstiere geworden, die das „unproduktive Herumhängen“ als asozial geiseln – ziemlich irre eigentlich! Ich zitier mal Tobias Häfele aus der ZEIT:
Naturvölker arbeiten nicht mehr als drei bis vier Stunden täglich und Stämme wie die Nuer halten es sogar für ein böses Omen, an zwei aufeinanderfolgenden Tagen zu arbeiten. Noch im frühen Mittelalter und in den Hochkulturen der Antike war Arbeit im heutigen Sinne meist unbekannt oder von geringem Wert. Aristoteles war beispielsweise der Ansicht, Lohnarbeit mache das Denken unruhig und niedrig. Nietzsche konstatierte: „Wer von seinem Tag nicht zwei Drittel für sich selbst hat, ist ein Sklave.“
Uns Heutigen ist nur noch Weihnachten als kollektive Auszeit geblieben, in der wirklich niemand erwartet, dass man im Rattenrennen strampelt. Auch die Tage „zwischen den Jahren“ haben noch diese Atmosphäre erlaubten Nichtstuns, die uns sonst weitgehend abhanden gekommen ist.
Ich wünsche allen eine schöne „Zeit außerhalb der Zeit“ – egal ob mit oder ohne Familie, in Gesellschaft oder alleine.
Und: Lasst Euch bloß nicht die Stimmung vermiesen!
Manche strengen sich an Weihnachten extra an, ihre Menschenverachtung, Gefühllosigkeit und Aggressivität zu zeigen. Können einem Leid tun, denn sie sind ja immer bei sich – wir können immerhin wegklicken!
— ClaudiaBerlin (@HumanVoice) 25. Dezember 2017
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7 Kommentare zu „Ein Moment außerhalb der Zeit“.