Walter Steinmeier repräsentiert für mich noch ein Stück mehr den Politiker der Zukunft als Typen wie Merkel, Schröder und Fischer. Schon diese unterschieden sich ja stark von heute nostalgisch beweihräucherten Legenden wie Helmut Schmidt, die noch den Eindruck vermittelten, sie wüssten, wohin die Reise gehen soll: es waren und sind interaktive Politiker, deren Job es ist, den sich im ständigen Interessenkampf heraus kristallisierenden „machbaren Kompromiss“ zu entwickeln und umzusetzen. Sie haben kein Programm, sondern machen, was geht.
Und je nachdem, wieviel Wind eine gesellschaftliche Gruppe oder Lobby um ihr Anliegen zu entfachen vermag, desto mehr wird diesem Interesse entsprochen – sei es wegen der aufgebauten Drohkulisse im Falle der Weigerung, sei es aufgrund der Mobilisierung „gefühlter Mehrheiten“ über die Medien. Integere Charakterköpfe mit eigener Meinung wären da nur hinderlich: sie müssten ja dauernd zurücktreten, wenn der Wind wieder aus der anderen Richtung bläst und sie nicht hinter dem stehen könnten, was sie in ihrer Position abzusegnen haben.
Menschliche Macken
Obwohl schon „voll interaktiv“ und fester Überzeugungen ledig, haftete Figuren wie Schröder, Fischer und Merkel trotzdem noch etwas kreatürlich Menschliches an: zwar wollten sie in ihren Ämtern nichts Bestimmtes machen (sind also dem Zeitgeist entsprechend sehr kompetent), doch verfügten sie immerhin noch über persönliches Machtstreben. Man denke nur an Schröders Rütteln am Tor zum Kanzleramt und seinen Spruch „ich will da rein!“ Hach, mit sowas kann sich der sprichwörtlich „kleine Mann auf der Straße“ ja glatt noch identifizieren: ein karrieregeiler Streber, der nach ganz oben will und seine Zigarren mit den Bossen rauschen… geschenkt!
Die nächste Version Politiker wird solche sympathischen Macken nicht mehr aufweisen. Steinmeier ist bereits einen Zacken „funktionaler“ in Sachen Macht als die Genannten: er ist Diplomat, also gar nicht erst in den Niederungen des politischen Linienstreits sozialisiert. Diplomaten müssen umsetzen, was andere vorgeben, möglichst so geschmeidig, dass die Dinge niemals eskalieren – und man merkt Steinmeier ja an, dass er im kantigeren und lauteren Auftreten, das er jetzt als Kanzlerkandidat bringen muss, nicht ganz authentisch ist. Sollte es ihm gelingen, eines Tages Kanzler zu werden, wird er sein spezifisches Talent, immer und überall angemessen und solide zu wirken, optimal einsetzen können.
Druck machen
Vielleicht vermisst jetzt der eine oder andere eine knackige Bewertung: so ein ordentliches Politiker-Bashing, wie man es in vielen Blogs liest. Doch so sehr ich mich auch im Einzelfall über krasse Fehlleistungen unserer Regierungs- und Gesetzgebungsmaschinerie aufrege, so deutlich sehe ich andrerseits, wie beschränkt die Spielräume der einzelnen Akteure sind. Je höher die Ämter, desto geringer wird im Grunde die „persönliche“ Macht (etwas Bestimmtes anzustreben), denn umso mehr sind Politiker dann umstellt und umlagert von den vielfältigen gesellschaftlichen Mächten und Kräften, die – lautstark und öffentlich oder leise hinter verschlossenen Türen – sagen, was aus ihrer Sicht angesagt ist. Und was passieren wird, wenn es nicht läuft.
Und all diese Formen des „Druck machens“ betreiben nicht etwa nur „die da oben“, sondern auch alle in der bei uns noch immer vergleichsweise breiten Mittelschicht. Nicht unbedingt selbst, aber vertreten durch Verbände, Vereine und auch Gewerkschaften. Interessen wie Pendlerpauschale, Ehegattensplitting, private Krankenversicherung, komplizierte Steuer-Ausnahmetatbestände und vieles mehr werden ja nicht vornehmlich von ein paar bösen Superreichen & Mächtigen durchgesetzt, sondern von recht breiten Kreisen, die eben darauf achten, dass ihnen niemand die Butter vom Brot nimmt. Ebenso werden auch sämtliche förderlichen und verbessernden Bestrebungen mit den zur Verfügung stehenden Druckmitteln voran getrieben und gelegentlich sogar durchgesetzt – und immer braucht es dazu Aktivisten, die große Teile ihrer Persönlichkeit zugunsten des Kampfs für eine einzige Sache vernachlässigen. Mit den entsprechenden „Berufskrankheiten“, die aus einem solchen Leben folgen.
Jedes Volk hat im Ergebnis die Politiker, die es verdient. Der alte Spruch ist tatsächlich wahr. Der größte Fehlschluss, dem ich als Jugendliche in Sachen Politik aufgesessen bin, war der Gedanke, dass man „hier ja nichts machen könne, nur alle vier Jahre ein Kreuz auf dem Wahlzettel“. Es ist im Gegenteil so, dass im Grunde hier kaum jemand „was machen“ will, sondern alle ihre Ruhe haben und ein ungestörtes Konsumentenleben führen wollen. Um all die Rahmenbedingungen, die das braucht, sollen sich bittschön andere kümmern – und wenn es nicht so läuft, wie erwartet, dann will man halt das aktuelle Personal „Verantwortung übernehmen“ und stürzen sehen. Sich selber auch nur mit einer Einzelproblematik mal tiefschürfend zu befassen, kommt für die meisten nicht in Betracht.
Alle vier Jahre macht man dann sein Kreuz und akzeptiert damit Zustände, die von all denen herbei geführt werden, die auch während der vier Jahre aktiv sind – und dass sind eben bei weitem nicht nur die paar Politiker, die als Verantwortungsträger funktionale Macht verkörpern. Deshalb kann ich nicht reinen Herzens auf sie schimpfen: ich kann mich in sie ebenso gut einfühlen, wie ich mich auch selbst als Teil der Masse, die lieber ungestört ihr Leben lebt, erkenne. (Da gibt es keinen „Anderen“…).
Ach ja, Steinmeier! Nach ihm, bzw. nach diesem Politiker-Typus sind wir dann vielleicht reif, ganz auf eine menschliche „Wetware“ zu verzichten und die Machtpositionen einer Software zu überlassen. Ob diese dann hermetisch „von oben“ programmiert oder weitgehend „open Source“ ist, liegt wiederum an uns allen.
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6 Kommentare zu „Politiker: Zum Beispiel Steinmeier“.