Claudia am 26. Dezember 2017 —

Ein Moment außerhalb der Zeit

Das ist das Einzigartige an Weihnachten: zu keiner anderen Zeit ist der Konsens so groß, dass die gewohnte Umtriebigkeit endlich einmal aussetzt. Privatheit, Familie und lustvolle Völlerei sind so sehr angesagt, dass jegliches Abweichen verstärkt ins Bewusstsein tritt. Allen, die arbeiten müssen, um die Grundversorgung aufrecht zu erhalten, wird endlich mal richtig gedankt, und alle, die an Weihnachten einsam sind, werden entsprechend bedauert. Auf Twitter entstand mit dem Hashtag #KeinerTwittertAllein sogar spontan eine „Weihnachtsfeierplatzvermittlung“ – eine liebevoll solidarische Aktion!

Stern

Und selbst? Sonntags treffe ich mich immer mit einem alten Freund. Dieses Mal war das der 24.12., am „heiligen Abend“ war ich also nicht alleine, allerdings ganz ohne Weihnachtsfeierlichkeit. Gestern hatte ich den Tag dann komplett für mich, genau wie heute. Die Ruhe und Freiheit dieser „Zeit außerhalb der Zeit“ genieße ich sehr, frei von irgendwelchen Erwartungen und Ritualen. Sogar ganz ohne den Druck der inneren ToDo-Liste, die mir sonst immer einflüstert, dass ich doch besser dies und jenes erledigen sollte, anstatt nur unproduktiv rumzuhängen.

Was für ein unsinniges System es doch ist, indem wir alle leben! Anstatt dass die Technik uns von der Notwendigkeit der Arbeit mehr und mehr befreit, erzeugt der Kapitalismus fortwährend neue Bedürfnisse, die zu einem immer höheren Versorgungs- und Konsumniveau führen. Die Ungleichverteilung lasse ich jetzt mal außen vor, denn es war auch nicht anders, als sich die Einkommen und Vermögen noch nicht so krass unterschieden wie heute. Wir sind Arbeitstiere geworden, die das „unproduktive Herumhängen“ als asozial geiseln – ziemlich irre eigentlich! Ich zitier mal Tobias Häfele aus der ZEIT:

Naturvölker arbeiten nicht mehr als drei bis vier Stunden täglich und Stämme wie die Nuer halten es sogar für ein böses Omen, an zwei aufeinanderfolgenden Tagen zu arbeiten. Noch im frühen Mittelalter und in den Hochkulturen der Antike war Arbeit im heutigen Sinne meist unbekannt oder von geringem Wert. Aristoteles war beispielsweise der Ansicht, Lohnarbeit mache das Denken unruhig und niedrig. Nietzsche konstatierte: „Wer von seinem Tag nicht zwei Drittel für sich selbst hat, ist ein Sklave.“

Uns Heutigen ist nur noch Weihnachten als kollektive Auszeit geblieben, in der wirklich niemand erwartet, dass man im Rattenrennen strampelt. Auch die Tage „zwischen den Jahren“ haben noch diese Atmosphäre erlaubten Nichtstuns, die uns sonst weitgehend abhanden gekommen ist.

Ich wünsche allen eine schöne „Zeit außerhalb der Zeit“ – egal ob mit oder ohne Familie, in Gesellschaft oder alleine.

Und: Lasst Euch bloß nicht die Stimmung vermiesen!

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Diskussion

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7 Kommentare zu „Ein Moment außerhalb der Zeit“.

  1. Nun ja, die sog. Naturvölker mal außen vor gelassen – von wem konkret spricht der Autor, wenn er Arbeit den antiken Hochkulturen und dem frühen Mittelalter als weitgehend unbekannt bezeichnet? Die Einschränkung „im heutigen Sinne“ ist hierbei sinnlos. Es waren alles auf Ausbeutung anderer Menschen ausgelegte Gesellschaften. Nenne sie Leibeigene, Unfreie oder Sklaven. Dem Adel im Ancien Regime war Arbeit im heutigen Sinne auch fremd. Alles in allem kein Zustand, den ich als erstrebenswert erachte.

    Frohe Weihnachten trotzdem!

  2. Ich verstehe „im heutigen Sinn“ unser Verständnis von Erwerbsarbeit als Identifikationsmittel, Selbstverwirklichung, soziale Pflicht bis hin zur politischen Demut und Dankbarkeit gegenüber „Arbeit-Gebern“, weil sie „Arbeitsplätze schaffen“ – und seien es auch noch so beschissene Jobs.
    Du hast natürlich recht, es gab immer Arbeit, die geleistet werden musste – und die jeweils Unterdrückten mussten sie tun – jedenfalls ab Ackerbau und Feudalismus. Auch wir heute partizipieren von ausbeuterischen Verhältnissen in Asien und Afrika.
    Was aber das Irre ist, das ich ausdrücken wollte: diese Überhöhung der Erwerbsarbeit als „eigentliches Leben“. Und dem entsprechend die Hetze auf „faule Arbeitslose“ bis hin zur Disziplinierung von Grundsicherungsrentnern, die nicht im Ausland billiger und besser leben dürfen. Da ist in der Neuzeit eine echte Gehirnwäsche geglückt, an der übrigens die Reformation den allergrößten Anteil hatte – m.E. ein Grund, sie NICHT zu feiern.

  3. Liebe Claudia,
    ich stimme deinen Gedanken zu und ja die Reformation hat an dieser “ Einstellung“ einen wesentlichen Anteil.
    Ich bemerke allerdings auch, dass in den letzten Jahren doch viele junge Menschen und Familien versuchen ein anderes Leben zu leben und das freut mich, auch wenn ich jicht weiß ob ihnen das auf Dauer gelingen wird.
    Ich wünsche dir noch einige schöne und entspannte Tage.
    LG Angelika

  4. hallo ihrs, frö..(äh)..liche weihnachten
    und guten rutsch, wie es so unter bruedern heisst;

    hier mal zwei links
    wie es geistige aristokraten sehen:
    Prof. Rainer Mausfeld: Die Angst der Machteliten vor dem Volk
    https://www.youtube.com/watch?v=Rk6I9gXwack

    „Es gibt nur ein perspektivisches Sehen“
    KenFM im Gespräch mit: Dr. Daniele Ganser („Illegale Kriege“)
    https://www.youtube.com/watch?v=g_03xxwhJHs

    beides nette links zur Weihnachtszeit,
    der wiederkehrenden interimszeit zwischen
    schuften und raffen
    pausieren, baumeln lassen (was auch immer:)
    und mal andern zuhören wie sich die welt
    aus deren Sicht dreht.

    wer von euch würde die rote pille nehmen?
    ja? ganz im Ernst?
    wollt ihr wirklich den Abgrund von Nietzsche
    herausfordern?
    :)
    nur zu.. diese kartoffel eiert trotzdem weiterhin unbeirrt mit einem affen zacken um Sol, und diese wiederum, in kosmischen massstäben gemessen, gemächlich innerhalb ihrer milchgasse
    irgendwohin nach draussen, dort wo noch nie ein mensch gewesen ist..

    nutzt einem eine gesellschaftliche denkbackenkultur
    wenn die zur verfuegung stehenden Gesellschaften
    anscheinend nachweisslich eh nur tarnkappenbomber
    dunkler institutionen sind?

    es wird auch irgendwann mal wieder sommer.
    gottbuddhamohamed seis getrommelt.

    kurzer
    gruss von der angeschwollenen rems
    ingo

  5. @Angelika: Ja, die Jungen – gut, dass es noch welche versuchen! Wirklich schlimm ist, dass die Linke (im weiten Sinn) keine wirksamen Antworten auf die Mega-Probleme unserer Zeit hat: Globalisierung, Neoliberalismus, Standortkonkurrenz der Staaten, Macht der Konzerne….

    @Ingo: hi, freue mich, von dir zu lesen! Dieser Mausfeld ist für mich allerdings eine zwiespältige Figur, milde ausgedrückt. Eine Art intellektueller Populist, ein Prof im Ruhestand, der sich Aufmerksamkeit holt, indem er dem Wutbürger nach dem Munde redet . Das heißt jetzt nicht, dass ich ALLES, was er sagt, falsch finde (dazu hab ich zuwenig gehört), doch so ganz platt kann man den Sinn einer repräsentativen Demokratie nicht leugnen (man denke nur an den Brexit, der „dem Volk“ in GB massiv schadet – hat vielen die Lust auf „mehr direkte Demokratie“ genommen).

    Diese meine Meinung ergibt sich aus einem anderen Vortrag, den ich mir mal angehört habe – diesen hab ich bisher nur anlaufen lassen. Läuft noch…. Ahhh, gerade hör ich die Stelle, wo er zum 1.Mal konkret wird – und prompt kann ich sagen: Einfach nur die Bankenrettung anzuprangern, ohne die Folgen der Alternative (Crash des Finanzsystems) eines Wortes zu würdigen – tja, da kann ich mir schon denken, wie der Rest des Vortrags sein wird.
    Es hilft gar nicht, immer nur sein persönliche Süppchen auf bestimmten Feindbildern zu kochen (hier „die Eliten“) – was fehlt, sind machbare Alternativen bzgl. der aktuellen Krisen.

    Na, genug für jetzt – ich möcht noch in den Garten, Topinambur ernten!

  6. @Ingo: hab es jetzt länger laufen lassen und finde maches richtig und interessant, was er sagt! Gäbe eigentlich unendlich Stoff zum Bloggen…

  7. https://youtu.be/K7hddzwDcww

    das ist auch ein Blickwinkel,
    der unendliche möglichkeiten einschliesst:) *

    euch allen ein erfülltes, spannend interessantes Jahr 2018:)
    in““go