Claudia am 08. Juli 2006 —

Aus dem Alltag einer LIDL-Kundin

Endlich Regen. Gestern hab‘ ich überall nasse Tücher aufgehangen, um die 29 Grad Raumtemperatur (Nordseite!) etwas zu mildern. Dann erst mal der Gang zu LIDL, die mir nächstgelegene Einkaufsgelegenheit. Zwei- bis dreimal die Woche kaufe ich hier für zehn bis 15 Euro ein, der Laden ist mir vertrauter als mein Hinterhof. Für alles andere müsste ich deutlich weiter gehen und ein Bioladenbesuch wäre richtig aufwändig. Ans latent schlechte Gewissen, das mich – mehr gedacht als gefühlt – stets zum Discounter begleitet, hab‘ ich mich gewöhnt und nehme es kaum noch wahr. Wohl aber die angenehme Kühle der klimatisierten Räume, in diesen Tagen die reine Erholung.

In den Kartons mit dem „Café Crema & Espresso“ erwische ich noch die letzte Packung Espresso-Bohnen, 500 Gramm zu unter 5 Euro. „Café Crema“ kauft kaum jemand, Espresso ist immer gleich weg. Dann dauert es Tage, manchmal über eine Woche, bis auch „Café Crema“ endlich alle ist und es wieder neue Kartons mit einigen wenigen Espresso-Packungen gibt. Warum ein durchoptimierter Discounter wie LIDL, der nur „Schnelldreher“ in seine Regale lässt, potenzielle Espresso-Käufer derart frustriert, ist mir schleierhaft. Ja, Lidl wirft durchaus Fragen auf und zu gerne wüsste ich manchmal die Geschichte, die hinter einem neuen oder geänderten Produkt steht.

Am Eingang sah ich kürzlich einen Ständer mit FAIR gehandeltem Kaffee (leider kein Espresso) und einigen Infos dazu. Fairer Handel bei LIDL? Na hallo, das ist wohl die nächste Offensive nach der Einführung der Bio-Schiene! Dass sie es tun, um ihr mieses Image zu verbessern, muss den Nutzen der Sache ja nicht schmälern, denk‘ ich mir und hoffe, dass das Angebot keine Eintagsfliege bleibt.

Wer von LIDL lebt, sich bei LIDL versorgt, braucht eigentlich kein Bargeld mehr. Ich zahle mit der EC-Karte und kann den Gang zum Geldautomaten auf den Tag verschieben, wenn ich in die Nähe einer Postfiliale komme, wo Abheben nichts kostet. Gewöhnlich hab‘ ich aber doch noch ein paar Euro in der Tasche, nämlich für den Tante-Emma-Laden am Eck, den ein junger Bulgare betreibt. Seine Arbeitsbereitschaft beeindruckt mich schwer: täglich von 8 bis 20 Uhr steht er im Laden, Samstags bis zwei und Sonntags bis zwölf Uhr mittags. Etliche seiner Waren stammen ebenfalls von LIDL und anderen Discountern. Den Bäcker aus meiner Straße sehe ich dort regelmäßig all seine Nicht-Backwaren erstehen, die in diesen kleinen Läden dann ca. 20 bis 40% teuer sind. Meist hab‘ ich doch irgendwas vergessen oder will nicht wegen einer Rolle Klopapier zu LIDL latschen – gut, dass es diese Läden und ihre engagierten Betreiber wieder gibt, nachdem ‚Tante Emma‘ keine Lust mehr hatte.

Kann denn ein LIDL-Konsument „gesund“ leben?? Kommt drauf an, was gekauft wird, denke ich mir manchmal, während ich an der Kasse warte und betrachte, was so alles in den Einkaufswägen liegt. Manche leben von Pizza, Süßzeug und Alkohol, andere konsumieren ausschließlich die „Gourmet-Schiene“ (ja, auch das gibt’s bei LIDL!). Menschen wie ich bevorzugen schlichte Produkte, die nicht erst groß verarbeitet (und damit verschlimmbessert) werden: Obst, Gemüse, tiefgefrorener Fisch in großen Packungen, Müsli ohne Zucker, Trockenfrüchte, Vollkornbrot und Käse.
Fleisch- und Wurstwaren bestreike ich gerade, da mir ein Fernsehbericht wieder mal die Bedingungen der Produktion und den damit verbundenen Umgang mit dem Mitgeschöpf Tier drastisch ins Bewusstsein gehoben hat. Sollte ich doch wieder Lust auf ein Steak bekommen, wird es das vom argentinischen Rind sein, oder auch die neuerdings eingeführten Neuseeländischen Lammkoteletts. Diese Rinder und Lämmer haben immerhin ein schönes Leben vor dem Steak-Stadium, leider wird für ihren Transport die Luft mit Kerosin verpestet und die Klimakatastrophe voran getrieben – es gibt halt nichts Wahres im Falschen.

Vanille für alle

Was den Geschmack angeht, so repräsentieren Discounter den Massengeschmack – was zu spezifisch schmeckt, muss geglättet werden. Gorgonzola von LIDL ist nicht ganz so rezent und deutlich milder als das Original, gleiches gilt für den „echt Griechischen FETA“ und viele anderen Produkte. Allem, was süß ist, wird gerne Vanillegeschmack beigemischt – der passende Geschmack für den kollektiven Kindergarten der Immer-noch-Spass-Gesellschaft. Gruslig, so ein „Erdbeer-Vanille-Fruchtaufstrich“ – manchmal bemerke ich so etwas erst, wenn die Ware schon erworben ist, denn es steht nicht gerade deutlich drauf.

Am Ende eines LIDL-Einkaufs gibt’s jedes Mal ein bisschen Stress: ich nehme mir nie einen Einkaufswagen, sondern benutze einen leeren Karton, um die Dinge einzusammeln. Eigentlich ist das verboten, aber natürlich sagt niemand was. An der Kasse kommt es dann darauf an, zu zeigen, dass man auch ohne Wagen nicht zum Hemmschuh im Lauf der Dinge wird: Während die Kassiererin die Waren über den Scanner schiebt, packe ich sie in derselben Geschwindigkeit in die Tüten, so dass kein Stau entsteht. Eine kleine Verzögerung kann ich mir erlauben, denn am Ende bekommt sie das Kärtchen und die „Verdatung“ verursacht eine kleine Zwangspause, in der ich den doch noch aufgelaufenen Rest punktgenau vom Tisch räumen kann, bis der Computer den Kassenzettel ausspuckt, womit mein „Vorgang“ beendet ist. Wenn es mal viel ist, ist das fast eine Art Sport, bzw. ein konzentriertes, aufeinander eingespieltes Interagieren zwischen Kundin, Kassiererin und Computer. Hat alles geklappt, ohne dass ein genervter Blick des nächsten Kunden mir signalisiert: DU BIST EIN STÖRER, nimm gefälligst einen Wagen!, verlasse ich den Laden mit dem guten Gefühl, etwas geleistet zu haben. Ich war perfektes Rädchen im Getriebe, trotz meiner Bevorzugung der leeren Kartons!

Apropos Getriebe: Kürzlich beobachtete ich zwei Handwerker, die dabei waren, sämtliche Neonröhren der LIDL-Filiale auszutauschen. Erstaunt fragte ich nach, warum denn das geschähe, schließlich brannten sie ja alle noch. Ich bekam die Auskunft, dass die Röhren nur eine gewisse durchschnittliche Lebensdauer hätten, deshalb würden sie eben in festgelegtem Turnus allesamt erneuert. Was für eine Verschwendung, dachte ich mir – und das bei einem Laden, der überall Kosten spart. Warum lässt man nicht die Mitarbeiter immer dann eine Röhre austauschen, wenn eine kaputt ist?? Und was machen sie mit all den noch funktionstüchtigen Röhren? Wegwerfen oder weiter verkaufen in die dritte Welt???

Fragen über Fragen! Als LIDL-Konsument bin ich beteiligt an all diesen kleinen und großen Schandtaten (Umwelt, Arbeitsbedingungen etc.), doch den Discounter deshalb zu meiden, ziehe ich nicht wirklich in Betracht. LIDL sollte nicht abgeschafft, sondern verändert werden – und gerne würde ich z.B. mehr für die Packung Milch bezahlen, wenn dann der Milchbauer auch mehr bekäme. Wie ich hörte, war LIDL dazu sogar mal bereit, es scheiterte jedoch an den Handelsstrukturen, an der Konkurrenz.

Nicht immer trage ich die Welt auf meinen Schultern und denke an all diese Dinge, wenn ich einkaufen gehe, ganz vergessen kann ich sie aber auch nicht. Vielleicht kommt nach „Fleisch bestreiken“ mal wieder eine Phase mit zumindest samstäglichen Marktbesuchen: dort gibt es teures Öko-Gemüse von Bauern aus der Umgebung. Jetzt, wo ich keine Ausgaben für Tabak mehr habe, könnte ich mir das glatt leisten!

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Diskussion

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8 Kommentare zu „Aus dem Alltag einer LIDL-Kundin“.

  1. Sorry, diesmal muss ich fragen: „Was will uns die Autorin eigentlich damit sagen?“ Was mit alten Neonleuchten geschieht, wohl kaum, was ;)

  2. Hallo Claudia,

    vielen Dank für die Einblicke in die alltäglichen Seelentiefen einer Lidl-Kundin!
    Das provoziert dazu, das eigene Einkaufsverhalten zu reflektieren.

    Zu den Neonröhren: Ich kann mir schon vorstellen, welche Überlegungen zu der Regelung geführt haben. (Vorratshaltung in den Filialen, Ausbildung der Angestellten im Auswechseln von Neonröhren, da sonst Versicherungsschutz weg, regelmäßiger Wechsel kommt billiger als Bereitschaftsdienst der Handwerker etc.) Dämlich ist sie trotzdem.

    Zum Zeitdruck an der Kasse empfehle ich Stefan Schrahes wunderbare Glosse „Das Duell“:
    http://www.kolumnen.de/schrahe-111005.html

    Gruß
    Ralf,
    weder Lidl- noch Aldi-Kunde

  3. Bevor ich es vergesse:
    Gratulation zur neugewonnenen Rauchfreiheit!

    Mögest Du frühestens wieder rauchen, wenn Deine sterbliche Hülle ins Krematorium geschoben wird. ;-)

    Gruß
    Ralf

  4. Hallo Claudia,

    ich finde es nicht gut bargeldlos ( mit Karte ) zu bezahlen – wegen
    der Überwachungsmöglichkeiten und deren Folgen. Man kann auch
    heute noch vollkommen ohne Abbuchungsaufträge und Kreditkarten leben, wirklich. Nur die Zahlung mit Bargeld ist ( noch ) nicht zu
    kontrollieren.

    Es geht ums Prinzip – jeder sollte mithelfen.

    Gruß Hanskarl

  5. @ Hanskarl – guckst du hier:

    http://www.taz.de/pt/2006/07/17/a0068.1/text

    Wie kommt man dazu, sich freiwillig zu Tausenden zu so einem DNA-Test zu begeben, eveteull sogar der Täter selbst.
    Sozialer Druck ?

    Ohne mich. Wenn es so etwas hier in meiner Gegend geben würde.

  6. Ich finde es auch nicht wirklich gut mit Karte zu zahlen, allerdings aus einem ganz anderem Grund. Es ist einfach nicht möglich zu kontrollieren wieviel Geld man bereits ausgegeben hat. Aus diesem Grund wird auch versucht die Kartenzahlung durchzusetzen. Bei Bargeld kann einem nicht so leicht passieren, dass man mehr Geld ausgibt als geplant.

    Viele Grüsse

    Steffi

  7. Greenwashing für Arme…

    Lidl machte in der Vergangenheit neben günstigen Angeboten vor allem auch durch die Behinderung des Aufbaus von Betriebsräten, durch pestizidverseuchte und gesundheitsgefährdende Lebensmittel aus dem schönen Spanien, der auch von anderen Unternehme…