Stell dir vor, du lebst nahe dem Polarkreis in einem gut beheizten Haus – draußen herrschen klirrende 30 Grad Minus. Auf einmal (die Ursachen lassen wir mal außen vor) lässt sich die Tür nicht mehr schließen und Kälte dringt ein: binnen kurzer Zeit wird das Leben im Haus unmöglich sein. Was machst du? Reparierst du die Tür, um sie wieder schließen zu können? Oder fängst du an, alle Möbel zu zerkleinern und zu verfeuern, damit es noch ein wenig länger erträglich warm bleibt?
Letzteres versuchen gerade all die Politiker, die große und kleine Konjunkturpakete schnüren, damit die Folgen der Finanzkrise ein wenig abgemildert werden. Sie verfeuern die Möbel, nicht nur die von heute, sondern auch die, die unsere Kinder sich in Zukunft hätten kaufen können. Derweil bleibt die Tür offen, durch die die tödliche Kälte dringt, doch immerhin kann das Volk sehen, dass die Politiker nicht untätig bleiben.
Man weiß nicht, wie das Schließen der Tür zu bewerkstelligen sei, sagen einige. Andere meinen, zu wissen, wie es gehen könnte, doch erscheint es unmöglich, sich auf eine beherzte Reparatur zu einigen. Es wird viel geredet, während es schon spürbar kälter wird, und man überlegt, was man noch alles verheizen könnte. Dabei gerät die offene Tür in den aufgeregten Reden über die Kälte und das Nachheizen zunehmend aus dem Blick.
„Der Markt hat versagt, also muss der Staat ran – und zwar zu 100 Prozent!“, sagt der Experte vor der schwarzen Tafel mit den Börsenkursen in herrischem Ton. Es geht um die „toxischen Papiere“, die als verbriefte Kredite angeblich tausende Milliarden wert waren, die jetzt aber keiner mehr haben will. Was niemand kauft, ist auf dem Markt nichts mehr wert und muss (bzw. müsste?) in den Bilanzen der Banken abgeschrieben werden. Was eben noch als Vermögen galt, schwindet dahin wie Eis in der Sonne und treibt die Banken in die Pleite, denn es zehrt ihr gesetzlich vorgeschriebenes Eigenkapital auf. Klar, dass sie keine Kredite mehr vergeben, bzw. an allen Ecken und Enden versuchen, ihr Risiko zu vermindern – zu Lasten der Unternehmen, die von ihren Krediten abhängen.
In einer Wirtschaft, in der es als normal und zweckmäßig gilt, sämtliche Investitionen (und oft auch Teile des laufenden Geschäfts) mit Krediten zu finanzieren, ist das das AUS: täglich hören wir von bekannten Firmen, die Insolvenz anmelden müssen und nur noch darauf hoffen, im Insolvenzverfahren die „gesunden Unternehmensteile“ zu retten. Sprich: ihnen sind die laufenden Kredite gekündigt worden oder sie bekommen nur noch Kredit, wenn sie deutlich mehr dafür zahlen. Auf einmal rechnen sich die Geschäfte nicht mehr, die bisher so selbstverständlich Schulden-finanziert werden konnten.
Die Banken selber befinden sich vermutlich länger schon im Stadium der Konkursverschleppung. Man schickt ihnen aber nicht etwa den Staatsanwalt, denn der Staat kann ja nicht wünschen, dass die Banken wirklich pleite gehen: dann nämlich bräche ein Chaos aus, das sich keiner vorstellen mag.
Der Staat soll also alle „toxischen Papiere“ übernehmen – selbstverständlich nicht zum aktuellen Null-Wert. Tausende Milliarden, garantiert durch den Steuerzahler: so sieht der einzige Weg aus, der aus Sicht der Banker und Experten den Crash des Finanzsystems vermeidet. Und während täglich Firmen in die Insolvenz rutschen und neue Entlassungen angekündigt werden, fordern die Banker vorläufig „geretteter“ Banken noch immer Boni in dreistelligen Millionenbeträgen ein und leisten sich neue, noch ein wenig teurere Dienstwagen. (Wo ist bloß mein Kotz-Eimer?)
Das ungelöste Finanzproblem erscheint mir zunehmend als ein KOAN des Kapitalismus, da es system-immanent unlösbar erscheint. „Ein Koan ist ein Zen-Rätsel, dessen Lösung zur unmittelbaren Erfahrung der Erleuchtung führt, weil die Grenzen des logischen Denkens durchbrochen werden müssen. Diese Zen-Technik ist bereits Jahrhunderte lang erprobt und bewährt, erfordert jedoch absolutes Loslassenkönnen von herkömmlichen Denkstrukturen, was meist nur unter großem psychischen Einsatz gelingt.“ (irene drela)
Es sieht nicht so aus, als könnte die uneinige Welt so ein Überschreiten herkömmlicher Denkstrukturen in Sachen Finanzsystem hinbekommen. Also werden wir erleben, wie der Karren immer weiter in den Dreck gefahren wird. Sollte ich mich irren, wär mir das eine Freude!
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7 Kommentare zu „Finanzkrise ungelöst: Das KOAN des Kapitalismus“.