Gestern an einem kleinen Stand mit tiroler Spezialitäten: ich will den „würzigen Bergkäse“ probieren, als mich der sympathische Verkäufer mit dem Genuss-vor-Reue-Körper anspricht. Lieber so ein bisschen würzig oder richtig würzig?
fragt er mich sicherheitshalber. Natürlich will ich RICHTIG WÜRZIG – und der Käse ist dann auch ganz grandios! Endlich ein Käse, bei dem man schmeckt, dass er lange lange gereift ist und mit Sorgfalt und Liebe produziert wurde.
Wir plaudern noch ein bisschen über den Käsegeschmack der Deutschen, der „würzig“ nur in einer so milden Version schätzt, dass man es auch gleich anders nennen könnte. Isso!
sagt er, und zuckt bedauernd mit den Schultern.
Warum bloß ist das so? Mir war immer schon aufgefallen, dass eigentlich jede Art Käse in Frankreich besser schmeckt als in Deutschland. Hierzulande einen Camembert zu finden, der auch nach Camembert schmeckt, ist wirklich Glücksache. Sogar optisch aufgemotzte und „französisch“ versprechende Verpackungen enthalten oft nur dieses – mal weiche, mal leicht gummihafte – geschmacksneutrale Irgendwas, das von einem echten Camembert meilenweit entfernt ist.
Extra Käse für den deutschen Markt
In der ZDF-Reportage „Nelson Müllers Käse-Check“ (noch bis 1.2.2019 in der Mediathek) ist der Part ab Minute 34 dazu sehr sehenswert. Da lässt Nelson auf der Straße einen französischen und einen deutschen Camembert erst von französischen und dann von deutschen Passanten verkosten. Und wie erwartet sagen die Deutschen zur geschmackvollen französischen Variante: „bisschen zu kräftig“, „würde ich zum Frühstück nicht haben wollen“ – wogegen die Franzosen den deutschen Käse als „charakterlos“ brandmarken.
Im weiteren wird dann noch das Käsewerk von Geramont in den Vogesen gezeigt, wo speziell für den deutschen Markt eine entsprechend geschmacklose Geramontversion hergestellt wird: schnittfest, mit makellos weißer Rinde, ein milder Käse, der „nicht zu sehr nach Käse riecht“ und schon binnen 8 Tagen Reifezeit fertig ist. Danach verändert er weder Aussehen noch Aroma. Toll, oder?
Erwachsene, die beim Kindergeschmack stehen bleiben
Nicht nur beim Käse dominiert die deutsche Empfindlichkeit gegen deutlichen Geschmack: Für viele soll ein Fisch bittschön nicht nach Fisch schmecken, und schon gar nicht danach aussehen. Vom Huhn isst man hierzulande am Liebsten nur die Brust, wenns nicht grad der (selten gewordene) Gummiadler vom Grill ist, der immerhin noch nach Huhn aussieht. Innereien wie Herz, Leber, Niere, die noch in meinen Kindertagen auf dem Speiseplan standen, kommen gar nicht mehr vor. Ihr spezieller Geschmack stößt wohl ab, auch erkennt man an diesen Dingen allzu gut, dass sie mal Organe eines Tiers waren.
Ein Geschmack, der dagegen einen waren Siegeszug quer durch viele Lebensmittel angetreten hat, ist Vanille! Nicht nur Pudding, auch Joghurts, Kuchen, Süßspeisen aller Art, sogar Marmelade und Fruchtaufstrich gibts immer öfter mit vanilliger Zutat. In meiner veganen Phase ist mir erstmalig aufgefallen, wie extrem viel Platz milde Milchprodukte aller Art im Supermarkt einnehmen. Neuerdings kamen Smoothie-Fläschchen dazu und sogar Apfelmus gibts jetzt in kleinen weichen Fläschchen zum aufsaugen!
Weich, weiß, mild, gern vanillig – man kommt kaum an der Erkenntnis vorbei: es ist ein Kindergeschmack, der den Lebensmittelmarkt in Deutschland dominiert. Warum ist das so bzw. warum hat es sich so entwickelt?
Geschmack wird in der Kindheit geprägt. Ich merke das z.B. daran, dass bestimmte Ernährungsweisen, die ich zeitweise zwecks Abnehmen pflegte, irgendwann scheitern: Bei Low Carb vermisse ich auf Dauer die Nudeln allzu sehr, die häufiger Bestandteil der Ernährung im elterlichen Haushalt Ende der 50ger, 60ger und Anfang 70ger waren. Ganz ohne Nudeln fühl‘ ich mich esstechnisch unglücklich. Isso! :-)
Andrerseits gab es zuhause keine Fertiggerichte und es bestand kein Zweifel daran, dass „gegessen wird, was auf den Tisch kommt“. Das klingt harsch, aber schlimme Erlebnisse mit irgendwelchen Schrecklichkeiten, zu denen ich gezwungen worden wäre, erinnere ich nicht. Meine Mutter verstand es, mir Ungeliebtes wie etwa grünen Salat am Anfang schmackhaft zu machen: Sie produzierte einen „Kindersalat“, den sie einfach mehr zuckerte. Klappte gut und schon bald aß ich den normalen grünen Salat ohne Leidensgefühle mit. Das war allerdigs die Ausnahme, normalerweise gab es dasselbe Essen für alle – egal, was es war. Ich mochte sogar das „Herz-Lungen-Gulasch“ und fand es spannend, als – einmalig! – ein ganzer Schweinekopf verkocht wurde. Was für ein Event! Wirklich gut schmeckten uns nur die Backen, weshalb der Versuch auch nicht wiederholt wurde. (Jahre später sah ich in Frankreich in einer Auslage die vordere Scheibe einer Schweineschnautze als eine Art Sülze – gibts!)
Die drastischen Beispiele sollen zeigen: Wir drei Kinder haben nach und nach alles mitgegessen, was die Erwachsenen aßen. Nicht alles fanden wir toll, aber es gab keine Dramen rund ums Essen, weil es so normal war, dass wir alle dasselbe aßen.
Als ich dann mit 19 mein Elternhaus verließ, gab es nur wenige Dinge, die ich nicht mochte: Oliven, Fenchel, Sardellen – alles Sachen, die es zuhause niemals gegeben hatte. Im Lauf der Jahrzehnte lernte ich dann, auch diese Lebensmittel in bestimmten Zusammenstellungen zu mögen (es hat aber gedauert!). Irgendwelche Unverträglichkeiten plagen mich nicht und heute gibt es nichts (außer Original Kambodschanischer Fischsoße), das ich nicht nochmal essen würde.
Verhindert freie Wahl die Geschmacksentwicklung?
Wenn ich jetzt mal wild spekuliere, woher diese Präferenzen für milden Käse, nicht fischigen Fisch und dergleichen wohl herkommen: Vielleicht, weil viele Kinder der 80ger, 90ger und Nuller-Jahre viel mehr Freiheit hatten, nur das zu essen, was ihnen bereits schmeckt? So entwickelte sich ihr Geschmack kaum weiter. Sie blieben länger bei dem, was schon gut mundet und wurden kaum mehr motiviert, auch Dinge zu essen, die nicht gleich Begeisterung hervor rufen.
Weil aber der Geschmack fürs ganze Leben erheblich durch die Ernährung in Kinder- und Teenyjahren geprägt wird, schlägt das dann auch durch auf den „Geschmack der Deutschen“, wie er heute nun mal ist: Mild, weich, sahnig, wenn süß gern vanillig – und bei Tieren lieber wenig Eigengeschmack.
Schade eigentlich, denn so werden viele Genüsse und leicht zu habende Glücksmomente einfach versäumt.
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Mal geschaut: der „Tiroler Bauernstandl“ ist eine Marke und hat auch einen Shop – hier mein „würziger Bergkäse“, der Preis bezieht sich 400 Gramm.
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20 Kommentare zu „Würziger Käse? Deutsche mögen das nicht!“.