Es tut mir in der Seele wie, zu sehen, wie Blogs so langsam wegsterben. Mal zur Gänze, ganz plötzlich, oder langsam, gelegentlich stückweise, indem sie sich in reine Verlautbarungsmedien verwandeln. Da ich umfangreiche Blogrolls führe, bekomme ich es vermutlich leichter mit als andere, die erst Monate später merken: da war doch was? Wo ist das hin?
Aber genug der Vorrede, hier die vier Beispiele:
1. Der Fingerphilosoph
Hier schrieb Marian, der sehr interessante Thesen über das Wesen der Menschheit aufstellte. Auch zu vielen politischen Themen unserer Zeit bezog er Stellung, nahm kein Blatt vor den Mund, und reizte gerade deshalb zum Widerspruch. Dabei war er nie zu faul oder zu vergrätzt, auf Widerspruch ausführlich einzugehen – die Kommentargespräche waren toll, denn es wurde ausführlich Tacheles geredet. Besonders angenehm: man konnte streiten und gegenteiliger Meinung sein, ohne dass jemals der Rahmen intellektueller Redlichkeit verlassen wurde. Oder gar gepöbelt! Ein großer Verlust, dass es das Blog nicht mehr gibt. Die neuen AGB der Plattform wollte der Fingerphilosoph nicht mittragen, also hat er sich gar nicht mehr eingeloggt. (Ein bisschen Hoffnung auf eine „Neuerfindung“ scheint es zu geben!).
2. JAWL – das Blog von Christian Fischer
Ganz besonders schlimm finde ich es, wenn ein Blog, das zum „Urgestein“ der Bloglandschaft gehörte, auf einmal aufhört. Christian, ein Webworker aus Menden, hat das JAWL (just another weblog“) am 6.4.2001 gestartet. Es war ein umfangreiches Mischthemenblog, in dem Christian aus seinem vielfältigen Alltag als Webworker und Fotograf schrieb, aber auch über „Musik, Kino, das Internet und den alltäglichen kleinen Wahnsinn“. Klar, es war nie ein kommerzielles Erfolgsrezept, ein „Mischthemenblog“ zu führen (wie auch dieses hier), aber deshalb bloggt man als bloggendes Urgestein ja auch nicht. 17 Jahre JAWL-Blog – warum gibt man so etwas auf? Christian schreibt ein wenig kryptisch:
„Als ich vor fast 17 Jahren hier ein kleines Weblog eröffnete, war das Internet für Menschen wie mich ein safe space….. Als ich vor fast 17 Jahren hier ein kleines Weblog eröffnete, da hatte ich nicht den Hauch einer Ahnung, dass irgendwann einmal nicht mehr das Web, sondern das real life der safe space sein würde. Ihr, ich möchte Euch lieber im safe space treffen und nicht hier, wo all die Menschen sind.“
Hach, traurig!
3. E13 – nicht wirklich tot, aber…
Ist ein Blog ohne Kommentiermöglichkeit noch ein Blog? Für mich machen die Kommentare den Blogcharakter aus, die Möglichkeit, seinen Senf dazu zu geben, und zwar direkt unter dem Artikel. Auf Kiki Thaerigens Blogpost mit dem vielversprechenden Titel „Die Rückeroberung des Bloggens“ bin ich über Rivva aufmerksam geworden. Nach dem Lesen erscheint mir der Text jedoch eher als ein Abgesang aufs Bloggen, denn Kiki verkündet ganz beiläufig das Ende der Kommentare:
„Nach dem Relaunch werde ich die Kommentare grönern bzw. die Funktionalität komplett abschalten.“
Warum? Weil heute hauptsächlich auf Facebook et al diskutiert wird, eine Entwicklung, die Kiki allerdings selber nicht schätzt. Ihre ausgiebige Kritik am Facebook-Algorithmus, der den Usern jegliche Selbstbestimmung über das zu Lesende nimmt, beendet sie mit den Worten:
„Diese Algorithmen sind also so schlecht, dass ein Besuch bei Facebook oder Instagram inzwischen eher dem Weg zum Zahnarzt gleicht: Muss ja, aber halt nur widerwillig.“
In den Kommentaren, die sich durchweg FÜR die Beibehaltung der Kommentarfunktion aussprechen, findet sich noch eine ausführlichere Begründung, in der sie beklagt, dass die Kommentarkultur „den Bach runter“ gehe. Ok, aber ist es da die richtige Gegenstrategie, jegliche selbstbestimmte Diskussionsmöglichkeit abzuschaffen und den ungeliebten Giganten zu überlassen? Jede wie sie mag, klar, aber schade finde ich das doch! Nun ist Kikki allerdings Zeichnerin und Illustratorin – mag sein, dass sich auf so einem Blog die Kommentarfrage anders stellt.
4. Peters Blog
Auch Peters Blog ist nicht wirklich tot. Es war lange schon in meiner Blogroll, ich hab‘ gerne ab und an hingeschaut und mitgelesen: Berichte aus dem Alltag, dazu Bilder und Rezepte von den Gerichten, die Peter alleine oder in Kochgruppen kocht. Man bekam sofort einen Eindruck von den Inhalten des Blogs, sah verschiedenste Überschriften und Anreissertexte, hübsch bebildert, die Fotos nicht so unangenehm formatfüllend, wie das heute viele machen.
Neulich dann traf mich aber fast der Schlag, als ich auf Peters Blog surfte, denn mir bot sich nurmehr dieser Anblick:
Seht Ihr da noch irgend einen Anreiz, sich in dieses Blog zu vertiefen? Wie schade, dass nun auch Peters Blog vom Mobil-First-Virus befallen ist und somit für alle, die per PC, Notebook oder Tablet unterwegs sind (=immerhin alle, die online ARBEITEN, also nicht ganz wenige!) nur noch eine optische Wüste bieten. Ohne individualisierte Atmosphäre mit Wiedererkennungswert, ohne irgendwelche Inhalte, die zum weiter Lesen verlocken.
Weil ich Peters Blog kenne (bzw. kannte) scrollte ich noch ein wenig runter, da folgt der nächste Hammer: „In eigener Sache: Kommentare nun abgestellt“. Warum? Zuwenig Kommentare, sind ja alle auf FB und Twitter, zuviel SPAM – und ein Plugin konnte er so auch einsparen, na wunderbar! Beiläufig heißt es dann noch:
Damit verbunden, habe ich auch meine Sidebar „gekillt“.
Na Glückwunsch! Mir fehlen echt die Worte angesichts dieser Metamorphose eines sehr persönlichen Blogs mit individueller Ausstrahlung zu einem nichtssagenden Smartphone-Design, das alle ignoriert, die mit vernünftigen Bildschirmen unterwegs sind. Ja, das ist Trend – und trotzdem ätzend! Denn es geht auch anders, indem man ein „responsives“ Design wählt, das sich der jeweiligen Bildschirmgröße anpasst (wie dieses hier) – mit MEHR angezeigten Inhalten für große Screens und abgespeckter Optik für die Minis. Aber hey, das weiß Peter und das wissen auch all die anderen, die ihre Blogs freiwillig so gestalten, als gäbe es auf der Welt nurmehr Minibildschirme.
Warum sie das tun? Keine Ahnung!
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