Claudia am 29. Januar 2018 —

Da haut mich einer einfach um!

Hätte nicht gedacht, dass mir mal sowas zustößt! Ich bin die Unauffälligkeit selbst, wenn ich so an einem Winternachmittag unter trübem Himmel gedankenversunken meiner Wege gehe. Heute führte mich dieser Weg – wie jeden Sonntagnachmittag – ins Kreuzberger Bergmannkiez. Gedankenverloren bog ich in eine Nebenstraße der Bergmannstraße ein. Die Gegend kenne ich in- und auswendig, denn 20 Jahre war das meine Berliner Heimat. Vielleicht ein Grund mehr, nicht besonders aufmerksam auf irgendwelche Mitmenschen zu achten. Bei diesem miesen Wetter ist sowieso kaum jemand unterwegs.

Plötzlich trifft mich ein heftiger Schlag von rechts, der mich sofort zu Fall bringt. Ich knalle aufs Pflaster, kann mich aber mit den Händen abfangen. Schlage zum Glück nicht mit dem Kopf an die Hauswand, doch meine Knie schürfen übers harte Pflaster. Das merke ich allerdings erst später, denn noch bin ich völlig perplex. Ja Himmel, was ist denn hier los?

Ich rapple mich auf und sehe: ein offensichtlich wütender Um-die-30, der mich auch noch anpöbelt, während ich noch immer mehr erstaunt bin als erzürnt. Im vollen Bewusstsein, selbst keinen Anlass zu dieser Gewalttätigkeit gegeben zu haben, erlebe ich das ganze eher wie einen Film: betrifft mich nicht persönlich, bin nur zufällig Opfer dieses Zorns, der vermutlich ganz andere Gründe hat. Und passiert ist mir ja auch nicht viel…

„Spinnst du?“ sag ich dann doch noch.
„Was torkelst du hier auch so besoffen daher…!“
„Ich bin völlig nüchtern“, sag ich, anstatt mich endlich in eine korrekte Gegenaggression reinzusteigern. Langsam wundere ich mich selbst, warum das nicht passiert. Der Typ wirkt weiterhin, nun ja, „gewaltbereit“, ich hab‘ aber mit sowas keine Erfahrung. Dafür auch null Angst. Was ist nur mit meinem Gefühlsleben los?

WAS FÄLLT IHNEN EIN? DAS GEHT GAR NICHT! WIR HOLEN DIE POLIZEI!

Das bin nicht ich, die ich noch ganz damit beschäftigt bin, zu realisieren, dass mich ein XY „einfach so“ auf der Straße nieder schlägt. Vielleicht weil ich ihm nicht rechtzeitig ausgewichen bin? Sehr nah kann er nicht gewesen sein, denn auch wenn ich mit den Gedanken ganz woanders bin (und nicht etwa aufs Smartphone starre!), laufe ich normalerweise nicht in Leute rein. Die Straße bzw. der Gehsteig ist doch auch wirklich breit genug:

in Kreuzberg

WIE GEHT ES IHNEN? SIND SIE OK?

Ein Paar, auch so um die 30, hatte alles mitbekommen, da sie ein paar Meter hinter mir gelaufen waren.

Ich stand nun wieder aufrecht, klopfte mir den Staub von den Knien und murmelte: „Danke, alles ok! Keine Umstände bitte…“ –

ICH HOL JETZT DIE POLIZEI, DAS GEHT JA GAR NICHT
DASS DER EINFACH EINE FRAU UMHAUT…
SOWAS KANN MAN NICHT EINFACH HINNEHMEN..!

Die beiden steigern sich da richtig rein, jedenfalls ist das mein Eindruck. Inhaltlich muss ich ihnen allerdings recht geben. Es stimmt ja: Wir können und sollen es nicht einfach hinnehmen, dass Leute „einfach so“ im öffentlichen Straßenland übergriffig und sogar gewalttätig werden. Und jetzt bin halt zufällig ich das Opfer und kann die beiden doch nicht einfach stehen lassen mit ihrem beispielhaften Engagement!

Ich, das Opfer! Und als solches gleich mit Pflichten. Beides ist mir verdammt neu und gewöhnungsbedürftig, deshalb reagiere ich insgesamt eher schleppend. Merkt zum Glück niemand, die kennen mich ja nicht.

Der Aggressor steht noch immer aufgeblasen da und pöbelt – jetzt im Streit mit dem Mann, der die Polizei holen will – weiter. Es geht alles so schnell, dass ich die laufenden Wortwechsel nicht referieren kann. Übrigens ist er blond und blauäugig, spricht Deutsch wie du und ich – kein Fitzelchen Migrationshintergrund!

Entschuldigen Sie bitte – offensichtlich hat er geschnallt, dass die beiden ihm tatsächlich Schwierigkeiten machen könnten und will die Kuh vom Eis haben. Dabei schaut er mich immer noch aus hoch rotem Kopf an, als sei ich schuld an seinen Ausrastern. Ist mir egal, ich winke beschwichtigend mit der Hand, wegen mir könnte mit alledem jetzt gerne Schluss sein. Schließlich bin ich auf dem Weg zu einem guten Freund, um mit ihm in bewährter Manier einen schönen Sonntag mit Yoga, gutem Essen und Tatort zu verbringen.

Der Rabauke macht nun Anstalten, abzuhauen. Das will der Kämpfer gegen unzivilisiertes Verhalten allerdings nicht zulassen und folgt ihm. Die beiden tanzen umeinander, geraten ein wenig aneinander und wieder auseinander – es ist (noch?) kein echtes Kämpfen, nur ein Verfolgen, bei dem auch der Verfolgte, ehemals Agressor, immer noch so tut, als hätte er die Macht und müsse nicht rennen.

Mit dem weiblichen Teil des engagierten Paars bleibe ich zurück. Wir warten fünf Minuten, während deren Verlauf ich nachfrage, ob ich irgendwie auffällig gelaufen wäre – man weiß ja nie! Sie versichert mir, dass ich weder torkelte noch Schlangenlinien zog, sondern ganz normal gelaufen sei.

Das ist auch mein Gefühl. Aber hey: Shit happens – auch wenn du nix dazu tust!

***

Wir tauschten dann noch Telefonnummern aus für den Fall, dass meine weitere Mitwirkung als Opfer gebraucht würde. Meine Sorge, der Gewalttäter könne ihrem Mann eventuell gefährlich werden, konnte sie beruhigen:

20 Jahre Kampfsport. Da mache ich mir keine Sorgen!

Bei meinem Freund angekommen und nurmehr in Leggins checkte ich noch meine schwarze Jeans: Links ein Loch im Knie, die Hose ist hin. Hat 30 Euro gekostet, nicht die Welt, aber es ärgert mich trotzdem. Dreissig Euro Sachschaden wegen dieses Spinners!

Aber NOCH MEHR kann ich mich drüber ärgern, dass solche Hosen vor 30 Jahren wegen eines einzigen Sturzes aufs Plaster nicht gleich kaputt waren.
Was für eine versch(r)obene Emotionalität!

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Diskussion

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9 Kommentare zu „Da haut mich einer einfach um!“.

  1. Das is ja n‘ Ding! Du Claudia, echt? – Woraus Du mit Leichtigkeit erkennen kannst, das ‚man‘ dazu neigt, zu denken: „Ich doch nicht! – Und auch meine Bekannten, Freunde nicht!“ Hatte tatsächlich vorerst gedacht, dass dies ein link von jemand anders sein wird…auch etwas seltsam gedacht, und ein Hinweis darauf, wie heil die eigene Welt zu sein scheint.
    Auf diesen Vorfall hätte ich wahrscheinlich ganz ähnlich reagiert wie Du.
    Und mir kam gleich der Gedanke, ob vielleicht er, der Unflätige, auf sein phone gekuckt hat und Dich deswegen ungewollt angerempelt hat? Oder er war selber unaufmerksam und ist in Dich reingerannt…Du beschreibst es aber eher als gezielten Schlag aus heiterem Himmel. Himmel nochmal, das geht nun wirklich gar nicht! – Mit dem Auto kann schliesslich auch keiner das nächste einfach mal eben anrammen, weil ihm danach ist..und da ist tatsächlich die Polizei zuständig, genauso wie bei Körper-Verletzung oder Sachbeschädigung! – Jedenfalls gut, dass Du dennoch heil aus dieser misslichen Situation rausgekommen bist!

  2. Danke für die Anteilnahme, Mylo. Ja, ich hätte auch NIE gedacht, dass MIR sowas passiert. Nein, er hat nicht auf sein Phone geguckt, dass hätte er dann ja noch in der Hand haben müssen. Passt auch nicht, die Swombies rennen eher selbst in Leute rein und bemerken diese nicht.
    Ich war auf jeden Fall unaufmerksam in Bezug auf meine Umgebung, sonst hätte ich ihn rechtzeitig gesehen, gemerkt, dass er aggressiv ist und wäre rechtzeitig weiträumig ausgewichen.
    Ist halt jetzt „Schluss mit lustig“ bzw. erwartbarem friedlichen Verhalten aller im öffentlichen Raum. Man gehe ab sofort AUFMERSAM und WACH wie ein Wildtier durch die Welt, dann passiert sowas nicht!

  3. Bisher ist meiner Frau und mir etwas in dieser Art erspart geblieben. Vielleicht einer der Vorteile, wenn man auf’m Dorf lebt. :-) Ich kann mir gut vorstellen, wie geschockt man ist, wenn einem etwas in dieser Art passiert. Du beschreibst deine Gefühlslage ja auch recht anschaulich.

    Ich wünsche dir, dass du dieses Erlebnis möglichst rasch vergisst und es keine nachhaltigen Folgen hat.

    Es gibt Sachen, die glaubt man erst, wenn man sie selbst erlebt hat. So ein grundloser Angriff gehört sicher dazu.

  4. Hallo Claudia
    ich bin auch nicht schreckhaft. Doch so eine Vorfall läßt im Nachhinein die Knie etwas zittern denke ich. Unglaublich so was! Lg. Gabi

  5. Claudia, schaffe Dir (wie ich) einen großen Schlüsselbund an und Du bleibst stets unbehelligt. Ich kann damit in der Hand zu jeder Tag- und Nachtzeit unterwegs sein und Niemand belästigt mich.

  6. Übelst.

    Beklemmend vertraut ist mir der Reflex, die Situation erst mal zu verharmlosen. Von mir selber ablenken, als ginge es nicht um mich. Versachlichen, abspalten. Sogar die minderwertige Jeans ist ein schlimmeres Ärgernis als die Gewalt gegen mich. Vielleicht ist es ja auch meine Schuld. Ich bin ja eigentlich auch nur Zeuge (vor Gericht ist das Opfer ja formal tatsächlich Zeuge), mal sehen ob ich noch gebraucht werde. Und überhaupt, „shit happens“.

    Tausende Jahre lang (und vielleicht irgendwann wieder) dienten solche Reflexe dem Überleben. Leider nützen sie den Tätern.
    Ein Glücksfall, dass Zeugen da waren, die couragiert handelten. Ich hoffe sehr, die Zeugen haben Strafanzeige gestellt, denn gefährliche Körperverletzung ist ein Offizialdelikt, das verfolgt werden muss, auch wenn das Opfer nicht anzeigt.
    Klar, da heißt es reflexartig: Bringt nichts, Behörden eh überlastet, etc. Aber die Haltung ist falsch und nützt den Tätern.

    Mein Standpunkt zu solchen Fällen: Null Toleranz.

  7. @Arnd: weil ich deine Meinung eigentlich teile, bin ich ja geblieben und wäre zur Anzeige bereit gewesen. Aber wie es aussieht, hat der Verfolger den Täter nicht stellen können, jedenfalls wurde ich nicht angerufen, also verlief die Aktion wohl im Sande.
    Allerdings: ich war selbst nicht verletzt, ein kleines bisschen Knieschmerz ohne Aufschürfung = schon gar keine „gefährliche“ Körperverletzung – und nur diese ist ein Offizialdelikt.
    Dem Täter ist die Sache zumindest sehr sehr unangenehm geworden durch das Einschreiten dieses Paares!

  8. […] laufe, versunken ins Nachdenken über Vergangenes oder über nächste Aktivitäten. (Dabei hat mich mal einer umgehauen, einfach […]

  9. […] breiten (!) Gehsteig durch eine recht unbelebte Straße in Kreuzberg lieft. Plötzlich trifft mich ein Schlag, der mich zu Fall brachte (und meine Hose war am Knie Schrott!). Der Typ hat es offenbar nicht verkraftet, dass ich nicht […]